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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Leben und wegen seiner überzeugenden Darstellungsfähigkeit, welche in dieser
Ausbildung immer noch zu den Seltenheiten in Deutschland gehört.

Wenn man sich eine recht eindringliche Vorstellung von dem Kontraste
zwischen diesen Vertretern der modernsten Großmalerei und denjenigen der
Historienmalerei alten Stils machen will, braucht man zum Vergleich nur die
drei Gemälde von Wilhelm Lindenschmit: "Alarich in Rom," Hermann Kaulbach:
"Krönung der heiligen Elisabeth durch Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen"
und Hugo Vogel: "Der große Kurfürst empfängt französische Refugies in Pots¬
dam am 10. November 1685" heranzuziehen. Letzteres ist ein sehr fleißig durch¬
geführtes Kostümstück, welches die Traditionen der ältern Düsseldorfer Schule,
erweitert durch die koloristischen Erfahrungen und die historischen Studien der
letzten Jahre, bis in die Gegenwart herabführt. Es ist ein Beispiel dafür, daß
ein fleißiger Arbeiter, welchem die Natur die Mitgift des Genies versagt hat,
die Täuschung hervorrufen kann, als hätte er etwas Stichhaltiges zustande ge¬
bracht. Für einige Zeit wird dieses Zeremonienbild auch seine Wirkung thun,
freilich nur eine sehr beschränkte, da die französischen Flüchtlinge heute nur
noch in Berlin eine Art von Kolonie bilden, welche ihren heißblütigen Stammes¬
charakter insofern noch nicht verloren hat, als ihre Mitglieder ein nicht un¬
beträchtliches Kontingent zu der frischen, fröhlichen Opposition gegen alles
stellen, was die Maßnahmen der Negierung fromm und geduldig hinzunehmen
für gut befindet. Von diesem heißblütigen, energischen Charakter seiner Helden
ist freilich auf ihren wohltemperirten Maler nichts übergegangen. Immerhin
ist seine korrekte Arbeit frei von jener theatralischen, opernhaften Jnszeniruug,
welche so sehr den Grundzug von Lindenschmits Gemälde "Alarich in Rom"
bildet, daß einige wohlgelungene Details uuter der Physigouomie des Ganzen
garnicht zur Geltung kommen. Nach einer von Gregorovius in der "Geschichte
der Stadt Rom" mitgeteilten Überlieferung soll der Westgothenkönig Alarich,
als seine Krieger nach' der Einnahme der Stadt im Jahre 410 dieselbe mit
Mord, Brand und Plünderung erfüllten, durch seine Dazwischenkamst eine Ge¬
meinde von Christen, die sich mit ihren Kirchenschätzen, mit Kruzifixen und Re-
liquienschreinen aus dem Getümmel flüchten wollte, vor den Gewaltthätigkeiten
der entfesselten Horden gerettet haben. Auf den gebieterischen Wink des jugend¬
lichen Königs, welcher eben durch ein Triumphthor eingeritten ist, halten die
Barbaren in ihrem Zerstörungswerke, in ihrem Gemetzel inne. In feierlichem
Zuge schreitet das Häuflein der Christen durch die rauhen Krieger, hindurch.
Ein Priester mit der Kreuzesfahne wandelt voran, singende Ministranten folgen,
und bekränzte Jünglinge tragen auf einer Bahre die Reliquienbehälter und ein
großes Kruzifix, welches eine Jungfrau schützend umfängt. Im Vordergründe
spiegelt sich der Jammer der von ihrer stolzen Höhe herabgeworfenen Welt¬
beherrscherin in mehreren Gruppen wieder: verzweifelnde Mütter, die ihren
Kindern keine Nahrung bieten können, ein Krieger, der ein Mädchen auf seinen


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

Leben und wegen seiner überzeugenden Darstellungsfähigkeit, welche in dieser
Ausbildung immer noch zu den Seltenheiten in Deutschland gehört.

Wenn man sich eine recht eindringliche Vorstellung von dem Kontraste
zwischen diesen Vertretern der modernsten Großmalerei und denjenigen der
Historienmalerei alten Stils machen will, braucht man zum Vergleich nur die
drei Gemälde von Wilhelm Lindenschmit: „Alarich in Rom," Hermann Kaulbach:
„Krönung der heiligen Elisabeth durch Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen"
und Hugo Vogel: „Der große Kurfürst empfängt französische Refugies in Pots¬
dam am 10. November 1685" heranzuziehen. Letzteres ist ein sehr fleißig durch¬
geführtes Kostümstück, welches die Traditionen der ältern Düsseldorfer Schule,
erweitert durch die koloristischen Erfahrungen und die historischen Studien der
letzten Jahre, bis in die Gegenwart herabführt. Es ist ein Beispiel dafür, daß
ein fleißiger Arbeiter, welchem die Natur die Mitgift des Genies versagt hat,
die Täuschung hervorrufen kann, als hätte er etwas Stichhaltiges zustande ge¬
bracht. Für einige Zeit wird dieses Zeremonienbild auch seine Wirkung thun,
freilich nur eine sehr beschränkte, da die französischen Flüchtlinge heute nur
noch in Berlin eine Art von Kolonie bilden, welche ihren heißblütigen Stammes¬
charakter insofern noch nicht verloren hat, als ihre Mitglieder ein nicht un¬
beträchtliches Kontingent zu der frischen, fröhlichen Opposition gegen alles
stellen, was die Maßnahmen der Negierung fromm und geduldig hinzunehmen
für gut befindet. Von diesem heißblütigen, energischen Charakter seiner Helden
ist freilich auf ihren wohltemperirten Maler nichts übergegangen. Immerhin
ist seine korrekte Arbeit frei von jener theatralischen, opernhaften Jnszeniruug,
welche so sehr den Grundzug von Lindenschmits Gemälde „Alarich in Rom"
bildet, daß einige wohlgelungene Details uuter der Physigouomie des Ganzen
garnicht zur Geltung kommen. Nach einer von Gregorovius in der „Geschichte
der Stadt Rom" mitgeteilten Überlieferung soll der Westgothenkönig Alarich,
als seine Krieger nach' der Einnahme der Stadt im Jahre 410 dieselbe mit
Mord, Brand und Plünderung erfüllten, durch seine Dazwischenkamst eine Ge¬
meinde von Christen, die sich mit ihren Kirchenschätzen, mit Kruzifixen und Re-
liquienschreinen aus dem Getümmel flüchten wollte, vor den Gewaltthätigkeiten
der entfesselten Horden gerettet haben. Auf den gebieterischen Wink des jugend¬
lichen Königs, welcher eben durch ein Triumphthor eingeritten ist, halten die
Barbaren in ihrem Zerstörungswerke, in ihrem Gemetzel inne. In feierlichem
Zuge schreitet das Häuflein der Christen durch die rauhen Krieger, hindurch.
Ein Priester mit der Kreuzesfahne wandelt voran, singende Ministranten folgen,
und bekränzte Jünglinge tragen auf einer Bahre die Reliquienbehälter und ein
großes Kruzifix, welches eine Jungfrau schützend umfängt. Im Vordergründe
spiegelt sich der Jammer der von ihrer stolzen Höhe herabgeworfenen Welt¬
beherrscherin in mehreren Gruppen wieder: verzweifelnde Mütter, die ihren
Kindern keine Nahrung bieten können, ein Krieger, der ein Mädchen auf seinen


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[0227] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung. Leben und wegen seiner überzeugenden Darstellungsfähigkeit, welche in dieser Ausbildung immer noch zu den Seltenheiten in Deutschland gehört. Wenn man sich eine recht eindringliche Vorstellung von dem Kontraste zwischen diesen Vertretern der modernsten Großmalerei und denjenigen der Historienmalerei alten Stils machen will, braucht man zum Vergleich nur die drei Gemälde von Wilhelm Lindenschmit: „Alarich in Rom," Hermann Kaulbach: „Krönung der heiligen Elisabeth durch Kaiser Friedrich II. von Hohenstaufen" und Hugo Vogel: „Der große Kurfürst empfängt französische Refugies in Pots¬ dam am 10. November 1685" heranzuziehen. Letzteres ist ein sehr fleißig durch¬ geführtes Kostümstück, welches die Traditionen der ältern Düsseldorfer Schule, erweitert durch die koloristischen Erfahrungen und die historischen Studien der letzten Jahre, bis in die Gegenwart herabführt. Es ist ein Beispiel dafür, daß ein fleißiger Arbeiter, welchem die Natur die Mitgift des Genies versagt hat, die Täuschung hervorrufen kann, als hätte er etwas Stichhaltiges zustande ge¬ bracht. Für einige Zeit wird dieses Zeremonienbild auch seine Wirkung thun, freilich nur eine sehr beschränkte, da die französischen Flüchtlinge heute nur noch in Berlin eine Art von Kolonie bilden, welche ihren heißblütigen Stammes¬ charakter insofern noch nicht verloren hat, als ihre Mitglieder ein nicht un¬ beträchtliches Kontingent zu der frischen, fröhlichen Opposition gegen alles stellen, was die Maßnahmen der Negierung fromm und geduldig hinzunehmen für gut befindet. Von diesem heißblütigen, energischen Charakter seiner Helden ist freilich auf ihren wohltemperirten Maler nichts übergegangen. Immerhin ist seine korrekte Arbeit frei von jener theatralischen, opernhaften Jnszeniruug, welche so sehr den Grundzug von Lindenschmits Gemälde „Alarich in Rom" bildet, daß einige wohlgelungene Details uuter der Physigouomie des Ganzen garnicht zur Geltung kommen. Nach einer von Gregorovius in der „Geschichte der Stadt Rom" mitgeteilten Überlieferung soll der Westgothenkönig Alarich, als seine Krieger nach' der Einnahme der Stadt im Jahre 410 dieselbe mit Mord, Brand und Plünderung erfüllten, durch seine Dazwischenkamst eine Ge¬ meinde von Christen, die sich mit ihren Kirchenschätzen, mit Kruzifixen und Re- liquienschreinen aus dem Getümmel flüchten wollte, vor den Gewaltthätigkeiten der entfesselten Horden gerettet haben. Auf den gebieterischen Wink des jugend¬ lichen Königs, welcher eben durch ein Triumphthor eingeritten ist, halten die Barbaren in ihrem Zerstörungswerke, in ihrem Gemetzel inne. In feierlichem Zuge schreitet das Häuflein der Christen durch die rauhen Krieger, hindurch. Ein Priester mit der Kreuzesfahne wandelt voran, singende Ministranten folgen, und bekränzte Jünglinge tragen auf einer Bahre die Reliquienbehälter und ein großes Kruzifix, welches eine Jungfrau schützend umfängt. Im Vordergründe spiegelt sich der Jammer der von ihrer stolzen Höhe herabgeworfenen Welt¬ beherrscherin in mehreren Gruppen wieder: verzweifelnde Mütter, die ihren Kindern keine Nahrung bieten können, ein Krieger, der ein Mädchen auf seinen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/227>, abgerufen am 22.07.2024.