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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.

er gestünde, seine Begeisterung für die Rübenzuckerfabrikation habe ihn getäuscht,
seine Versuche im großen hätten ihm die Nichtigkeit seiner ersten Versuche be¬
wiesen, und er habe die sehr verdrießliche Überzeugung gewonnen, daß der
Rübenzucker den Rohrzucker nicht zu ersetzen vermöge." Achard hat sich durch
derartige Anerbietungen nie verleiten lassen, zum Verräter an seiner guten
Sache zu werden. Sie werden ihn im Gegenteile sicherer gemacht und ange¬
spornt haben, dem Ziele mit mehr Eifer zuzustreben. Er hätte es auch erreicht,
wenn die Kriegsjahre nicht dazwischen gekommen wären. Nach der Wiederkehr
des Friedens war der jetzt dreiundsechzig Jahre alte, von Wassersucht geplagte
und geschwächte Mann nicht mehr fähig, schaffend und anregend zu wirken. Das
Aufgehen und Blühen der von ihm ausgestreuten Saat sollte er nicht sehen, der
königliche Förderer seiner Arbeit dagegen hat noch die Genugthuung gehabt, zu
beobachten, wie der in seinen ersten Regiernngsjahren sorgfältig von ihm ge¬
pflegte Keim zu einer kräftigen Ausbildung für die Landwirtschaft und für die
gesamte Volkswvhlfcchrt gelangte und wesentlich zur Mehrung des Nationalreich¬
tums beitrug."

Unbillig wäre es, die Verdienste Achards mit dem Maßstabe der Kennt-
nisse unsrer Tage zu messen. Dagegen muß eins derselben besonders betont
werden. Die junge Industrie konnte sich nur gleichen Schrittes mit den Hilfs¬
wissenschaften emporarbeiten, sie konnte durch politische Ereignisse zum Still¬
stehen gebracht werden; aber vor völligem Eingehen und Vergessenwerden war
sie schon dadurch bewahrt, daß Achard selbst fleißig über sie geschrieben und
andre angeregt hatte, über sie zu schreiben. So hatte Deutschland schon ein
Jahrzehnt früher als seine Nachbarn eine umfangreiche die Nübenzuckererzeugnng
betreffende Literatur aufzuweisen (Scheibler führt einundzwanzig von 1799 bis
1812 erschienene Schriften an). In Frankreich entwickelte sich jene In¬
dustrie und mit ihr eine Literatur erst von 1812 an, infolge der Anregung,
welche Napoleons Dekrete vom März 1811 gaben. Aber diese allein hätten
diese Industrie gewiß nicht zu ihrer heutigen riesenhaften Größe emporwachsen
lassen. Eine verbesserte Chemie und Mechanik mußte hinzutreten. "Der Ersatz
menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen, sagt Scheibler, das Kochen der
Nübeusäfte mit Dampf und unter vermindertem Drucke, die Kalkscheidung und
die Anwendung der Knochenkohle waren Faktoren, über welche Achard nicht
verfügte und welche in den folgenden Jahrzehnten der Industrie die Richtung
gaben, in der sie sich im gemeinsamen Wetteifer der Nationen ausgebildet hat."
Aber alle Wege, welche die Rübenzuckerindustrie bei dieser Entwicklung einge¬
schlagen oder durchlaufen hat, führen auf Achards Laboratorien und Fabriken
als auf ihre Ausgangspunkte zurück. Er verdient reichlich, daß Scheibler, selbst
vielfach um diese Industrie verdient und jetzt der erste Kenner derselbe", ihm lite¬
rarisch ein Denkmal errichtete.




Die Begründer der Fabrikation europäischen Zuckers.

er gestünde, seine Begeisterung für die Rübenzuckerfabrikation habe ihn getäuscht,
seine Versuche im großen hätten ihm die Nichtigkeit seiner ersten Versuche be¬
wiesen, und er habe die sehr verdrießliche Überzeugung gewonnen, daß der
Rübenzucker den Rohrzucker nicht zu ersetzen vermöge.« Achard hat sich durch
derartige Anerbietungen nie verleiten lassen, zum Verräter an seiner guten
Sache zu werden. Sie werden ihn im Gegenteile sicherer gemacht und ange¬
spornt haben, dem Ziele mit mehr Eifer zuzustreben. Er hätte es auch erreicht,
wenn die Kriegsjahre nicht dazwischen gekommen wären. Nach der Wiederkehr
des Friedens war der jetzt dreiundsechzig Jahre alte, von Wassersucht geplagte
und geschwächte Mann nicht mehr fähig, schaffend und anregend zu wirken. Das
Aufgehen und Blühen der von ihm ausgestreuten Saat sollte er nicht sehen, der
königliche Förderer seiner Arbeit dagegen hat noch die Genugthuung gehabt, zu
beobachten, wie der in seinen ersten Regiernngsjahren sorgfältig von ihm ge¬
pflegte Keim zu einer kräftigen Ausbildung für die Landwirtschaft und für die
gesamte Volkswvhlfcchrt gelangte und wesentlich zur Mehrung des Nationalreich¬
tums beitrug."

Unbillig wäre es, die Verdienste Achards mit dem Maßstabe der Kennt-
nisse unsrer Tage zu messen. Dagegen muß eins derselben besonders betont
werden. Die junge Industrie konnte sich nur gleichen Schrittes mit den Hilfs¬
wissenschaften emporarbeiten, sie konnte durch politische Ereignisse zum Still¬
stehen gebracht werden; aber vor völligem Eingehen und Vergessenwerden war
sie schon dadurch bewahrt, daß Achard selbst fleißig über sie geschrieben und
andre angeregt hatte, über sie zu schreiben. So hatte Deutschland schon ein
Jahrzehnt früher als seine Nachbarn eine umfangreiche die Nübenzuckererzeugnng
betreffende Literatur aufzuweisen (Scheibler führt einundzwanzig von 1799 bis
1812 erschienene Schriften an). In Frankreich entwickelte sich jene In¬
dustrie und mit ihr eine Literatur erst von 1812 an, infolge der Anregung,
welche Napoleons Dekrete vom März 1811 gaben. Aber diese allein hätten
diese Industrie gewiß nicht zu ihrer heutigen riesenhaften Größe emporwachsen
lassen. Eine verbesserte Chemie und Mechanik mußte hinzutreten. „Der Ersatz
menschlicher Arbeitskraft durch Maschinen, sagt Scheibler, das Kochen der
Nübeusäfte mit Dampf und unter vermindertem Drucke, die Kalkscheidung und
die Anwendung der Knochenkohle waren Faktoren, über welche Achard nicht
verfügte und welche in den folgenden Jahrzehnten der Industrie die Richtung
gaben, in der sie sich im gemeinsamen Wetteifer der Nationen ausgebildet hat."
Aber alle Wege, welche die Rübenzuckerindustrie bei dieser Entwicklung einge¬
schlagen oder durchlaufen hat, führen auf Achards Laboratorien und Fabriken
als auf ihre Ausgangspunkte zurück. Er verdient reichlich, daß Scheibler, selbst
vielfach um diese Industrie verdient und jetzt der erste Kenner derselbe», ihm lite¬
rarisch ein Denkmal errichtete.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/237>, abgerufen am 22.07.2024.