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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allgemeineros über Irland.

Familien verschiedne Leistungen ob für den Krieg, fiir anderweitige Bedürfnisse
der Verwaltung und der Clarc. Ein wirkliches Privateigentum kannte man
nur an beweglichem Vermögen, nicht an Grund und Boden. Kann man sich
wundern, wenn der Ire auch jetzt noch zuweilen sagt, nur die Rente gehöre
seinem Lord, nicht das Land? Ganz passend ist dann die Fortsetzung der
Rede, daß der Lord auch die Höhe der Rente nicht zu bestimmen habe, sondern
eine Behörde, die das allgemeine Bedürfnis festsetze, das die Verwaltung Irlands
in Krieg und Frieden zu befriedigen habe.

Wir erinnern nur darum an diese alten Verhältnisse, weil sie etwas zur
Erklärung der Verbissenheit und Grausamkeit beitragen, die sich bei den Iren
in ihrer Behandlung der Landbesitzer und großen Pächter zeigt. Dagegen ist
nicht zu glauben, daß die jetzigen Iren eine Gütergemeinschaft am Boden ein¬
richten würden, wenn sie vor die Frage gestellt würden. Die Idee des Privat¬
eigentums am Boden ist auch bei ihnen durchgedrungen, und nur daß ihnen
dieses Eigentum faktisch versagt ist und keine Hoffnung vorhanden ist, es zu
erwerben, nicht einmal eine dauerhafte Pacht, das ist es, was sie erbittert.

Wir können also die interessante Frage, ob nicht die "genossenschaftliche"
Bewirtschaftung des Bodens, wie der beweglichen Güter und der ganzen mensch¬
lichen Arbeit das letzte Wort der Sozialpolitik sei, auf sich beruhen lassen. Vor
der Hand fehlen uns die Menschen dazu und noch manches andre.

Beiläufig aber erklärt sich aus dem Umstände, daß das erwähnte Tcmistry-
systcm auch in Schottland bestand, und sogar noch länger als in Irland, daß
selbst in den letzten Wahlen die meisten Schotten mit den Iren, insbesondre für
Gladstones Reformen, ihre Stimmen abgegeben haben.

Bei den blutigen Kriegen, in denen England die Iren überwand, erlangten
die englischen Heerführer und Gewaltigen und ihre Vasallen die Nachfolge der
Claus und herrschten nicht mehr als patriarchalische Vertreter des nationalen
Bodens an die Familien, sondern als Eigentümer dieses Bodens, den sie wieder
zu Eigentum verschenkten, verkauften und verpachteten, nach ihrem Gutdünken.

Eine furchtbare Umwälzung! Seit der Zeit ist die privatrechtliche Ordnung
der Dinge in Irland wirksam. Nicht Hörigkeit im germanischen Sinne, nicht
feudale Zusammengehörigkeit, vielmehr sogenannte Freiheit und Vertragstheorie
mit wachsender wirtschaftlicher Unfreiheit. Schon beim Eintritt dieser englischen
Periode war die irische Bevölkerung in jeder Beziehung vernachlässigt. Die
fruchtbare Natur des Landes, das nicht einmal ganz der Kultur unterworfen
worden war, die leichte Aufrechthaltung ihres sehr bedürfnislosen Lebens in
einem Lande, wo es fast keinen Winter gab, hatte die Energie des Leibes und
des Geistes nicht zur Entwicklung genötigt; die alten Chroniken teilen aus eiuer
Zeit, wo in England schon viele Verfeinerung des Lebens herrschte, mit, daß
in Irland die vornehmsten Damen und Frünlein beim Gehen und Reiten fast
unbekleidet alles zeigten, was sonst sorgsam verhüllt wurde. Nun denke mau


Allgemeineros über Irland.

Familien verschiedne Leistungen ob für den Krieg, fiir anderweitige Bedürfnisse
der Verwaltung und der Clarc. Ein wirkliches Privateigentum kannte man
nur an beweglichem Vermögen, nicht an Grund und Boden. Kann man sich
wundern, wenn der Ire auch jetzt noch zuweilen sagt, nur die Rente gehöre
seinem Lord, nicht das Land? Ganz passend ist dann die Fortsetzung der
Rede, daß der Lord auch die Höhe der Rente nicht zu bestimmen habe, sondern
eine Behörde, die das allgemeine Bedürfnis festsetze, das die Verwaltung Irlands
in Krieg und Frieden zu befriedigen habe.

Wir erinnern nur darum an diese alten Verhältnisse, weil sie etwas zur
Erklärung der Verbissenheit und Grausamkeit beitragen, die sich bei den Iren
in ihrer Behandlung der Landbesitzer und großen Pächter zeigt. Dagegen ist
nicht zu glauben, daß die jetzigen Iren eine Gütergemeinschaft am Boden ein¬
richten würden, wenn sie vor die Frage gestellt würden. Die Idee des Privat¬
eigentums am Boden ist auch bei ihnen durchgedrungen, und nur daß ihnen
dieses Eigentum faktisch versagt ist und keine Hoffnung vorhanden ist, es zu
erwerben, nicht einmal eine dauerhafte Pacht, das ist es, was sie erbittert.

Wir können also die interessante Frage, ob nicht die „genossenschaftliche"
Bewirtschaftung des Bodens, wie der beweglichen Güter und der ganzen mensch¬
lichen Arbeit das letzte Wort der Sozialpolitik sei, auf sich beruhen lassen. Vor
der Hand fehlen uns die Menschen dazu und noch manches andre.

Beiläufig aber erklärt sich aus dem Umstände, daß das erwähnte Tcmistry-
systcm auch in Schottland bestand, und sogar noch länger als in Irland, daß
selbst in den letzten Wahlen die meisten Schotten mit den Iren, insbesondre für
Gladstones Reformen, ihre Stimmen abgegeben haben.

Bei den blutigen Kriegen, in denen England die Iren überwand, erlangten
die englischen Heerführer und Gewaltigen und ihre Vasallen die Nachfolge der
Claus und herrschten nicht mehr als patriarchalische Vertreter des nationalen
Bodens an die Familien, sondern als Eigentümer dieses Bodens, den sie wieder
zu Eigentum verschenkten, verkauften und verpachteten, nach ihrem Gutdünken.

Eine furchtbare Umwälzung! Seit der Zeit ist die privatrechtliche Ordnung
der Dinge in Irland wirksam. Nicht Hörigkeit im germanischen Sinne, nicht
feudale Zusammengehörigkeit, vielmehr sogenannte Freiheit und Vertragstheorie
mit wachsender wirtschaftlicher Unfreiheit. Schon beim Eintritt dieser englischen
Periode war die irische Bevölkerung in jeder Beziehung vernachlässigt. Die
fruchtbare Natur des Landes, das nicht einmal ganz der Kultur unterworfen
worden war, die leichte Aufrechthaltung ihres sehr bedürfnislosen Lebens in
einem Lande, wo es fast keinen Winter gab, hatte die Energie des Leibes und
des Geistes nicht zur Entwicklung genötigt; die alten Chroniken teilen aus eiuer
Zeit, wo in England schon viele Verfeinerung des Lebens herrschte, mit, daß
in Irland die vornehmsten Damen und Frünlein beim Gehen und Reiten fast
unbekleidet alles zeigten, was sonst sorgsam verhüllt wurde. Nun denke mau


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[0208] Allgemeineros über Irland. Familien verschiedne Leistungen ob für den Krieg, fiir anderweitige Bedürfnisse der Verwaltung und der Clarc. Ein wirkliches Privateigentum kannte man nur an beweglichem Vermögen, nicht an Grund und Boden. Kann man sich wundern, wenn der Ire auch jetzt noch zuweilen sagt, nur die Rente gehöre seinem Lord, nicht das Land? Ganz passend ist dann die Fortsetzung der Rede, daß der Lord auch die Höhe der Rente nicht zu bestimmen habe, sondern eine Behörde, die das allgemeine Bedürfnis festsetze, das die Verwaltung Irlands in Krieg und Frieden zu befriedigen habe. Wir erinnern nur darum an diese alten Verhältnisse, weil sie etwas zur Erklärung der Verbissenheit und Grausamkeit beitragen, die sich bei den Iren in ihrer Behandlung der Landbesitzer und großen Pächter zeigt. Dagegen ist nicht zu glauben, daß die jetzigen Iren eine Gütergemeinschaft am Boden ein¬ richten würden, wenn sie vor die Frage gestellt würden. Die Idee des Privat¬ eigentums am Boden ist auch bei ihnen durchgedrungen, und nur daß ihnen dieses Eigentum faktisch versagt ist und keine Hoffnung vorhanden ist, es zu erwerben, nicht einmal eine dauerhafte Pacht, das ist es, was sie erbittert. Wir können also die interessante Frage, ob nicht die „genossenschaftliche" Bewirtschaftung des Bodens, wie der beweglichen Güter und der ganzen mensch¬ lichen Arbeit das letzte Wort der Sozialpolitik sei, auf sich beruhen lassen. Vor der Hand fehlen uns die Menschen dazu und noch manches andre. Beiläufig aber erklärt sich aus dem Umstände, daß das erwähnte Tcmistry- systcm auch in Schottland bestand, und sogar noch länger als in Irland, daß selbst in den letzten Wahlen die meisten Schotten mit den Iren, insbesondre für Gladstones Reformen, ihre Stimmen abgegeben haben. Bei den blutigen Kriegen, in denen England die Iren überwand, erlangten die englischen Heerführer und Gewaltigen und ihre Vasallen die Nachfolge der Claus und herrschten nicht mehr als patriarchalische Vertreter des nationalen Bodens an die Familien, sondern als Eigentümer dieses Bodens, den sie wieder zu Eigentum verschenkten, verkauften und verpachteten, nach ihrem Gutdünken. Eine furchtbare Umwälzung! Seit der Zeit ist die privatrechtliche Ordnung der Dinge in Irland wirksam. Nicht Hörigkeit im germanischen Sinne, nicht feudale Zusammengehörigkeit, vielmehr sogenannte Freiheit und Vertragstheorie mit wachsender wirtschaftlicher Unfreiheit. Schon beim Eintritt dieser englischen Periode war die irische Bevölkerung in jeder Beziehung vernachlässigt. Die fruchtbare Natur des Landes, das nicht einmal ganz der Kultur unterworfen worden war, die leichte Aufrechthaltung ihres sehr bedürfnislosen Lebens in einem Lande, wo es fast keinen Winter gab, hatte die Energie des Leibes und des Geistes nicht zur Entwicklung genötigt; die alten Chroniken teilen aus eiuer Zeit, wo in England schon viele Verfeinerung des Lebens herrschte, mit, daß in Irland die vornehmsten Damen und Frünlein beim Gehen und Reiten fast unbekleidet alles zeigten, was sonst sorgsam verhüllt wurde. Nun denke mau

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/208>, abgerufen am 22.07.2024.