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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

die beiden Treffer, welche auf unsrer Ausstellung zu sehen sind, werden ihm
hoffentlich seinen bisherigen Irrtum genommen haben. Der eine, den wir hier
im Sinne haben, weil er zur Malerei großen Stils gehört, zeigt uns die lebens¬
großen Figuren eines Liebespaares in eleganter Kleidung, welches, in inniger
Umarmung verstrickt und dazu noch durch ein Seil um die Hüften an einander
gebunden, im Begriff steht, an einem trüben, stürmischen Sommernbend von
einem Landungsstege in die Fluten eines schilfnmkränztcn Sees zu springen.
Die wilde, verzweiflungsvolle Energie in dem Gesichte des Mannes, die Todes¬
angst des zitternden Mädchens, welches seine Augen fest geschlossen hat, sind
so erschütternd, so überzeugend und einfach veranschaulicht, daß der Darstellung
trotz des starken dramatischen Accents nichts Theatralisches anhaftet. Denselben
Charakter einer schlichten, wahrheitsgetreuer Schilderung hat ein Genrebild
desselben Malers "Am Orte der That," die Ausgrabung eines Ermordeten
am Waldessaume in Gegenwart des Verbrechers und einer Gerichtskommission.
Es ist ein völlig unromantischer Kriminalfall, etwa im Genre der ostpreußischen
Kriminalnovellen Teinach, nur unendlich geistreicher und lebendiger erzählt.
Das wirklich Entsetzliche wird dem Beschauer wohlweislich entzogen: man sieht
nur den obern Teil der Grube, welche das Opfer des Verbrechens birgt. Aber
die Mienen der Umstehenden, das kummervolle Gesicht des alten Försters, der
sich über die Grube beugt, der ernste Ausdruck in den Köpfen der Gerichts¬
beamten führen eine so beredte Sprache, daß hier einmal wieder die Kunstlehre
Lessings von dem "fruchtbaren Moment" vor oder nach dem Höhepunkte eines
tragischen Vorganges vollauf bekräftigt wird. Neide besitzt eine gewisse Idea¬
lität und Vornehmheit des Stils, welche ihn voraussichtlich vor kraß-realistischen
Ausschreitungen bewahren wird. Nicht so zuversichtlich läßt sich das von dem
dritten der kühnen Neuerer, von Arthur Kampf in Düsseldorf, vorhersagen.
Sein ebenfalls durch lebensgroße Figuren dargestellter Kriminalfall "Die letzte
Aussage" ist das Erzeugnis eines rücksichtslosen Naturalismus, der in Deutsch¬
land bis jetzt wenigstens ziemlich vereinzelt dasteht. Der Schauplatz ist der
kahle, graue, kalt beleuchtete Nebenraum einer Wirtsstube, in welcher kurz
zuvor ein blutiger Streit stattgefunden zu haben fcheint. Das Opfer desselben
sitzt auf der Erde mit entblößtem Oberkörper. Aus Stichwunden in der Brust
fließt das Blut heraus, welches eine Frau mit Tüchern vergebens zu stillen
sucht. Ein Gensdarm nimmt die letzte Aussage des Verwundeten auf, über
dessen Schicksal die starren, verglasten Augen keinen Zweifel übrig lassen. Durch
die geöffnete Thür zur Rechten dringen Neugierige herein, die aber bei dem
grauenhaften Anblicke hart an der Schwelle stehen bleiben. Wir sind weit
entfernt, die Wahl solcher Motive zu billigen. Wenn die Jagd nach denselben
allgemein würde, könnte unsre Malerei trotz ihres soliden, sittlichen Fonds
leicht auf die Abwege der Franzosen geraten. Nichtsdestoweniger verdient der
junge Mann volle Anerkennung wegen seines resoluter Griffes in das wirkliche


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung.

die beiden Treffer, welche auf unsrer Ausstellung zu sehen sind, werden ihm
hoffentlich seinen bisherigen Irrtum genommen haben. Der eine, den wir hier
im Sinne haben, weil er zur Malerei großen Stils gehört, zeigt uns die lebens¬
großen Figuren eines Liebespaares in eleganter Kleidung, welches, in inniger
Umarmung verstrickt und dazu noch durch ein Seil um die Hüften an einander
gebunden, im Begriff steht, an einem trüben, stürmischen Sommernbend von
einem Landungsstege in die Fluten eines schilfnmkränztcn Sees zu springen.
Die wilde, verzweiflungsvolle Energie in dem Gesichte des Mannes, die Todes¬
angst des zitternden Mädchens, welches seine Augen fest geschlossen hat, sind
so erschütternd, so überzeugend und einfach veranschaulicht, daß der Darstellung
trotz des starken dramatischen Accents nichts Theatralisches anhaftet. Denselben
Charakter einer schlichten, wahrheitsgetreuer Schilderung hat ein Genrebild
desselben Malers „Am Orte der That," die Ausgrabung eines Ermordeten
am Waldessaume in Gegenwart des Verbrechers und einer Gerichtskommission.
Es ist ein völlig unromantischer Kriminalfall, etwa im Genre der ostpreußischen
Kriminalnovellen Teinach, nur unendlich geistreicher und lebendiger erzählt.
Das wirklich Entsetzliche wird dem Beschauer wohlweislich entzogen: man sieht
nur den obern Teil der Grube, welche das Opfer des Verbrechens birgt. Aber
die Mienen der Umstehenden, das kummervolle Gesicht des alten Försters, der
sich über die Grube beugt, der ernste Ausdruck in den Köpfen der Gerichts¬
beamten führen eine so beredte Sprache, daß hier einmal wieder die Kunstlehre
Lessings von dem „fruchtbaren Moment" vor oder nach dem Höhepunkte eines
tragischen Vorganges vollauf bekräftigt wird. Neide besitzt eine gewisse Idea¬
lität und Vornehmheit des Stils, welche ihn voraussichtlich vor kraß-realistischen
Ausschreitungen bewahren wird. Nicht so zuversichtlich läßt sich das von dem
dritten der kühnen Neuerer, von Arthur Kampf in Düsseldorf, vorhersagen.
Sein ebenfalls durch lebensgroße Figuren dargestellter Kriminalfall „Die letzte
Aussage" ist das Erzeugnis eines rücksichtslosen Naturalismus, der in Deutsch¬
land bis jetzt wenigstens ziemlich vereinzelt dasteht. Der Schauplatz ist der
kahle, graue, kalt beleuchtete Nebenraum einer Wirtsstube, in welcher kurz
zuvor ein blutiger Streit stattgefunden zu haben fcheint. Das Opfer desselben
sitzt auf der Erde mit entblößtem Oberkörper. Aus Stichwunden in der Brust
fließt das Blut heraus, welches eine Frau mit Tüchern vergebens zu stillen
sucht. Ein Gensdarm nimmt die letzte Aussage des Verwundeten auf, über
dessen Schicksal die starren, verglasten Augen keinen Zweifel übrig lassen. Durch
die geöffnete Thür zur Rechten dringen Neugierige herein, die aber bei dem
grauenhaften Anblicke hart an der Schwelle stehen bleiben. Wir sind weit
entfernt, die Wahl solcher Motive zu billigen. Wenn die Jagd nach denselben
allgemein würde, könnte unsre Malerei trotz ihres soliden, sittlichen Fonds
leicht auf die Abwege der Franzosen geraten. Nichtsdestoweniger verdient der
junge Mann volle Anerkennung wegen seines resoluter Griffes in das wirkliche


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[0226] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Kunstausstellung. die beiden Treffer, welche auf unsrer Ausstellung zu sehen sind, werden ihm hoffentlich seinen bisherigen Irrtum genommen haben. Der eine, den wir hier im Sinne haben, weil er zur Malerei großen Stils gehört, zeigt uns die lebens¬ großen Figuren eines Liebespaares in eleganter Kleidung, welches, in inniger Umarmung verstrickt und dazu noch durch ein Seil um die Hüften an einander gebunden, im Begriff steht, an einem trüben, stürmischen Sommernbend von einem Landungsstege in die Fluten eines schilfnmkränztcn Sees zu springen. Die wilde, verzweiflungsvolle Energie in dem Gesichte des Mannes, die Todes¬ angst des zitternden Mädchens, welches seine Augen fest geschlossen hat, sind so erschütternd, so überzeugend und einfach veranschaulicht, daß der Darstellung trotz des starken dramatischen Accents nichts Theatralisches anhaftet. Denselben Charakter einer schlichten, wahrheitsgetreuer Schilderung hat ein Genrebild desselben Malers „Am Orte der That," die Ausgrabung eines Ermordeten am Waldessaume in Gegenwart des Verbrechers und einer Gerichtskommission. Es ist ein völlig unromantischer Kriminalfall, etwa im Genre der ostpreußischen Kriminalnovellen Teinach, nur unendlich geistreicher und lebendiger erzählt. Das wirklich Entsetzliche wird dem Beschauer wohlweislich entzogen: man sieht nur den obern Teil der Grube, welche das Opfer des Verbrechens birgt. Aber die Mienen der Umstehenden, das kummervolle Gesicht des alten Försters, der sich über die Grube beugt, der ernste Ausdruck in den Köpfen der Gerichts¬ beamten führen eine so beredte Sprache, daß hier einmal wieder die Kunstlehre Lessings von dem „fruchtbaren Moment" vor oder nach dem Höhepunkte eines tragischen Vorganges vollauf bekräftigt wird. Neide besitzt eine gewisse Idea¬ lität und Vornehmheit des Stils, welche ihn voraussichtlich vor kraß-realistischen Ausschreitungen bewahren wird. Nicht so zuversichtlich läßt sich das von dem dritten der kühnen Neuerer, von Arthur Kampf in Düsseldorf, vorhersagen. Sein ebenfalls durch lebensgroße Figuren dargestellter Kriminalfall „Die letzte Aussage" ist das Erzeugnis eines rücksichtslosen Naturalismus, der in Deutsch¬ land bis jetzt wenigstens ziemlich vereinzelt dasteht. Der Schauplatz ist der kahle, graue, kalt beleuchtete Nebenraum einer Wirtsstube, in welcher kurz zuvor ein blutiger Streit stattgefunden zu haben fcheint. Das Opfer desselben sitzt auf der Erde mit entblößtem Oberkörper. Aus Stichwunden in der Brust fließt das Blut heraus, welches eine Frau mit Tüchern vergebens zu stillen sucht. Ein Gensdarm nimmt die letzte Aussage des Verwundeten auf, über dessen Schicksal die starren, verglasten Augen keinen Zweifel übrig lassen. Durch die geöffnete Thür zur Rechten dringen Neugierige herein, die aber bei dem grauenhaften Anblicke hart an der Schwelle stehen bleiben. Wir sind weit entfernt, die Wahl solcher Motive zu billigen. Wenn die Jagd nach denselben allgemein würde, könnte unsre Malerei trotz ihres soliden, sittlichen Fonds leicht auf die Abwege der Franzosen geraten. Nichtsdestoweniger verdient der junge Mann volle Anerkennung wegen seines resoluter Griffes in das wirkliche

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/226>, abgerufen am 22.07.2024.