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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Der oberösterreichische Bcmernphilosoph.

Freundschaft Ludwig Feuerbachs finde. Vor zwei Jahren ist dieser merk¬
würdige Mann, Konrad Denbler in Goisern, gestorben und jetzt liegen uns
in zwei ziemlich starken Bänden sein Leben und sein Briefwechsel vor (Leipzig,
B. Elischer, 1886).

Als wir den ersten Band aufschlugen und ein Bildnis des Helden in --
Stahlstich erblickten, beschlich uns eine bange Ahnung. Der Mann, welchem
stets nachgerühmt worden ist, daß er bei all seiner Gedankenarbeit und dem
Umgänge mit den "erleuchtetsten Geistern der Nation" ein echter und rechter
Bauer geblieben sei (was sein Leben und seine Briefe auch in mehr als einem
Sinne bestätigen), und die unkünstlerischste Art graphischer Reproduktion, die in
ihrer Charakterlosigkeit und Verwaschenheit so recht bezeichnend für die Zeit vor
fünfzig Jahren ist, und von der wir glaubten, daß sie bereits der Vergessenheit ver¬
fallen sei! Und dies Vorgefühl hat nicht getrogen. Der Anteil des Heraus¬
gebers, Professor Döbel-Port in Zürich, an der Publikation steht auf dem
Niveau des Stahlstichporträts und könnte dem Leser fast den Genuß des Guten,
welches die Bände enthalten, verleiden. Dieser Herr ist, wie man gelegentlich
erfährt, Professor der Botanik und mag in seinem Fache sehr tüchtig sein; er
nennt sich mit Stolz einen Freidenker, und hat hierauf insofern ein Recht, als
bei diesem Worte bekanntlich der Ton auf die erste, nicht auf die zweite Silbe
gelegt wird; aber zum Geschichtschreiber hat ihn -- ja, wie weiter? Sagten
wir: Gott habe ihn im Zorne zum Geschichtschreiber gemacht, so würden wir
uns die Verachtung des Freidenkers zuziehen, und die Natur können wir uns
doch nicht von solcher Schwäche beeinflußt denken; also: zum Geschichtschreiber
hat er sich nur aus Versehen gemacht. Er besitzt dazu auch nicht eine einzige
Eigenschaft. Wie oft man sich jeden einzelnen Umstand, von Deublers Grübeleien
bis zum guten Kaffee der Frau Nandi, erzählen lasfett muß, ist garnicht nach-
zurechueu, Das Beste in den beiden Bänden ist die unvollendet gebliebene
Selbstbiographie Deublers; diese leitet der Herausgeber mit einem Auszuge aus
derselben ein, begleitet sie mit den überflüssigsten, auch wohl unrichtigen, meisten¬
teils sehr abgeschmackten Anmerkungen, und wiederholt die Einzelheiten derselben
immer wieder; alles halbwegs Wichtige aus deu Briefen von und an Denbler
wird in der weitern Lebensbeschreibung, oft nicht nur einmal, wörtlich zitirt.
und dessenungeachtet ist der ganze zweite Band, 23 Bogen, mit diesen, meist
des Druckes gänzlich unwerten Dokumenten gefüllt. Der Inhalt der beiden
Bände ans höchstens ein Dritten ihres Umfanges zusammengedrängt, würde
ein lesbares und lesenswertes Buch geliefert haben. Dafür lernen wir aller¬
dings, daß es auch schon ein materialistisches Pfaffentum giebt. Was deu Pfaffen
charcikterisirt, findet sich bei Herrn Döbel-Port. Er besitzt den alleinseligmachenden
Glauben (daß er ihn "Wissen" tauft, macht natürlich keinen Unterschied), jede
andre Überzeugung, auch bei übrigens noch so weit fortgeschrittenen Philosophen
und Naturforschern, ist ihm ein Greuel, und im Drehen und Deuteln hat er


Der oberösterreichische Bcmernphilosoph.

Freundschaft Ludwig Feuerbachs finde. Vor zwei Jahren ist dieser merk¬
würdige Mann, Konrad Denbler in Goisern, gestorben und jetzt liegen uns
in zwei ziemlich starken Bänden sein Leben und sein Briefwechsel vor (Leipzig,
B. Elischer, 1886).

Als wir den ersten Band aufschlugen und ein Bildnis des Helden in —
Stahlstich erblickten, beschlich uns eine bange Ahnung. Der Mann, welchem
stets nachgerühmt worden ist, daß er bei all seiner Gedankenarbeit und dem
Umgänge mit den „erleuchtetsten Geistern der Nation" ein echter und rechter
Bauer geblieben sei (was sein Leben und seine Briefe auch in mehr als einem
Sinne bestätigen), und die unkünstlerischste Art graphischer Reproduktion, die in
ihrer Charakterlosigkeit und Verwaschenheit so recht bezeichnend für die Zeit vor
fünfzig Jahren ist, und von der wir glaubten, daß sie bereits der Vergessenheit ver¬
fallen sei! Und dies Vorgefühl hat nicht getrogen. Der Anteil des Heraus¬
gebers, Professor Döbel-Port in Zürich, an der Publikation steht auf dem
Niveau des Stahlstichporträts und könnte dem Leser fast den Genuß des Guten,
welches die Bände enthalten, verleiden. Dieser Herr ist, wie man gelegentlich
erfährt, Professor der Botanik und mag in seinem Fache sehr tüchtig sein; er
nennt sich mit Stolz einen Freidenker, und hat hierauf insofern ein Recht, als
bei diesem Worte bekanntlich der Ton auf die erste, nicht auf die zweite Silbe
gelegt wird; aber zum Geschichtschreiber hat ihn — ja, wie weiter? Sagten
wir: Gott habe ihn im Zorne zum Geschichtschreiber gemacht, so würden wir
uns die Verachtung des Freidenkers zuziehen, und die Natur können wir uns
doch nicht von solcher Schwäche beeinflußt denken; also: zum Geschichtschreiber
hat er sich nur aus Versehen gemacht. Er besitzt dazu auch nicht eine einzige
Eigenschaft. Wie oft man sich jeden einzelnen Umstand, von Deublers Grübeleien
bis zum guten Kaffee der Frau Nandi, erzählen lasfett muß, ist garnicht nach-
zurechueu, Das Beste in den beiden Bänden ist die unvollendet gebliebene
Selbstbiographie Deublers; diese leitet der Herausgeber mit einem Auszuge aus
derselben ein, begleitet sie mit den überflüssigsten, auch wohl unrichtigen, meisten¬
teils sehr abgeschmackten Anmerkungen, und wiederholt die Einzelheiten derselben
immer wieder; alles halbwegs Wichtige aus deu Briefen von und an Denbler
wird in der weitern Lebensbeschreibung, oft nicht nur einmal, wörtlich zitirt.
und dessenungeachtet ist der ganze zweite Band, 23 Bogen, mit diesen, meist
des Druckes gänzlich unwerten Dokumenten gefüllt. Der Inhalt der beiden
Bände ans höchstens ein Dritten ihres Umfanges zusammengedrängt, würde
ein lesbares und lesenswertes Buch geliefert haben. Dafür lernen wir aller¬
dings, daß es auch schon ein materialistisches Pfaffentum giebt. Was deu Pfaffen
charcikterisirt, findet sich bei Herrn Döbel-Port. Er besitzt den alleinseligmachenden
Glauben (daß er ihn „Wissen" tauft, macht natürlich keinen Unterschied), jede
andre Überzeugung, auch bei übrigens noch so weit fortgeschrittenen Philosophen
und Naturforschern, ist ihm ein Greuel, und im Drehen und Deuteln hat er


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/24>, abgerufen am 03.07.2024.