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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung,

radikale Veränderungen vorgegangen, daß wir uns heute noch gar keine Rechen¬
schaft darüber ablegen können. Soviel steht aber fest, daß die hohenstaufischen
Kaiser nicht mehr die historischen Symbole sein können, in welche die Gegen¬
wart ihre politische Sehnsucht hüllt. Die Geschichtsforschung hat diese phan¬
tastischen Kreuz- und Querfahrer für immer ihrer Gloriole entkleidet. Hat
die Geschichtsmalerei immer noch nicht davon gelernt? Sollen wir uns immer
wieder die Barbarossas als die verehrungswürdigsten Schatten der Vergangenheit
heraufbeschwören lassen, während wir doch eine ungleich herrlichere Gegenwart
haben? Um sogleich einem Einwände zu begegnen, fragen wir: Worin liegt der
Schwerpunkt der nationalsten aller Malerschulen, der holländischen? in der so¬
genannten "Historienmalerei" oder in der Schilderung des unmittelbaren Lebens?
Wer würde Rembrandts "Nachtwache," den Auszug der Amsterdamer Schützen¬
gilde unter pittoresker Beleuchtung, für seine biblischen oder mythologischen Ge¬
mälde hingeben, zumal da letztere in erster Linie durch ihre malerische Be¬
handlung, nicht durch den Stoff fesseln? Es wäre daraus der Schluß zu
ziehen, daß der ausschlaggebende Moment für die Wertschätzung eines Kunst¬
werkes nicht in der Wahl des Stoffes, nicht im Gedanken, sondern in der Aus¬
führung liegt, bei welcher die geistigen Eigenschaften des Urhebers ebensowohl
in Betracht kommen wie seine technischen Fähigkeiten.

Die Franzosen sind uns, was wir nicht verschweigen dürfen, in der Lösung
von solchen Etikettcfragen überlegen. Sie fassen alle Gemälde, welche natur¬
große Figuren zeigen, unter dem Begriffe der hör^nah xswwrv, der Malerei
im großen, zusammen; alles übrige, was Figuren in kleinem Maßstabe bringt,
heißt A'Mrs IÜ8tori.Mo oder poele Mor<z, selbst wenn so heilige Personen wie
Heinrich IV., Ludwig XIV., Napoleon I., Thiers, Gambetta und Grevy auf
den fraglichen Bildern erscheinen. Was direkt auf die Wand gemalt oder
an derselben festgenagelt wird, heißt xswwrö clvvoiÄtive, seltener pÄnturo
moQr>ingnta,1<z. In diesem einen Punkte sind die Franzosen bescheidener als
wir, weil sie so außerordentlich viele öffentliche Gebäude an- und auszumalen
haben, während wir jeden Entschluß der maßgebenden Faktoren, ein Bild oder
ein Wandgemälde auf öffentliche Kosten ausführen zu lassen, als ein Ereignis
der "monumentalen Malerei" feiern.

Die französische Klassifizirung von Kunstwerken ist aus den Ateliers er¬
wachsen und deshalb viel einfacher, genauer und weniger schwerfällig als die
unsrige, welche mit Hilfe von philosophischen Untersuchungen gewonnen worden
ist. Es giebt Leute, welche an diesen Schulbegriffen noch mit solcher Zähigkeit
festhalten, daß sie Darstellungen aus der Geschichte der Gegenwart oder der
jüngsten Vergangenheit noch nicht zur Historienmalerei rechnen wollen, daß sie
insbesondre Schilderungen moderner Schlachten ganz aus dem Gehege derselben
ausschließen. Sie würden z. B. hinsichtlich eines so vortrefflichen Werkes wie
Bleibtreus "Schlacht bei Großbeeren" in Zweifel sein, ob es bereits oder noch


Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung,

radikale Veränderungen vorgegangen, daß wir uns heute noch gar keine Rechen¬
schaft darüber ablegen können. Soviel steht aber fest, daß die hohenstaufischen
Kaiser nicht mehr die historischen Symbole sein können, in welche die Gegen¬
wart ihre politische Sehnsucht hüllt. Die Geschichtsforschung hat diese phan¬
tastischen Kreuz- und Querfahrer für immer ihrer Gloriole entkleidet. Hat
die Geschichtsmalerei immer noch nicht davon gelernt? Sollen wir uns immer
wieder die Barbarossas als die verehrungswürdigsten Schatten der Vergangenheit
heraufbeschwören lassen, während wir doch eine ungleich herrlichere Gegenwart
haben? Um sogleich einem Einwände zu begegnen, fragen wir: Worin liegt der
Schwerpunkt der nationalsten aller Malerschulen, der holländischen? in der so¬
genannten „Historienmalerei" oder in der Schilderung des unmittelbaren Lebens?
Wer würde Rembrandts „Nachtwache," den Auszug der Amsterdamer Schützen¬
gilde unter pittoresker Beleuchtung, für seine biblischen oder mythologischen Ge¬
mälde hingeben, zumal da letztere in erster Linie durch ihre malerische Be¬
handlung, nicht durch den Stoff fesseln? Es wäre daraus der Schluß zu
ziehen, daß der ausschlaggebende Moment für die Wertschätzung eines Kunst¬
werkes nicht in der Wahl des Stoffes, nicht im Gedanken, sondern in der Aus¬
führung liegt, bei welcher die geistigen Eigenschaften des Urhebers ebensowohl
in Betracht kommen wie seine technischen Fähigkeiten.

Die Franzosen sind uns, was wir nicht verschweigen dürfen, in der Lösung
von solchen Etikettcfragen überlegen. Sie fassen alle Gemälde, welche natur¬
große Figuren zeigen, unter dem Begriffe der hör^nah xswwrv, der Malerei
im großen, zusammen; alles übrige, was Figuren in kleinem Maßstabe bringt,
heißt A'Mrs IÜ8tori.Mo oder poele Mor<z, selbst wenn so heilige Personen wie
Heinrich IV., Ludwig XIV., Napoleon I., Thiers, Gambetta und Grevy auf
den fraglichen Bildern erscheinen. Was direkt auf die Wand gemalt oder
an derselben festgenagelt wird, heißt xswwrö clvvoiÄtive, seltener pÄnturo
moQr>ingnta,1<z. In diesem einen Punkte sind die Franzosen bescheidener als
wir, weil sie so außerordentlich viele öffentliche Gebäude an- und auszumalen
haben, während wir jeden Entschluß der maßgebenden Faktoren, ein Bild oder
ein Wandgemälde auf öffentliche Kosten ausführen zu lassen, als ein Ereignis
der „monumentalen Malerei" feiern.

Die französische Klassifizirung von Kunstwerken ist aus den Ateliers er¬
wachsen und deshalb viel einfacher, genauer und weniger schwerfällig als die
unsrige, welche mit Hilfe von philosophischen Untersuchungen gewonnen worden
ist. Es giebt Leute, welche an diesen Schulbegriffen noch mit solcher Zähigkeit
festhalten, daß sie Darstellungen aus der Geschichte der Gegenwart oder der
jüngsten Vergangenheit noch nicht zur Historienmalerei rechnen wollen, daß sie
insbesondre Schilderungen moderner Schlachten ganz aus dem Gehege derselben
ausschließen. Sie würden z. B. hinsichtlich eines so vortrefflichen Werkes wie
Bleibtreus „Schlacht bei Großbeeren" in Zweifel sein, ob es bereits oder noch


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[0223] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Uunstausstellung, radikale Veränderungen vorgegangen, daß wir uns heute noch gar keine Rechen¬ schaft darüber ablegen können. Soviel steht aber fest, daß die hohenstaufischen Kaiser nicht mehr die historischen Symbole sein können, in welche die Gegen¬ wart ihre politische Sehnsucht hüllt. Die Geschichtsforschung hat diese phan¬ tastischen Kreuz- und Querfahrer für immer ihrer Gloriole entkleidet. Hat die Geschichtsmalerei immer noch nicht davon gelernt? Sollen wir uns immer wieder die Barbarossas als die verehrungswürdigsten Schatten der Vergangenheit heraufbeschwören lassen, während wir doch eine ungleich herrlichere Gegenwart haben? Um sogleich einem Einwände zu begegnen, fragen wir: Worin liegt der Schwerpunkt der nationalsten aller Malerschulen, der holländischen? in der so¬ genannten „Historienmalerei" oder in der Schilderung des unmittelbaren Lebens? Wer würde Rembrandts „Nachtwache," den Auszug der Amsterdamer Schützen¬ gilde unter pittoresker Beleuchtung, für seine biblischen oder mythologischen Ge¬ mälde hingeben, zumal da letztere in erster Linie durch ihre malerische Be¬ handlung, nicht durch den Stoff fesseln? Es wäre daraus der Schluß zu ziehen, daß der ausschlaggebende Moment für die Wertschätzung eines Kunst¬ werkes nicht in der Wahl des Stoffes, nicht im Gedanken, sondern in der Aus¬ führung liegt, bei welcher die geistigen Eigenschaften des Urhebers ebensowohl in Betracht kommen wie seine technischen Fähigkeiten. Die Franzosen sind uns, was wir nicht verschweigen dürfen, in der Lösung von solchen Etikettcfragen überlegen. Sie fassen alle Gemälde, welche natur¬ große Figuren zeigen, unter dem Begriffe der hör^nah xswwrv, der Malerei im großen, zusammen; alles übrige, was Figuren in kleinem Maßstabe bringt, heißt A'Mrs IÜ8tori.Mo oder poele Mor<z, selbst wenn so heilige Personen wie Heinrich IV., Ludwig XIV., Napoleon I., Thiers, Gambetta und Grevy auf den fraglichen Bildern erscheinen. Was direkt auf die Wand gemalt oder an derselben festgenagelt wird, heißt xswwrö clvvoiÄtive, seltener pÄnturo moQr>ingnta,1<z. In diesem einen Punkte sind die Franzosen bescheidener als wir, weil sie so außerordentlich viele öffentliche Gebäude an- und auszumalen haben, während wir jeden Entschluß der maßgebenden Faktoren, ein Bild oder ein Wandgemälde auf öffentliche Kosten ausführen zu lassen, als ein Ereignis der „monumentalen Malerei" feiern. Die französische Klassifizirung von Kunstwerken ist aus den Ateliers er¬ wachsen und deshalb viel einfacher, genauer und weniger schwerfällig als die unsrige, welche mit Hilfe von philosophischen Untersuchungen gewonnen worden ist. Es giebt Leute, welche an diesen Schulbegriffen noch mit solcher Zähigkeit festhalten, daß sie Darstellungen aus der Geschichte der Gegenwart oder der jüngsten Vergangenheit noch nicht zur Historienmalerei rechnen wollen, daß sie insbesondre Schilderungen moderner Schlachten ganz aus dem Gehege derselben ausschließen. Sie würden z. B. hinsichtlich eines so vortrefflichen Werkes wie Bleibtreus „Schlacht bei Großbeeren" in Zweifel sein, ob es bereits oder noch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/223>, abgerufen am 22.07.2024.