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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allgemeineres über Irland.

ebenfalls öffentlich festgestellt und erhöht werden. Wenn man hört, daß
englische Schriftsteller fürchten, diese schönen Bestimmungen würden auf die
Schwierigkeit stoßen, daß keine Richter sich finden würden, sie durchzuführen,
und daß die Lords sich ebensowenig gefallen lassen würden, bei freiwerdmder
Pacht durch den Richter sich Bedingungen vorschreiben zu lassen, so versteht
man umso besser die stärker werdende Ansicht Gladstones und seiner und Par-
nells Partei, daß zu allererst Irlands Geschick in Gesetzgebung und Verwaltung
von England und seinem Parlament getrennt werden müsse. Man sagt eben,
daß es beim besten Willen, wie er durchschnittlich im englischen Parlamente
sich finde, von ihm nicht zu verlangen sei, daß es die in Irland gesetzlich herr¬
schende Klasse von Grundbesitzern, die dem irischen Volke fremd bleibe, meist
außerhalb Irlands wohne und nur das irische Geld verzehre, so beschränke
und expropriire, wie es das Interesse Irlands erfordere. Ob das nun richtig
ist, wird sich weder bei uns noch in England im voraus behaupten lassen.
Von unsern sozialistischen Führern wurde es auch als selbstverständlich ange¬
sehen, daß, wie die ganze Gesellschaft gegenüber der Masse der Proletarier nur
als eine reaktionäre Masse anzusehen sei, so auch in allen unsern Parlamenten
der Geiz und die Selbstsucht der Besitzenden keine Gesetze durchgehen lassen
würde, die den Arbeitern zu Gute kämen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß das
nicht richtig war, wiewohl die Prinzipmenschcn unter den Noten noch immer
bei dieser ihrer Rede bleiben. Es ist wirklich eine ganze Reihe von Gesetzen
von der "Bourgeoisie" genehmigt und sogar beantragt worden, die den wirt¬
schaftlich Schwächern auf Kosten der Bessergestellten zu Hilfe kommen. Die
Bourgeoisie ist eben besser, als man meinte. Und zwar hat sie diese uner¬
wartete Güte nicht nnter dem Drucke einer kommunistischen Not- und Zwangs¬
lage gezeigt, in die wir, Gott sei Dank, noch nicht geraten sind, sondern aus
einer gewisse" sittlich-religiösen Stimmung heraus, vorzüglich angeregt durch
die tief empfundene Verpflichtung unsers Kaisers, sich in Hoheuzolleruscher Weise
des Volkes anzunehmen, und dnrch die erfinderische Kraft und Energie des
großen Kanzlers, dem es nicht einmal darauf ankam, vor den Kopf zu stoßen
(nourtsr los 8UL0Lxtidi1it"8), um neue Aufgaben durch neue Personen zu lösen.
Wie es aber auch gekommen ist, die Sozialgesetzgebung leistet immerhin auf
dem bestehenden Boden einiges. Vielleicht läßt sich auch ohne noirs-rulo vou
dem gegenwärtigen vereinigten Königreiche, mag es Gladstone oder Salisbury
oder Hartiugtvn zum Führer haben, etwas Ersprießliches für die Wohlfahrt
Irlands erhoffen. Wahrscheinlich eher, als wenn es auf sich allein gestellt ist.
Doch das werden die Engländer am besten unter sich abmachen. Als unsre
bäuerlichen Verhältnisse im Jahre 1807 geordnet wurden mit kühnem Griffe
und mit scheinbarer und wirklicher Verletzung geheiligter Rechte, da kam unsern
Vaueru manche gute Gewöhnung an Zucht und Arbeit zu Hilfe. Der Guts¬
besitzer versöhnte sich bald mit den geänderten Verhältnissen, ja er hatte oft die


Allgemeineres über Irland.

ebenfalls öffentlich festgestellt und erhöht werden. Wenn man hört, daß
englische Schriftsteller fürchten, diese schönen Bestimmungen würden auf die
Schwierigkeit stoßen, daß keine Richter sich finden würden, sie durchzuführen,
und daß die Lords sich ebensowenig gefallen lassen würden, bei freiwerdmder
Pacht durch den Richter sich Bedingungen vorschreiben zu lassen, so versteht
man umso besser die stärker werdende Ansicht Gladstones und seiner und Par-
nells Partei, daß zu allererst Irlands Geschick in Gesetzgebung und Verwaltung
von England und seinem Parlament getrennt werden müsse. Man sagt eben,
daß es beim besten Willen, wie er durchschnittlich im englischen Parlamente
sich finde, von ihm nicht zu verlangen sei, daß es die in Irland gesetzlich herr¬
schende Klasse von Grundbesitzern, die dem irischen Volke fremd bleibe, meist
außerhalb Irlands wohne und nur das irische Geld verzehre, so beschränke
und expropriire, wie es das Interesse Irlands erfordere. Ob das nun richtig
ist, wird sich weder bei uns noch in England im voraus behaupten lassen.
Von unsern sozialistischen Führern wurde es auch als selbstverständlich ange¬
sehen, daß, wie die ganze Gesellschaft gegenüber der Masse der Proletarier nur
als eine reaktionäre Masse anzusehen sei, so auch in allen unsern Parlamenten
der Geiz und die Selbstsucht der Besitzenden keine Gesetze durchgehen lassen
würde, die den Arbeitern zu Gute kämen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß das
nicht richtig war, wiewohl die Prinzipmenschcn unter den Noten noch immer
bei dieser ihrer Rede bleiben. Es ist wirklich eine ganze Reihe von Gesetzen
von der „Bourgeoisie" genehmigt und sogar beantragt worden, die den wirt¬
schaftlich Schwächern auf Kosten der Bessergestellten zu Hilfe kommen. Die
Bourgeoisie ist eben besser, als man meinte. Und zwar hat sie diese uner¬
wartete Güte nicht nnter dem Drucke einer kommunistischen Not- und Zwangs¬
lage gezeigt, in die wir, Gott sei Dank, noch nicht geraten sind, sondern aus
einer gewisse« sittlich-religiösen Stimmung heraus, vorzüglich angeregt durch
die tief empfundene Verpflichtung unsers Kaisers, sich in Hoheuzolleruscher Weise
des Volkes anzunehmen, und dnrch die erfinderische Kraft und Energie des
großen Kanzlers, dem es nicht einmal darauf ankam, vor den Kopf zu stoßen
(nourtsr los 8UL0Lxtidi1it«8), um neue Aufgaben durch neue Personen zu lösen.
Wie es aber auch gekommen ist, die Sozialgesetzgebung leistet immerhin auf
dem bestehenden Boden einiges. Vielleicht läßt sich auch ohne noirs-rulo vou
dem gegenwärtigen vereinigten Königreiche, mag es Gladstone oder Salisbury
oder Hartiugtvn zum Führer haben, etwas Ersprießliches für die Wohlfahrt
Irlands erhoffen. Wahrscheinlich eher, als wenn es auf sich allein gestellt ist.
Doch das werden die Engländer am besten unter sich abmachen. Als unsre
bäuerlichen Verhältnisse im Jahre 1807 geordnet wurden mit kühnem Griffe
und mit scheinbarer und wirklicher Verletzung geheiligter Rechte, da kam unsern
Vaueru manche gute Gewöhnung an Zucht und Arbeit zu Hilfe. Der Guts¬
besitzer versöhnte sich bald mit den geänderten Verhältnissen, ja er hatte oft die


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[0210] Allgemeineres über Irland. ebenfalls öffentlich festgestellt und erhöht werden. Wenn man hört, daß englische Schriftsteller fürchten, diese schönen Bestimmungen würden auf die Schwierigkeit stoßen, daß keine Richter sich finden würden, sie durchzuführen, und daß die Lords sich ebensowenig gefallen lassen würden, bei freiwerdmder Pacht durch den Richter sich Bedingungen vorschreiben zu lassen, so versteht man umso besser die stärker werdende Ansicht Gladstones und seiner und Par- nells Partei, daß zu allererst Irlands Geschick in Gesetzgebung und Verwaltung von England und seinem Parlament getrennt werden müsse. Man sagt eben, daß es beim besten Willen, wie er durchschnittlich im englischen Parlamente sich finde, von ihm nicht zu verlangen sei, daß es die in Irland gesetzlich herr¬ schende Klasse von Grundbesitzern, die dem irischen Volke fremd bleibe, meist außerhalb Irlands wohne und nur das irische Geld verzehre, so beschränke und expropriire, wie es das Interesse Irlands erfordere. Ob das nun richtig ist, wird sich weder bei uns noch in England im voraus behaupten lassen. Von unsern sozialistischen Führern wurde es auch als selbstverständlich ange¬ sehen, daß, wie die ganze Gesellschaft gegenüber der Masse der Proletarier nur als eine reaktionäre Masse anzusehen sei, so auch in allen unsern Parlamenten der Geiz und die Selbstsucht der Besitzenden keine Gesetze durchgehen lassen würde, die den Arbeitern zu Gute kämen. Die Erfahrung hat gezeigt, daß das nicht richtig war, wiewohl die Prinzipmenschcn unter den Noten noch immer bei dieser ihrer Rede bleiben. Es ist wirklich eine ganze Reihe von Gesetzen von der „Bourgeoisie" genehmigt und sogar beantragt worden, die den wirt¬ schaftlich Schwächern auf Kosten der Bessergestellten zu Hilfe kommen. Die Bourgeoisie ist eben besser, als man meinte. Und zwar hat sie diese uner¬ wartete Güte nicht nnter dem Drucke einer kommunistischen Not- und Zwangs¬ lage gezeigt, in die wir, Gott sei Dank, noch nicht geraten sind, sondern aus einer gewisse« sittlich-religiösen Stimmung heraus, vorzüglich angeregt durch die tief empfundene Verpflichtung unsers Kaisers, sich in Hoheuzolleruscher Weise des Volkes anzunehmen, und dnrch die erfinderische Kraft und Energie des großen Kanzlers, dem es nicht einmal darauf ankam, vor den Kopf zu stoßen (nourtsr los 8UL0Lxtidi1it«8), um neue Aufgaben durch neue Personen zu lösen. Wie es aber auch gekommen ist, die Sozialgesetzgebung leistet immerhin auf dem bestehenden Boden einiges. Vielleicht läßt sich auch ohne noirs-rulo vou dem gegenwärtigen vereinigten Königreiche, mag es Gladstone oder Salisbury oder Hartiugtvn zum Führer haben, etwas Ersprießliches für die Wohlfahrt Irlands erhoffen. Wahrscheinlich eher, als wenn es auf sich allein gestellt ist. Doch das werden die Engländer am besten unter sich abmachen. Als unsre bäuerlichen Verhältnisse im Jahre 1807 geordnet wurden mit kühnem Griffe und mit scheinbarer und wirklicher Verletzung geheiligter Rechte, da kam unsern Vaueru manche gute Gewöhnung an Zucht und Arbeit zu Hilfe. Der Guts¬ besitzer versöhnte sich bald mit den geänderten Verhältnissen, ja er hatte oft die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/210>, abgerufen am 22.07.2024.