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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung.

Armen davonträgt, ein hünenhafter Gothe, der zum Todesstoße gegen einen
zu Boden gesunkenen Römer ausholt. Diesem reichen Aufwande von Gruppen
und Einzelfiguren, welche sich von einer gewaltigen Architektur abheben, fehlt
nur eines: das wirkliche Leben. Es ist der Aktschluß eiuer Oper oder einer
historischen Jambentragödie, wo auf einen Wink des Regisseurs Solisten und
Statisten die vorher verabredete und eiustudirte Stellung einnehmen, um bei
elektrischer Beleuchtung und den rauschenden Klängen des Orchesters eine wirk¬
same Gruppe zu bilden. Lindenschmits Gemälde unterscheidet sich nnr durch
den etwas schwereren, meist ins Bräunliche spielenden Ton von der Pilotyschen
Theatermalerei. Wir können dem aufgewendeten Fleiße, dem reichen Apparate
akademischen Wissens unsre Anerkennung nicht versagen; aber in unserm Herzen
wird beim Anblicke dieses mühsam errichteten Gebäudes auch nicht die geringste
Regung laut. Selbst da, wo die Schilderung mütterlichen Schmerzes unser
Mitgefühl wachrufen sollte, legen sich die steifen Falten des akademischen Prunk¬
gewandes über den Ausdruck einfacher und wahrer Empfindung. Auch das
Historiengemälde von Hermann Kaulbach hat jenen opernmüßigen, melodrama¬
tischen Anstrich, welcher die Eigentümlichkeit der Pilotyschen Schule ist. Man
sieht sich unwillkürlich nach der Musik um, welche solche Szenen begleiten müßte,
um ihre Wirkung auf empfindsame Gemüter zu verdoppeln. Der Stoff des
Kaulbachschen Gemäldes ist ohnehin dazu angethan, sentimentale Gefühle zu
erwecken, und dazu gesellt sich ein ungleich größerer Reiz der Farbe, als er
Lindcnschmit zu Gebote steht, und eine romantische Sonnenbeleuchtung, welche
der Szene einen überirdischen Glanz verleiht. Der ganze Vorgang ist über¬
haupt aus der historischen Sphäre in die romantische gerückt. Bald nach dem
Tode der 1231 gestorbenen Elisabeth konnte sich die erst 1235 begonnene
Elisabethkirche zu Marburg noch nicht so Präsentiren, wie es ans dem Bilde
Kaulbachs der Fall ist. Der Künstler brauchte aber einen monumentalen Kirchen-
raum, um die feierliche Huldigung Kaiser Friedrichs II.,' welcher der auf einem
Steinsarkvphage ruhenden Leiche der Heiligen die eigne Krone aufs Haupt zu
setzen sich anschickt, während er mit der Linken den ältesten Sohn der Ver¬
storbenen umfaßt, durch die Assistenz von Geistlichen, Nonnen und andächtigem
Volke möglichst imposant zu gestalten. Alles ist auf Rührung berechnet, und
deshalb tragen auch die Männer einer rauhen, kriegerischen Zeit, insbesondre
der Kaiser selbst, das Gepräge einer sanften, weichen Noblesse. Weich, har¬
monisch und abgedämpft ist auch das Kolorit, welches in der Kvstümmalerei
sein Höchstes leistet, und die im Raume schwebenden Lichtmassen vollenden den
malerischen Reiz des Ganzen. Größe und Kraft des Stils, also wesentliche
Merkmale der echten Historienmalerei, fehlen aber auch diesem Bilde. Der
Accent ist zu sehr auf die koloristische Behandlung des Beiwerkes gelegt, und
ein gleiches gilt auch von dem figurenreichen Gemälde von Fritz Neuhaus,
einem Düsseldorfer Künstler, welches eine Episode aus der Jugend des großen


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung.

Armen davonträgt, ein hünenhafter Gothe, der zum Todesstoße gegen einen
zu Boden gesunkenen Römer ausholt. Diesem reichen Aufwande von Gruppen
und Einzelfiguren, welche sich von einer gewaltigen Architektur abheben, fehlt
nur eines: das wirkliche Leben. Es ist der Aktschluß eiuer Oper oder einer
historischen Jambentragödie, wo auf einen Wink des Regisseurs Solisten und
Statisten die vorher verabredete und eiustudirte Stellung einnehmen, um bei
elektrischer Beleuchtung und den rauschenden Klängen des Orchesters eine wirk¬
same Gruppe zu bilden. Lindenschmits Gemälde unterscheidet sich nnr durch
den etwas schwereren, meist ins Bräunliche spielenden Ton von der Pilotyschen
Theatermalerei. Wir können dem aufgewendeten Fleiße, dem reichen Apparate
akademischen Wissens unsre Anerkennung nicht versagen; aber in unserm Herzen
wird beim Anblicke dieses mühsam errichteten Gebäudes auch nicht die geringste
Regung laut. Selbst da, wo die Schilderung mütterlichen Schmerzes unser
Mitgefühl wachrufen sollte, legen sich die steifen Falten des akademischen Prunk¬
gewandes über den Ausdruck einfacher und wahrer Empfindung. Auch das
Historiengemälde von Hermann Kaulbach hat jenen opernmüßigen, melodrama¬
tischen Anstrich, welcher die Eigentümlichkeit der Pilotyschen Schule ist. Man
sieht sich unwillkürlich nach der Musik um, welche solche Szenen begleiten müßte,
um ihre Wirkung auf empfindsame Gemüter zu verdoppeln. Der Stoff des
Kaulbachschen Gemäldes ist ohnehin dazu angethan, sentimentale Gefühle zu
erwecken, und dazu gesellt sich ein ungleich größerer Reiz der Farbe, als er
Lindcnschmit zu Gebote steht, und eine romantische Sonnenbeleuchtung, welche
der Szene einen überirdischen Glanz verleiht. Der ganze Vorgang ist über¬
haupt aus der historischen Sphäre in die romantische gerückt. Bald nach dem
Tode der 1231 gestorbenen Elisabeth konnte sich die erst 1235 begonnene
Elisabethkirche zu Marburg noch nicht so Präsentiren, wie es ans dem Bilde
Kaulbachs der Fall ist. Der Künstler brauchte aber einen monumentalen Kirchen-
raum, um die feierliche Huldigung Kaiser Friedrichs II.,' welcher der auf einem
Steinsarkvphage ruhenden Leiche der Heiligen die eigne Krone aufs Haupt zu
setzen sich anschickt, während er mit der Linken den ältesten Sohn der Ver¬
storbenen umfaßt, durch die Assistenz von Geistlichen, Nonnen und andächtigem
Volke möglichst imposant zu gestalten. Alles ist auf Rührung berechnet, und
deshalb tragen auch die Männer einer rauhen, kriegerischen Zeit, insbesondre
der Kaiser selbst, das Gepräge einer sanften, weichen Noblesse. Weich, har¬
monisch und abgedämpft ist auch das Kolorit, welches in der Kvstümmalerei
sein Höchstes leistet, und die im Raume schwebenden Lichtmassen vollenden den
malerischen Reiz des Ganzen. Größe und Kraft des Stils, also wesentliche
Merkmale der echten Historienmalerei, fehlen aber auch diesem Bilde. Der
Accent ist zu sehr auf die koloristische Behandlung des Beiwerkes gelegt, und
ein gleiches gilt auch von dem figurenreichen Gemälde von Fritz Neuhaus,
einem Düsseldorfer Künstler, welches eine Episode aus der Jugend des großen


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[0228] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung. Armen davonträgt, ein hünenhafter Gothe, der zum Todesstoße gegen einen zu Boden gesunkenen Römer ausholt. Diesem reichen Aufwande von Gruppen und Einzelfiguren, welche sich von einer gewaltigen Architektur abheben, fehlt nur eines: das wirkliche Leben. Es ist der Aktschluß eiuer Oper oder einer historischen Jambentragödie, wo auf einen Wink des Regisseurs Solisten und Statisten die vorher verabredete und eiustudirte Stellung einnehmen, um bei elektrischer Beleuchtung und den rauschenden Klängen des Orchesters eine wirk¬ same Gruppe zu bilden. Lindenschmits Gemälde unterscheidet sich nnr durch den etwas schwereren, meist ins Bräunliche spielenden Ton von der Pilotyschen Theatermalerei. Wir können dem aufgewendeten Fleiße, dem reichen Apparate akademischen Wissens unsre Anerkennung nicht versagen; aber in unserm Herzen wird beim Anblicke dieses mühsam errichteten Gebäudes auch nicht die geringste Regung laut. Selbst da, wo die Schilderung mütterlichen Schmerzes unser Mitgefühl wachrufen sollte, legen sich die steifen Falten des akademischen Prunk¬ gewandes über den Ausdruck einfacher und wahrer Empfindung. Auch das Historiengemälde von Hermann Kaulbach hat jenen opernmüßigen, melodrama¬ tischen Anstrich, welcher die Eigentümlichkeit der Pilotyschen Schule ist. Man sieht sich unwillkürlich nach der Musik um, welche solche Szenen begleiten müßte, um ihre Wirkung auf empfindsame Gemüter zu verdoppeln. Der Stoff des Kaulbachschen Gemäldes ist ohnehin dazu angethan, sentimentale Gefühle zu erwecken, und dazu gesellt sich ein ungleich größerer Reiz der Farbe, als er Lindcnschmit zu Gebote steht, und eine romantische Sonnenbeleuchtung, welche der Szene einen überirdischen Glanz verleiht. Der ganze Vorgang ist über¬ haupt aus der historischen Sphäre in die romantische gerückt. Bald nach dem Tode der 1231 gestorbenen Elisabeth konnte sich die erst 1235 begonnene Elisabethkirche zu Marburg noch nicht so Präsentiren, wie es ans dem Bilde Kaulbachs der Fall ist. Der Künstler brauchte aber einen monumentalen Kirchen- raum, um die feierliche Huldigung Kaiser Friedrichs II.,' welcher der auf einem Steinsarkvphage ruhenden Leiche der Heiligen die eigne Krone aufs Haupt zu setzen sich anschickt, während er mit der Linken den ältesten Sohn der Ver¬ storbenen umfaßt, durch die Assistenz von Geistlichen, Nonnen und andächtigem Volke möglichst imposant zu gestalten. Alles ist auf Rührung berechnet, und deshalb tragen auch die Männer einer rauhen, kriegerischen Zeit, insbesondre der Kaiser selbst, das Gepräge einer sanften, weichen Noblesse. Weich, har¬ monisch und abgedämpft ist auch das Kolorit, welches in der Kvstümmalerei sein Höchstes leistet, und die im Raume schwebenden Lichtmassen vollenden den malerischen Reiz des Ganzen. Größe und Kraft des Stils, also wesentliche Merkmale der echten Historienmalerei, fehlen aber auch diesem Bilde. Der Accent ist zu sehr auf die koloristische Behandlung des Beiwerkes gelegt, und ein gleiches gilt auch von dem figurenreichen Gemälde von Fritz Neuhaus, einem Düsseldorfer Künstler, welches eine Episode aus der Jugend des großen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/228>, abgerufen am 22.07.2024.