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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Historienmalerei
auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung.
von Adolf Rosenberg. 1.

o oft man sich anschickt, den Inhalt einer großen Kunstausstellung
zum Zwecke einer bequemen Übersicht und kritischen Besprechung
nach Gruppen zu sondern, erwachsen stets dieselben Schwierigkeiten
hinsichtlich der Bezeichnung der verschiednen Fächer der Malerei.
In der Architektur und in der Plastik, bei welchen das Technische,
das Handwerkliche weit mehr in den Vordergrund tritt, ist eine Gruppirung viel
leichter durchzuführen. Es gab zwar und giebt auch heute noch Leute in Berlin,
welche sich mit dem Namen eines "Historienbildhauers" schmücken; aber sie be¬
deuten nichts im Verhältnis zu der Menge derer, welche sich in den stolzen
Königspurpur des "Historienmalers" hüllen, der oft genug die stärksten Blößen
bedecken muß. Selbst ein Mann wie Cornelius wollte nichts von der "Fach¬
malerei" wissen und hatte stets das Ideal der einen und unteilbaren, alles
umfassenden Malerei vor Augen. Nun hat es freilich der Natur bis jetzt nur
einmal gefallen, in Rubens eiuen Universalmenschen zu schaffen, wie er Cornelius
vor Augen schwebte, und deswegen haben die Maler nicht Unrecht, wenn sie,
in gerechter Würdigung ihrer individuellen Kräfte, sich zu Abteilungsmenschen
machen und sich in Historien-, Genre-, Porträt-, Landschaftsmaler u. s. w. scheiden.
Schon die ältern Düsseldorfer Maler der Schadvwschen Richtung, welche im
Gegensatze zu dem idealistischen Cornelius den Realismus oder die Wahrheit
erfunden zu haben glaubten, nannten sich "Historienmaler," und wenn einer
einmal eine Landschaft oder ein Genrebild malte, so sah er ans ein solches
Nebenwerk wohl ebenso verächtlich herab wie seine Kollegen. Noch schärfer
wurde das moralische Übergewicht der Historienmalerei über die andern Gat¬
tungen hervorgehoben, als die neuern Philosophen sich der Kunstlehre bemäch¬
tigten und ihre ästhetischen Dogmen in Formeln brachten. Wir haben unter
den spanischen Stiefeln dieser Stndirstnbenästhetik so lange gelitten, daß uns ein
erfrischendes Bad in dem Äther der praktischen Vernunft dringend notthut.

Es ist gewiß keine zufällige Erscheinung, daß der Drang nach Befreiung
von philosophischen Schulbegriffen mit der Erweiterung unsers politischen Hori¬
zontes, mit der Ablenkung von utopistischen, traumhaften Schwärmereien auf
greifbare Ziele zusammenfällt. Seit 1870 sind mit unserm geistigen Leben so


Die Historienmalerei
auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung.
von Adolf Rosenberg. 1.

o oft man sich anschickt, den Inhalt einer großen Kunstausstellung
zum Zwecke einer bequemen Übersicht und kritischen Besprechung
nach Gruppen zu sondern, erwachsen stets dieselben Schwierigkeiten
hinsichtlich der Bezeichnung der verschiednen Fächer der Malerei.
In der Architektur und in der Plastik, bei welchen das Technische,
das Handwerkliche weit mehr in den Vordergrund tritt, ist eine Gruppirung viel
leichter durchzuführen. Es gab zwar und giebt auch heute noch Leute in Berlin,
welche sich mit dem Namen eines „Historienbildhauers" schmücken; aber sie be¬
deuten nichts im Verhältnis zu der Menge derer, welche sich in den stolzen
Königspurpur des „Historienmalers" hüllen, der oft genug die stärksten Blößen
bedecken muß. Selbst ein Mann wie Cornelius wollte nichts von der „Fach¬
malerei" wissen und hatte stets das Ideal der einen und unteilbaren, alles
umfassenden Malerei vor Augen. Nun hat es freilich der Natur bis jetzt nur
einmal gefallen, in Rubens eiuen Universalmenschen zu schaffen, wie er Cornelius
vor Augen schwebte, und deswegen haben die Maler nicht Unrecht, wenn sie,
in gerechter Würdigung ihrer individuellen Kräfte, sich zu Abteilungsmenschen
machen und sich in Historien-, Genre-, Porträt-, Landschaftsmaler u. s. w. scheiden.
Schon die ältern Düsseldorfer Maler der Schadvwschen Richtung, welche im
Gegensatze zu dem idealistischen Cornelius den Realismus oder die Wahrheit
erfunden zu haben glaubten, nannten sich „Historienmaler," und wenn einer
einmal eine Landschaft oder ein Genrebild malte, so sah er ans ein solches
Nebenwerk wohl ebenso verächtlich herab wie seine Kollegen. Noch schärfer
wurde das moralische Übergewicht der Historienmalerei über die andern Gat¬
tungen hervorgehoben, als die neuern Philosophen sich der Kunstlehre bemäch¬
tigten und ihre ästhetischen Dogmen in Formeln brachten. Wir haben unter
den spanischen Stiefeln dieser Stndirstnbenästhetik so lange gelitten, daß uns ein
erfrischendes Bad in dem Äther der praktischen Vernunft dringend notthut.

Es ist gewiß keine zufällige Erscheinung, daß der Drang nach Befreiung
von philosophischen Schulbegriffen mit der Erweiterung unsers politischen Hori¬
zontes, mit der Ablenkung von utopistischen, traumhaften Schwärmereien auf
greifbare Ziele zusammenfällt. Seit 1870 sind mit unserm geistigen Leben so


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[0222] Die Historienmalerei auf der Berliner Jubiläums-Runstausstellung. von Adolf Rosenberg. 1. o oft man sich anschickt, den Inhalt einer großen Kunstausstellung zum Zwecke einer bequemen Übersicht und kritischen Besprechung nach Gruppen zu sondern, erwachsen stets dieselben Schwierigkeiten hinsichtlich der Bezeichnung der verschiednen Fächer der Malerei. In der Architektur und in der Plastik, bei welchen das Technische, das Handwerkliche weit mehr in den Vordergrund tritt, ist eine Gruppirung viel leichter durchzuführen. Es gab zwar und giebt auch heute noch Leute in Berlin, welche sich mit dem Namen eines „Historienbildhauers" schmücken; aber sie be¬ deuten nichts im Verhältnis zu der Menge derer, welche sich in den stolzen Königspurpur des „Historienmalers" hüllen, der oft genug die stärksten Blößen bedecken muß. Selbst ein Mann wie Cornelius wollte nichts von der „Fach¬ malerei" wissen und hatte stets das Ideal der einen und unteilbaren, alles umfassenden Malerei vor Augen. Nun hat es freilich der Natur bis jetzt nur einmal gefallen, in Rubens eiuen Universalmenschen zu schaffen, wie er Cornelius vor Augen schwebte, und deswegen haben die Maler nicht Unrecht, wenn sie, in gerechter Würdigung ihrer individuellen Kräfte, sich zu Abteilungsmenschen machen und sich in Historien-, Genre-, Porträt-, Landschaftsmaler u. s. w. scheiden. Schon die ältern Düsseldorfer Maler der Schadvwschen Richtung, welche im Gegensatze zu dem idealistischen Cornelius den Realismus oder die Wahrheit erfunden zu haben glaubten, nannten sich „Historienmaler," und wenn einer einmal eine Landschaft oder ein Genrebild malte, so sah er ans ein solches Nebenwerk wohl ebenso verächtlich herab wie seine Kollegen. Noch schärfer wurde das moralische Übergewicht der Historienmalerei über die andern Gat¬ tungen hervorgehoben, als die neuern Philosophen sich der Kunstlehre bemäch¬ tigten und ihre ästhetischen Dogmen in Formeln brachten. Wir haben unter den spanischen Stiefeln dieser Stndirstnbenästhetik so lange gelitten, daß uns ein erfrischendes Bad in dem Äther der praktischen Vernunft dringend notthut. Es ist gewiß keine zufällige Erscheinung, daß der Drang nach Befreiung von philosophischen Schulbegriffen mit der Erweiterung unsers politischen Hori¬ zontes, mit der Ablenkung von utopistischen, traumhaften Schwärmereien auf greifbare Ziele zusammenfällt. Seit 1870 sind mit unserm geistigen Leben so

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/222>, abgerufen am 22.07.2024.