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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Allgemeineres über Irland.

älteren, jetzt erst veröffentlichten Schreiben vor dieser hinter Parnell stehenden
Geldmacht seit längerer Zeit Anlaß genommen, den Iren Konzessionen zu
machen. Wo so vieles rätselhaft ist, ziemt es gewöhnlichen Beobachtern nicht,
bestimmte Voraussagungen über politische Kombinationen zu machen, sondern
nur die allgemeinen Verhältnisse, die sozialpolitischen und wirtschaftlichen Prozesse
zu erörtern, die nicht in gleicher, aber gleichartiger Weise unsre Zivilisation,
insbesondre unsre Landwirtschaft heutzutage kennzeichnen.

Um es kurz zu sagen: Mag Gladstone es sein oder ein andrer, mag es
bald dazu kommen oder mag man noch Jahre lang laviren und disputiren,
die irische Frage muß in der von Gladstone gewünschten Endabsicht, wenn auch
mit etwas andern Maßregeln, gelöst werden. Die amerikanischen Gelder sind
Nebensache, die landwirtschaftlichen Zustände in Irland rufen an sich laut genug,
und es werden sich immer in England, bei diesem lebhaften männlichen Sinn
für Gerechtigkeit, der dort herrscht, Stimmen genug finden, die für Paddys
Schicksal kräftig eintreten.

Wir müssen anerkennen, daß auf politischem Gebiete diese Stimmen für
Irland schon so ziemlich alles Nötige erreicht haben. Die politische Freiheit
in Irland ist so groß, als man sie wünschen kann. In kirchlicher Beziehung
sind längst die staatlichen Schranken gefallen. Die kirchlichen Parteien zwar
hassen sich gründlich, nach wie vor. Die Protestanten, die sich an den England
zugewandten irischen Landstrichen in ziemlicher Zahl, meist in Städten, aber
auch ans dem Lande befinden, schließen sich zu energischer bewaffneter Notwehr
für alle Fälle der Majorität gegenüber zusammen und machen es dem Staate
oft schwer, die Segnungen des Landfriedens zu schützen. Aber der irische Haß
richtet sich auf dem kirchlichen Gebiete nicht gegen den Staat, dessen frühere
Maßregeln der Nation nicht so tief eingeprägt sind, sondern gegen die Pro¬
testanten selbst, die ja meist auch der englischen, nicht der irischen Nasse an¬
gehören.

Aber auch in Bezug auf Rasse und Staat überhaupt hat die politische
Freiheit manchen Haß abgeschwächt. Man gab allgemein zu, daß die englischen
Soldaten in Irland beliebt wären; weder gegen diese Notröcke, noch gegen die
Vertreter und Beamten der englischen Königin übte man Gewaltthaten bis zu
dem furchtbaren Meuchelmorde im Phöuixpark, der auf einmal einen Abgrund
des Hasses enthüllte und zum erstenmale die amerikanischen Hilfeleistungen in
größeren Maßstabe kundgab. Wer mit den englischen Verhältnissen etwas be¬
kannt ist, kaun sich denken, warum seit jenen Tagen so viele brave Menschen
stutzig geworden sind und bekannt haben, daß sie über politische Freiheit bisher
etwas schwärmerisch gedacht hatten. In bittern Erfahrungen hatte man zwar
einsehen lernen, daß der Fabrikarbeiter und die Seinigen bei aller politischen
Freiheit zu Grunde gingen, wenn die Staatsverwaltung und Gesetzgebung nicht
noch etwas mehr für sie thue, als daß sie ihnen erlaube, über ihre Arbeitskraft


Allgemeineres über Irland.

älteren, jetzt erst veröffentlichten Schreiben vor dieser hinter Parnell stehenden
Geldmacht seit längerer Zeit Anlaß genommen, den Iren Konzessionen zu
machen. Wo so vieles rätselhaft ist, ziemt es gewöhnlichen Beobachtern nicht,
bestimmte Voraussagungen über politische Kombinationen zu machen, sondern
nur die allgemeinen Verhältnisse, die sozialpolitischen und wirtschaftlichen Prozesse
zu erörtern, die nicht in gleicher, aber gleichartiger Weise unsre Zivilisation,
insbesondre unsre Landwirtschaft heutzutage kennzeichnen.

Um es kurz zu sagen: Mag Gladstone es sein oder ein andrer, mag es
bald dazu kommen oder mag man noch Jahre lang laviren und disputiren,
die irische Frage muß in der von Gladstone gewünschten Endabsicht, wenn auch
mit etwas andern Maßregeln, gelöst werden. Die amerikanischen Gelder sind
Nebensache, die landwirtschaftlichen Zustände in Irland rufen an sich laut genug,
und es werden sich immer in England, bei diesem lebhaften männlichen Sinn
für Gerechtigkeit, der dort herrscht, Stimmen genug finden, die für Paddys
Schicksal kräftig eintreten.

Wir müssen anerkennen, daß auf politischem Gebiete diese Stimmen für
Irland schon so ziemlich alles Nötige erreicht haben. Die politische Freiheit
in Irland ist so groß, als man sie wünschen kann. In kirchlicher Beziehung
sind längst die staatlichen Schranken gefallen. Die kirchlichen Parteien zwar
hassen sich gründlich, nach wie vor. Die Protestanten, die sich an den England
zugewandten irischen Landstrichen in ziemlicher Zahl, meist in Städten, aber
auch ans dem Lande befinden, schließen sich zu energischer bewaffneter Notwehr
für alle Fälle der Majorität gegenüber zusammen und machen es dem Staate
oft schwer, die Segnungen des Landfriedens zu schützen. Aber der irische Haß
richtet sich auf dem kirchlichen Gebiete nicht gegen den Staat, dessen frühere
Maßregeln der Nation nicht so tief eingeprägt sind, sondern gegen die Pro¬
testanten selbst, die ja meist auch der englischen, nicht der irischen Nasse an¬
gehören.

Aber auch in Bezug auf Rasse und Staat überhaupt hat die politische
Freiheit manchen Haß abgeschwächt. Man gab allgemein zu, daß die englischen
Soldaten in Irland beliebt wären; weder gegen diese Notröcke, noch gegen die
Vertreter und Beamten der englischen Königin übte man Gewaltthaten bis zu
dem furchtbaren Meuchelmorde im Phöuixpark, der auf einmal einen Abgrund
des Hasses enthüllte und zum erstenmale die amerikanischen Hilfeleistungen in
größeren Maßstabe kundgab. Wer mit den englischen Verhältnissen etwas be¬
kannt ist, kaun sich denken, warum seit jenen Tagen so viele brave Menschen
stutzig geworden sind und bekannt haben, daß sie über politische Freiheit bisher
etwas schwärmerisch gedacht hatten. In bittern Erfahrungen hatte man zwar
einsehen lernen, daß der Fabrikarbeiter und die Seinigen bei aller politischen
Freiheit zu Grunde gingen, wenn die Staatsverwaltung und Gesetzgebung nicht
noch etwas mehr für sie thue, als daß sie ihnen erlaube, über ihre Arbeitskraft


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[0206] Allgemeineres über Irland. älteren, jetzt erst veröffentlichten Schreiben vor dieser hinter Parnell stehenden Geldmacht seit längerer Zeit Anlaß genommen, den Iren Konzessionen zu machen. Wo so vieles rätselhaft ist, ziemt es gewöhnlichen Beobachtern nicht, bestimmte Voraussagungen über politische Kombinationen zu machen, sondern nur die allgemeinen Verhältnisse, die sozialpolitischen und wirtschaftlichen Prozesse zu erörtern, die nicht in gleicher, aber gleichartiger Weise unsre Zivilisation, insbesondre unsre Landwirtschaft heutzutage kennzeichnen. Um es kurz zu sagen: Mag Gladstone es sein oder ein andrer, mag es bald dazu kommen oder mag man noch Jahre lang laviren und disputiren, die irische Frage muß in der von Gladstone gewünschten Endabsicht, wenn auch mit etwas andern Maßregeln, gelöst werden. Die amerikanischen Gelder sind Nebensache, die landwirtschaftlichen Zustände in Irland rufen an sich laut genug, und es werden sich immer in England, bei diesem lebhaften männlichen Sinn für Gerechtigkeit, der dort herrscht, Stimmen genug finden, die für Paddys Schicksal kräftig eintreten. Wir müssen anerkennen, daß auf politischem Gebiete diese Stimmen für Irland schon so ziemlich alles Nötige erreicht haben. Die politische Freiheit in Irland ist so groß, als man sie wünschen kann. In kirchlicher Beziehung sind längst die staatlichen Schranken gefallen. Die kirchlichen Parteien zwar hassen sich gründlich, nach wie vor. Die Protestanten, die sich an den England zugewandten irischen Landstrichen in ziemlicher Zahl, meist in Städten, aber auch ans dem Lande befinden, schließen sich zu energischer bewaffneter Notwehr für alle Fälle der Majorität gegenüber zusammen und machen es dem Staate oft schwer, die Segnungen des Landfriedens zu schützen. Aber der irische Haß richtet sich auf dem kirchlichen Gebiete nicht gegen den Staat, dessen frühere Maßregeln der Nation nicht so tief eingeprägt sind, sondern gegen die Pro¬ testanten selbst, die ja meist auch der englischen, nicht der irischen Nasse an¬ gehören. Aber auch in Bezug auf Rasse und Staat überhaupt hat die politische Freiheit manchen Haß abgeschwächt. Man gab allgemein zu, daß die englischen Soldaten in Irland beliebt wären; weder gegen diese Notröcke, noch gegen die Vertreter und Beamten der englischen Königin übte man Gewaltthaten bis zu dem furchtbaren Meuchelmorde im Phöuixpark, der auf einmal einen Abgrund des Hasses enthüllte und zum erstenmale die amerikanischen Hilfeleistungen in größeren Maßstabe kundgab. Wer mit den englischen Verhältnissen etwas be¬ kannt ist, kaun sich denken, warum seit jenen Tagen so viele brave Menschen stutzig geworden sind und bekannt haben, daß sie über politische Freiheit bisher etwas schwärmerisch gedacht hatten. In bittern Erfahrungen hatte man zwar einsehen lernen, daß der Fabrikarbeiter und die Seinigen bei aller politischen Freiheit zu Grunde gingen, wenn die Staatsverwaltung und Gesetzgebung nicht noch etwas mehr für sie thue, als daß sie ihnen erlaube, über ihre Arbeitskraft

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/206>, abgerufen am 22.07.2024.