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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Levante mit der türkischen fast ganz überein. Reis ist das Alpha und Omega
jeder Mahlzeit, und ein solcher "Pillas" mit seinen verschiednen Ingredienzien
kann es mit jedem italienischen "Risotto" aufnehmen. Sehr beliebt sind die
süßen Speisen, meist mit Honig bereitet, der noch sein altes Renommee vom
Hymettus behauptet. Gemüse und Obst könnten in diesem herrlichen Klima
Wohl besser sein, es geschieht eben nichts zu ihrer Veredlung. Der Grieche findet
an der Landwirtschaft nur mäßigen Gefallen, hat auch wenig Sinn für die
Schönheiten und Annehmlichkeiten der Natur, und die Albanesen, welche den
Markt von Athen hauptsächlich versehen, verharren in ihrem Schlendrian.
Gartenkunst und Botanik stehen auf tiefer Stufe. Der Schloßgarten ist zwar
das unvergängliche Denkmal der Königin Amalie und verdankt ihrer Freigebigkeit
und dem Talent eines deutschen Direktors, was er geworden ist; doch erkennt man
nur zu sehr, daß jetzt beide fehlen. Der botanische Garten hat gleichfalls deutsche
Leitung, hat aber mit Unzulänglichkeit der Mittel zu kämpfen. Ich habe in ganz
Athen keinen Blumenladen entdeckt, man zieht es vor, sich mit Flitter und
Tand zu schmücken, und das Talmigold findet reißenden Absatz bis in die
untersten Schichten. Allerdings ist der steinige, trockene Boden Attikas der
Flora wenig günstig, am meisten sieht man ihre Kinder noch bei den Toten, mit
denen man hier überhaupt in eigner Weise umzugehen Pflegt, sodaß jeder
Reisende selbst bei kurzem Aufenthalte sich dies Schauspiel nicht entgehen lassen
sollte. Die Toten werden nicht nur im offnen Sarge für alle Welt aus¬
gestellt, sondern auch so durch die Straßen bis zum Friedhof hinausgetragen.
Die Leiche ist so fein als möglich gekleidet, mit Schmuck überladen, mit Blumen
garnirt. Um die Schrecken des Todes zu entfernen, sind die Lippen und Wangen
mit Karmin gerötet. Die Einsegnung geschieht unter ohrenzerreißenden Lamen¬
tationen, wer an der Kirche vorübergeht, wird eingeladen, einzutreten, und
erhält eine brennende Kerze. Nach der Zeremonie nahen die Verwandten und
Freunde dem Toten und küssen ihm rin Profusion Hände und -- Gesicht.
Darauf setzt sich der Zug in Bewegung und es ist Sitte, daß, wer ihm begegnet,
ein paar hundert Schritte ihn begleitet. Alle Fenster öffnen sich, und die Arme
bewegen sich mit mechanischer Gewohnheit in Kreuzesform. Was so jeder Tote
von nur einiger Bedeutung an Ehren genießt, tritt natürlich bei hohen Persön¬
lichkeiten, besonders Geistlichen, in verstärktem Maße hervor. Ich erinnere mich
noch an meinen ersten Aufenthalt, daß ein Erzbischof gestorben war. Sein
Leichnam wurde sitzend auf dem Kirchenstuhl getragen und zwar so tief, daß
das niedcrlnieende Volk die herabhängenden Hände ergreifen und küssen konnte.
Damit er nicht nach vorwärts hatte, war er an die Lehne angebunden. Der
Prozession wohnte der gesamte Klerus in vollstem Ornate -- und die byzan¬
tinische Goldstickerei ist das vollkommenste, was man sehen kann, der römischen
weit überlegen --, die Minister, das Militär, kurz alles, was in Staat und
Stadt Rang hatte, bei. Daß es an Rauchwerk nicht mangelte, läßt sich be-


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

Levante mit der türkischen fast ganz überein. Reis ist das Alpha und Omega
jeder Mahlzeit, und ein solcher „Pillas" mit seinen verschiednen Ingredienzien
kann es mit jedem italienischen „Risotto" aufnehmen. Sehr beliebt sind die
süßen Speisen, meist mit Honig bereitet, der noch sein altes Renommee vom
Hymettus behauptet. Gemüse und Obst könnten in diesem herrlichen Klima
Wohl besser sein, es geschieht eben nichts zu ihrer Veredlung. Der Grieche findet
an der Landwirtschaft nur mäßigen Gefallen, hat auch wenig Sinn für die
Schönheiten und Annehmlichkeiten der Natur, und die Albanesen, welche den
Markt von Athen hauptsächlich versehen, verharren in ihrem Schlendrian.
Gartenkunst und Botanik stehen auf tiefer Stufe. Der Schloßgarten ist zwar
das unvergängliche Denkmal der Königin Amalie und verdankt ihrer Freigebigkeit
und dem Talent eines deutschen Direktors, was er geworden ist; doch erkennt man
nur zu sehr, daß jetzt beide fehlen. Der botanische Garten hat gleichfalls deutsche
Leitung, hat aber mit Unzulänglichkeit der Mittel zu kämpfen. Ich habe in ganz
Athen keinen Blumenladen entdeckt, man zieht es vor, sich mit Flitter und
Tand zu schmücken, und das Talmigold findet reißenden Absatz bis in die
untersten Schichten. Allerdings ist der steinige, trockene Boden Attikas der
Flora wenig günstig, am meisten sieht man ihre Kinder noch bei den Toten, mit
denen man hier überhaupt in eigner Weise umzugehen Pflegt, sodaß jeder
Reisende selbst bei kurzem Aufenthalte sich dies Schauspiel nicht entgehen lassen
sollte. Die Toten werden nicht nur im offnen Sarge für alle Welt aus¬
gestellt, sondern auch so durch die Straßen bis zum Friedhof hinausgetragen.
Die Leiche ist so fein als möglich gekleidet, mit Schmuck überladen, mit Blumen
garnirt. Um die Schrecken des Todes zu entfernen, sind die Lippen und Wangen
mit Karmin gerötet. Die Einsegnung geschieht unter ohrenzerreißenden Lamen¬
tationen, wer an der Kirche vorübergeht, wird eingeladen, einzutreten, und
erhält eine brennende Kerze. Nach der Zeremonie nahen die Verwandten und
Freunde dem Toten und küssen ihm rin Profusion Hände und — Gesicht.
Darauf setzt sich der Zug in Bewegung und es ist Sitte, daß, wer ihm begegnet,
ein paar hundert Schritte ihn begleitet. Alle Fenster öffnen sich, und die Arme
bewegen sich mit mechanischer Gewohnheit in Kreuzesform. Was so jeder Tote
von nur einiger Bedeutung an Ehren genießt, tritt natürlich bei hohen Persön¬
lichkeiten, besonders Geistlichen, in verstärktem Maße hervor. Ich erinnere mich
noch an meinen ersten Aufenthalt, daß ein Erzbischof gestorben war. Sein
Leichnam wurde sitzend auf dem Kirchenstuhl getragen und zwar so tief, daß
das niedcrlnieende Volk die herabhängenden Hände ergreifen und küssen konnte.
Damit er nicht nach vorwärts hatte, war er an die Lehne angebunden. Der
Prozession wohnte der gesamte Klerus in vollstem Ornate — und die byzan¬
tinische Goldstickerei ist das vollkommenste, was man sehen kann, der römischen
weit überlegen —, die Minister, das Militär, kurz alles, was in Staat und
Stadt Rang hatte, bei. Daß es an Rauchwerk nicht mangelte, läßt sich be-


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[0263] Skizzen aus der Levante und Griechenland. Levante mit der türkischen fast ganz überein. Reis ist das Alpha und Omega jeder Mahlzeit, und ein solcher „Pillas" mit seinen verschiednen Ingredienzien kann es mit jedem italienischen „Risotto" aufnehmen. Sehr beliebt sind die süßen Speisen, meist mit Honig bereitet, der noch sein altes Renommee vom Hymettus behauptet. Gemüse und Obst könnten in diesem herrlichen Klima Wohl besser sein, es geschieht eben nichts zu ihrer Veredlung. Der Grieche findet an der Landwirtschaft nur mäßigen Gefallen, hat auch wenig Sinn für die Schönheiten und Annehmlichkeiten der Natur, und die Albanesen, welche den Markt von Athen hauptsächlich versehen, verharren in ihrem Schlendrian. Gartenkunst und Botanik stehen auf tiefer Stufe. Der Schloßgarten ist zwar das unvergängliche Denkmal der Königin Amalie und verdankt ihrer Freigebigkeit und dem Talent eines deutschen Direktors, was er geworden ist; doch erkennt man nur zu sehr, daß jetzt beide fehlen. Der botanische Garten hat gleichfalls deutsche Leitung, hat aber mit Unzulänglichkeit der Mittel zu kämpfen. Ich habe in ganz Athen keinen Blumenladen entdeckt, man zieht es vor, sich mit Flitter und Tand zu schmücken, und das Talmigold findet reißenden Absatz bis in die untersten Schichten. Allerdings ist der steinige, trockene Boden Attikas der Flora wenig günstig, am meisten sieht man ihre Kinder noch bei den Toten, mit denen man hier überhaupt in eigner Weise umzugehen Pflegt, sodaß jeder Reisende selbst bei kurzem Aufenthalte sich dies Schauspiel nicht entgehen lassen sollte. Die Toten werden nicht nur im offnen Sarge für alle Welt aus¬ gestellt, sondern auch so durch die Straßen bis zum Friedhof hinausgetragen. Die Leiche ist so fein als möglich gekleidet, mit Schmuck überladen, mit Blumen garnirt. Um die Schrecken des Todes zu entfernen, sind die Lippen und Wangen mit Karmin gerötet. Die Einsegnung geschieht unter ohrenzerreißenden Lamen¬ tationen, wer an der Kirche vorübergeht, wird eingeladen, einzutreten, und erhält eine brennende Kerze. Nach der Zeremonie nahen die Verwandten und Freunde dem Toten und küssen ihm rin Profusion Hände und — Gesicht. Darauf setzt sich der Zug in Bewegung und es ist Sitte, daß, wer ihm begegnet, ein paar hundert Schritte ihn begleitet. Alle Fenster öffnen sich, und die Arme bewegen sich mit mechanischer Gewohnheit in Kreuzesform. Was so jeder Tote von nur einiger Bedeutung an Ehren genießt, tritt natürlich bei hohen Persön¬ lichkeiten, besonders Geistlichen, in verstärktem Maße hervor. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Aufenthalt, daß ein Erzbischof gestorben war. Sein Leichnam wurde sitzend auf dem Kirchenstuhl getragen und zwar so tief, daß das niedcrlnieende Volk die herabhängenden Hände ergreifen und küssen konnte. Damit er nicht nach vorwärts hatte, war er an die Lehne angebunden. Der Prozession wohnte der gesamte Klerus in vollstem Ornate — und die byzan¬ tinische Goldstickerei ist das vollkommenste, was man sehen kann, der römischen weit überlegen —, die Minister, das Militär, kurz alles, was in Staat und Stadt Rang hatte, bei. Daß es an Rauchwerk nicht mangelte, läßt sich be-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/263>, abgerufen am 22.07.2024.