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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

daß A. von Werners "Kaiserproklamation in Versailles," ein in kleinem Ma߬
stabe ausgeführtes Bild, welches dem Fürsten Bismarck von der kaiserlichen
Familie geschenkt worden ist, trotz seines geringen Umfanges ein Historienbild
ist, ebenso gut wie die Darstellung desselben Moments in naturgroßen Figuren,
welche die deutschen Fürsten dem Kaiser verehrt haben. Darf man aber ein
gleiches von dem Kongrcßbilde desselben Künstlers sagen? War der Berliner
Kongreß von 1878 eine politische Aktion von nachhaltiger, tief in das Leben
der Völker eingreifender Bedeutung? Erscheint er uns heute nicht vielmehr
nur uoch im Lichte einer Zeremonie, durch welche zu einem bestimmten Zeit¬
punkte das moralische Übergewicht Deutschlands über die andern Nationen
dargethan worden ist? Hat nicht auch der Künstler alles gethan, um die dar¬
gestellte Szene, die freundschaftliche Verabschiedung der Diplomaten von einander
am Schlüsse der letzten Sitzung, in die Sphäre des Familiären, man möchte
sagen Triviale" herabzudrücken? Das Bild enthält eine Reihe interessanter
Charakterköpfc, deren Besitzer zum Teil einen Platz in der politischen Geschichte
des neunzehnten Jahrhunderts auf die Dauer behaupten werden. Aber die Charak-
teristik geht nirgends in die Tiefe. Keine Figur ist von innen heraus erfaßt,
souderu jede ist so oberflächlich, so geschäftsmäßig hingestrichen. wie es eben der
ganzen Eigentümlichkeit des Künstlers entspricht, dessen Darstellungsmittel ver¬
sagen, sobald er in die Breite geht. Wir haben eine mit mäßiger Routine in
Farbe gesetzte Illustration in lebensgroßen Maßstabe vor uns, deren nüchterne
Auffassung vollkommen den Charakter eines photographischen Mvmentbildes an
sich trägt. Das ist das günstigste Urteil, welches sich nach gewissenhafter
Prüfung über das Kougreßbild fallen läßt. Die Abwesenheit anch des geringsten
malerischen Reizes liegt nicht so sehr in der Eigentümlichkeit des Künstlers be¬
gründet, als in seiner Unfähigkeit, umfangreiche Flächen koloristisch zu bewältigen.
So wie A. von Werner ins Große geht oder nach großartiger, monumentaler
Auffassung strebt, wird er fade und unbeholfen. Er steht dann seinem Stoffe
etwa so gegenüber wie der Protokollführer einer Gerichtsverhandlung. Er
beschränkt sich auf die Wiedergabe der nackten Thatsachen, ohne eigne Bemerkungen
zu machen. Als ein ganz andrer zeigt sich der Künstler, sobald er sich auf den
Maßstab beschränkt, für welchen seine Begabung ausreicht. Dann ist er bis zu
einem gewissen Grade geistreich, stets aber lebendig und wahr in der Schilderung
und anziehend im Kolorit, welches sogar auf einem ältern Bilde "Moltke mit
seinem Stäbe vor Paris," vielleicht der besten Schöpfung des Malers, namentlich
im landschaftlichen Teile bis zu einer ungewöhnlichen Wärme gesteigert ist. Den
humvrvollen, schlagfertigen Illustrator Scheffels erkennt man auch in einer
komischen Episode aus dem Kriege von 1870, dem Abschiede eines kriegsgefangnen
Franzosen von Weib und Kind in einem Dorfe vor Metz, wieder.

Was wir von A. von Werner sagen mußten, gilt in noch höherem Grade
von Paul Thnmann. dessen jüngste Versuche auf dem Gebiete der monumentalen


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

daß A. von Werners „Kaiserproklamation in Versailles," ein in kleinem Ma߬
stabe ausgeführtes Bild, welches dem Fürsten Bismarck von der kaiserlichen
Familie geschenkt worden ist, trotz seines geringen Umfanges ein Historienbild
ist, ebenso gut wie die Darstellung desselben Moments in naturgroßen Figuren,
welche die deutschen Fürsten dem Kaiser verehrt haben. Darf man aber ein
gleiches von dem Kongrcßbilde desselben Künstlers sagen? War der Berliner
Kongreß von 1878 eine politische Aktion von nachhaltiger, tief in das Leben
der Völker eingreifender Bedeutung? Erscheint er uns heute nicht vielmehr
nur uoch im Lichte einer Zeremonie, durch welche zu einem bestimmten Zeit¬
punkte das moralische Übergewicht Deutschlands über die andern Nationen
dargethan worden ist? Hat nicht auch der Künstler alles gethan, um die dar¬
gestellte Szene, die freundschaftliche Verabschiedung der Diplomaten von einander
am Schlüsse der letzten Sitzung, in die Sphäre des Familiären, man möchte
sagen Triviale» herabzudrücken? Das Bild enthält eine Reihe interessanter
Charakterköpfc, deren Besitzer zum Teil einen Platz in der politischen Geschichte
des neunzehnten Jahrhunderts auf die Dauer behaupten werden. Aber die Charak-
teristik geht nirgends in die Tiefe. Keine Figur ist von innen heraus erfaßt,
souderu jede ist so oberflächlich, so geschäftsmäßig hingestrichen. wie es eben der
ganzen Eigentümlichkeit des Künstlers entspricht, dessen Darstellungsmittel ver¬
sagen, sobald er in die Breite geht. Wir haben eine mit mäßiger Routine in
Farbe gesetzte Illustration in lebensgroßen Maßstabe vor uns, deren nüchterne
Auffassung vollkommen den Charakter eines photographischen Mvmentbildes an
sich trägt. Das ist das günstigste Urteil, welches sich nach gewissenhafter
Prüfung über das Kougreßbild fallen läßt. Die Abwesenheit anch des geringsten
malerischen Reizes liegt nicht so sehr in der Eigentümlichkeit des Künstlers be¬
gründet, als in seiner Unfähigkeit, umfangreiche Flächen koloristisch zu bewältigen.
So wie A. von Werner ins Große geht oder nach großartiger, monumentaler
Auffassung strebt, wird er fade und unbeholfen. Er steht dann seinem Stoffe
etwa so gegenüber wie der Protokollführer einer Gerichtsverhandlung. Er
beschränkt sich auf die Wiedergabe der nackten Thatsachen, ohne eigne Bemerkungen
zu machen. Als ein ganz andrer zeigt sich der Künstler, sobald er sich auf den
Maßstab beschränkt, für welchen seine Begabung ausreicht. Dann ist er bis zu
einem gewissen Grade geistreich, stets aber lebendig und wahr in der Schilderung
und anziehend im Kolorit, welches sogar auf einem ältern Bilde „Moltke mit
seinem Stäbe vor Paris," vielleicht der besten Schöpfung des Malers, namentlich
im landschaftlichen Teile bis zu einer ungewöhnlichen Wärme gesteigert ist. Den
humvrvollen, schlagfertigen Illustrator Scheffels erkennt man auch in einer
komischen Episode aus dem Kriege von 1870, dem Abschiede eines kriegsgefangnen
Franzosen von Weib und Kind in einem Dorfe vor Metz, wieder.

Was wir von A. von Werner sagen mußten, gilt in noch höherem Grade
von Paul Thnmann. dessen jüngste Versuche auf dem Gebiete der monumentalen


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[0267] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung. daß A. von Werners „Kaiserproklamation in Versailles," ein in kleinem Ma߬ stabe ausgeführtes Bild, welches dem Fürsten Bismarck von der kaiserlichen Familie geschenkt worden ist, trotz seines geringen Umfanges ein Historienbild ist, ebenso gut wie die Darstellung desselben Moments in naturgroßen Figuren, welche die deutschen Fürsten dem Kaiser verehrt haben. Darf man aber ein gleiches von dem Kongrcßbilde desselben Künstlers sagen? War der Berliner Kongreß von 1878 eine politische Aktion von nachhaltiger, tief in das Leben der Völker eingreifender Bedeutung? Erscheint er uns heute nicht vielmehr nur uoch im Lichte einer Zeremonie, durch welche zu einem bestimmten Zeit¬ punkte das moralische Übergewicht Deutschlands über die andern Nationen dargethan worden ist? Hat nicht auch der Künstler alles gethan, um die dar¬ gestellte Szene, die freundschaftliche Verabschiedung der Diplomaten von einander am Schlüsse der letzten Sitzung, in die Sphäre des Familiären, man möchte sagen Triviale» herabzudrücken? Das Bild enthält eine Reihe interessanter Charakterköpfc, deren Besitzer zum Teil einen Platz in der politischen Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts auf die Dauer behaupten werden. Aber die Charak- teristik geht nirgends in die Tiefe. Keine Figur ist von innen heraus erfaßt, souderu jede ist so oberflächlich, so geschäftsmäßig hingestrichen. wie es eben der ganzen Eigentümlichkeit des Künstlers entspricht, dessen Darstellungsmittel ver¬ sagen, sobald er in die Breite geht. Wir haben eine mit mäßiger Routine in Farbe gesetzte Illustration in lebensgroßen Maßstabe vor uns, deren nüchterne Auffassung vollkommen den Charakter eines photographischen Mvmentbildes an sich trägt. Das ist das günstigste Urteil, welches sich nach gewissenhafter Prüfung über das Kougreßbild fallen läßt. Die Abwesenheit anch des geringsten malerischen Reizes liegt nicht so sehr in der Eigentümlichkeit des Künstlers be¬ gründet, als in seiner Unfähigkeit, umfangreiche Flächen koloristisch zu bewältigen. So wie A. von Werner ins Große geht oder nach großartiger, monumentaler Auffassung strebt, wird er fade und unbeholfen. Er steht dann seinem Stoffe etwa so gegenüber wie der Protokollführer einer Gerichtsverhandlung. Er beschränkt sich auf die Wiedergabe der nackten Thatsachen, ohne eigne Bemerkungen zu machen. Als ein ganz andrer zeigt sich der Künstler, sobald er sich auf den Maßstab beschränkt, für welchen seine Begabung ausreicht. Dann ist er bis zu einem gewissen Grade geistreich, stets aber lebendig und wahr in der Schilderung und anziehend im Kolorit, welches sogar auf einem ältern Bilde „Moltke mit seinem Stäbe vor Paris," vielleicht der besten Schöpfung des Malers, namentlich im landschaftlichen Teile bis zu einer ungewöhnlichen Wärme gesteigert ist. Den humvrvollen, schlagfertigen Illustrator Scheffels erkennt man auch in einer komischen Episode aus dem Kriege von 1870, dem Abschiede eines kriegsgefangnen Franzosen von Weib und Kind in einem Dorfe vor Metz, wieder. Was wir von A. von Werner sagen mußten, gilt in noch höherem Grade von Paul Thnmann. dessen jüngste Versuche auf dem Gebiete der monumentalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/267>, abgerufen am 22.07.2024.