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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Skizzen aus der Levante und Griechenland.

unsre Begriffe vom Adel verbinden. Dergleichen giebt es, wie ich schon be¬
merkte, in ganz Griechenland nicht, und noch weniger weiß man in der Türkei,
was "blaues Blut" heißt. Mögen daher auch die Fcmarioteu eine Ahnentafel
aufweisen, um welche sie mancher unsrer Junker beneidet, sie sind doch nur
simple "Herren" geblieben und dürfen sich offiziell nicht einmal mit einem "von"
schreiben. Die griechischen Prinzen und Fürsten, die zu Zeiten bei uns ein¬
kehren, sind selbstgemachte Arbeit. Der Titel eines Hospodaren erbte nie auf
die Kinder. Mit dem Sack Dukaten, womit sie früher auf Reisen erblickt
wurden, sind sie heute ziemlich auf den Grund gelangt. Bekannt ist, daß sie
zweierlei Visitenkarten haben, die eine für Baden, Paris und andre Hauptstädte,
die zweite für ihre Heimat. Auf jener heißt es: I^v xriiuzs IsiÄors LÄUllmolli,
auf dieser: Ur. Isiäurs L!iMma<:in. Die Vernünftigen unter ihnen fügen sich
in die neuen Verhältnisse und treten in den bürgerlichen Verband des Stamm¬
landes über, die unverbesserlichen Reaktionäre versteinern in ihren Ruinen in
Stambul und sterben nach und nach aus.

Von der Wißbegierde und der Lust zu lernen und zu studiren läßt sich
erwarten, daß Gutenbergs Erfindung durch zahlreiche Anstalten vertreten ist.
Man zählt im Lande über fünfzig Druckereien, wovon die Hälfte allein in Athen
ist. neuerdings sind große Schriftgießereien begründet worden, obgleich noch
der Hauptbedarf vom Auslande bezogen wird. Die meiste Arbeit liefern die
Journale, worin bis jetzt die Nativnalliteratur ihren wesentlichen Ausdruck ge¬
funden hat. Ich glaube, daß rede" den Engländern und Amerikanern die Griechen
die eifrigsten Zeitungsleser sind, und zwar bis in die untersten Stände und in
die abgelegensten Orte, wo kaum einmal in der Woche die Post hinkommt. Ju
der Hauptstadt erscheinen über 20 Zeitungen mit unbeschränkter Preßfreiheit und
nicht ohne Talent geschrieben, dabei ganz anstündig ausgestattet und äußerst
billig, die Nummer 5 Leptas (4 Pf.). Als hervorragendste verdienen Erwäh¬
nung die alten und neuen "Ephemerides" (Tagblatt), der "Avr" (Jahrhundert),
die "Hora" (Stunde), letztere offiziös. Die große Mehrzahl gehört zur Oppo¬
sition, die vielen unbeschäftigten Advokaten sind die fleißigsten Mitarbeiter. Es
giebt auch zwei französische Blätter, die aber wenig behagen und meist Pariser
Klatsch reproduziren. Ein großes, gediegnes Organ in dieser Sprache wäre
gewiß erwünscht, um das Ausland mit den hiesigen Zuständen bekannt zu machen,
Griechisch wird auswärts zu wenig verstanden, und was wir in der Schule gelernt
haben, haben wir verschwitzt. Daß in der Tagespresse die Politik obenan steht,
bedarf keiner Versicherung. Die Leidenschaft dafür ist epidemisch, der Schau¬
platz ist unter freiem Himmel vor dem Kaffeehause. Die Blätter werden noch
feucht den Trägern aus den Händen gerissen. Findet sich ein zündender Leit¬
artikel, so springt der erste beste auf deu Tisch und trägt ihn der Gemeinde
vor. Dabei wird das Gedränge und der Lärm manchmal so arg, daß ein Fremder
glaubt, es werde mindestens eine Straßencmeute ausbrechen. Da man aber


Skizzen aus der Levante und Griechenland.

unsre Begriffe vom Adel verbinden. Dergleichen giebt es, wie ich schon be¬
merkte, in ganz Griechenland nicht, und noch weniger weiß man in der Türkei,
was „blaues Blut" heißt. Mögen daher auch die Fcmarioteu eine Ahnentafel
aufweisen, um welche sie mancher unsrer Junker beneidet, sie sind doch nur
simple „Herren" geblieben und dürfen sich offiziell nicht einmal mit einem „von"
schreiben. Die griechischen Prinzen und Fürsten, die zu Zeiten bei uns ein¬
kehren, sind selbstgemachte Arbeit. Der Titel eines Hospodaren erbte nie auf
die Kinder. Mit dem Sack Dukaten, womit sie früher auf Reisen erblickt
wurden, sind sie heute ziemlich auf den Grund gelangt. Bekannt ist, daß sie
zweierlei Visitenkarten haben, die eine für Baden, Paris und andre Hauptstädte,
die zweite für ihre Heimat. Auf jener heißt es: I^v xriiuzs IsiÄors LÄUllmolli,
auf dieser: Ur. Isiäurs L!iMma<:in. Die Vernünftigen unter ihnen fügen sich
in die neuen Verhältnisse und treten in den bürgerlichen Verband des Stamm¬
landes über, die unverbesserlichen Reaktionäre versteinern in ihren Ruinen in
Stambul und sterben nach und nach aus.

Von der Wißbegierde und der Lust zu lernen und zu studiren läßt sich
erwarten, daß Gutenbergs Erfindung durch zahlreiche Anstalten vertreten ist.
Man zählt im Lande über fünfzig Druckereien, wovon die Hälfte allein in Athen
ist. neuerdings sind große Schriftgießereien begründet worden, obgleich noch
der Hauptbedarf vom Auslande bezogen wird. Die meiste Arbeit liefern die
Journale, worin bis jetzt die Nativnalliteratur ihren wesentlichen Ausdruck ge¬
funden hat. Ich glaube, daß rede» den Engländern und Amerikanern die Griechen
die eifrigsten Zeitungsleser sind, und zwar bis in die untersten Stände und in
die abgelegensten Orte, wo kaum einmal in der Woche die Post hinkommt. Ju
der Hauptstadt erscheinen über 20 Zeitungen mit unbeschränkter Preßfreiheit und
nicht ohne Talent geschrieben, dabei ganz anstündig ausgestattet und äußerst
billig, die Nummer 5 Leptas (4 Pf.). Als hervorragendste verdienen Erwäh¬
nung die alten und neuen „Ephemerides" (Tagblatt), der „Avr" (Jahrhundert),
die „Hora" (Stunde), letztere offiziös. Die große Mehrzahl gehört zur Oppo¬
sition, die vielen unbeschäftigten Advokaten sind die fleißigsten Mitarbeiter. Es
giebt auch zwei französische Blätter, die aber wenig behagen und meist Pariser
Klatsch reproduziren. Ein großes, gediegnes Organ in dieser Sprache wäre
gewiß erwünscht, um das Ausland mit den hiesigen Zuständen bekannt zu machen,
Griechisch wird auswärts zu wenig verstanden, und was wir in der Schule gelernt
haben, haben wir verschwitzt. Daß in der Tagespresse die Politik obenan steht,
bedarf keiner Versicherung. Die Leidenschaft dafür ist epidemisch, der Schau¬
platz ist unter freiem Himmel vor dem Kaffeehause. Die Blätter werden noch
feucht den Trägern aus den Händen gerissen. Findet sich ein zündender Leit¬
artikel, so springt der erste beste auf deu Tisch und trägt ihn der Gemeinde
vor. Dabei wird das Gedränge und der Lärm manchmal so arg, daß ein Fremder
glaubt, es werde mindestens eine Straßencmeute ausbrechen. Da man aber


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/260>, abgerufen am 25.08.2024.