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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Studenten und Frauen ja freigestanden, eigne Gruppen zu bilden; wenn es
ihnen wirklich nur um die Sache zu thun gewesen wäre, würden sie sofort diesen
Weg eingeschlagen haben, anstatt sich mit Gewalt in eine Gesellschaft ein¬
zudrängen, welche sie nicht haben will. Und die an der Spitze des Vereins
stehenden Persönlichkeiten werden, wenn sie anders der Wahrheit die Ehre geben
wollen, zugeben müssen, daß sie der Bildung solcher, wenn man will, konfessioneller
Gruppen nichts in den Weg gelegt haben würden, wie denn die Presse gewiß
den Anlaß benutzt hätte, auf die deutsche Gesinnung der Juden rühmend hinzu¬
weisen. Den Christe" aber, den "Deutschen germanischer Abstammung" soll
nicht gestattet sein, unter sich zu bleiben! Wir wollen nun die Frage garnicht
untersuchen, ob die erwähnten Beschlüsse zweier Gruppen politisch klug waren
oder nicht: die Leitung hätte auf jeden Fall so klug sein sollen, die Beschlüsse,
die sie prinzipiell nicht billigte, zu ignoriren und den klageführcnden Juden die
Vereinigung zu eignen Gruppen nahezulegen. Dadurch hätten sie der Spaltung
vorgebeugt, die bei unbefangener Betrachtung nur ihnen schuld gegeben werden
kann. Aber sie handelten unter dem Einflüsse des Terrorismus der jüdischen
Presse oder eines unklaren, schwächlichen Liberalismus, von dem sich loszusagen
die Deutschösterreicher in dieser ernsten Zeit die dringendste Ursache hätten.
Ist doch das Verhalten der Liberalen gegenüber der katholischen Bevölkerung
wahrhaft kläglich! Diese empfindet in ihrer ungeheuern Mehrheit Wohl min¬
destens so gut deutsch wie die aus Galizien oder Ungarn eingewanderten Juden,
und könnte sie sich von den Liberalen der Schonung ihrer religiösen Über¬
zeugungen versehen, so würde sie nicht dulden, daß ihre Abgeordneten mit den
Slawen gemeinsame Sache machen. Aber die Liberalen weichen ängstlich einer
so mächtigen Bundesgenossenschaft aus, selbst ans Gebieten, wo das Zusammen¬
gehen mit den deutschen Konservativen von ihnen keinerlei Opfer an Grund¬
sätzen erheischen würde, und wenn konservative Abgeordnete für das Deutschtum
eintreten, ernten sie von den Zeitungen höchstens höhnische Bemerkungen. Mit
welcher Entschiedenheit auch tagtäglich gepredigt werden mag, daß die Erhaltung
unsers Volkstums unsre erste und vornehmste Sorge sein müsse, wird doch
dieser Satz augenblicklich vergessen vor dem Schreckbilde der konfessionellen
Schule. Das wäre begreiflich, wenn nicht unbeschränkte Bekenntnisfreiheit be¬
stünde. Wer seine Kinder nicht im katholischen Glauben und unter dem Ein¬
flüsse katholischer Priester erziehen lassen will, kann sie Altkatholiken, Protestanten
Augsburgischer oder helvetischer Konfession, jüdisch werden lassen, er kann sich
konfessionslos erklären, ohne daß ihm oder den Seinen dcirans der mindeste
Nachteil erwüchse. Aber Übertritte kommen fast nur behufs einer Eheschließung
vor. Und so ist garnicht abzusehen, wie die Führer der Liberalen sich die Mög¬
lichkeit eines friedlichen Verhältnisses mit dem großen Teile der Bevölkerung vor¬
stellen, welcher aufrichtig katholisch ist und bleiben will und die konfessions¬
lose Schule verabscheut. Die Reformation konnte vor dreihundert Jahren die


Aus (Österreich.

Studenten und Frauen ja freigestanden, eigne Gruppen zu bilden; wenn es
ihnen wirklich nur um die Sache zu thun gewesen wäre, würden sie sofort diesen
Weg eingeschlagen haben, anstatt sich mit Gewalt in eine Gesellschaft ein¬
zudrängen, welche sie nicht haben will. Und die an der Spitze des Vereins
stehenden Persönlichkeiten werden, wenn sie anders der Wahrheit die Ehre geben
wollen, zugeben müssen, daß sie der Bildung solcher, wenn man will, konfessioneller
Gruppen nichts in den Weg gelegt haben würden, wie denn die Presse gewiß
den Anlaß benutzt hätte, auf die deutsche Gesinnung der Juden rühmend hinzu¬
weisen. Den Christe» aber, den „Deutschen germanischer Abstammung" soll
nicht gestattet sein, unter sich zu bleiben! Wir wollen nun die Frage garnicht
untersuchen, ob die erwähnten Beschlüsse zweier Gruppen politisch klug waren
oder nicht: die Leitung hätte auf jeden Fall so klug sein sollen, die Beschlüsse,
die sie prinzipiell nicht billigte, zu ignoriren und den klageführcnden Juden die
Vereinigung zu eignen Gruppen nahezulegen. Dadurch hätten sie der Spaltung
vorgebeugt, die bei unbefangener Betrachtung nur ihnen schuld gegeben werden
kann. Aber sie handelten unter dem Einflüsse des Terrorismus der jüdischen
Presse oder eines unklaren, schwächlichen Liberalismus, von dem sich loszusagen
die Deutschösterreicher in dieser ernsten Zeit die dringendste Ursache hätten.
Ist doch das Verhalten der Liberalen gegenüber der katholischen Bevölkerung
wahrhaft kläglich! Diese empfindet in ihrer ungeheuern Mehrheit Wohl min¬
destens so gut deutsch wie die aus Galizien oder Ungarn eingewanderten Juden,
und könnte sie sich von den Liberalen der Schonung ihrer religiösen Über¬
zeugungen versehen, so würde sie nicht dulden, daß ihre Abgeordneten mit den
Slawen gemeinsame Sache machen. Aber die Liberalen weichen ängstlich einer
so mächtigen Bundesgenossenschaft aus, selbst ans Gebieten, wo das Zusammen¬
gehen mit den deutschen Konservativen von ihnen keinerlei Opfer an Grund¬
sätzen erheischen würde, und wenn konservative Abgeordnete für das Deutschtum
eintreten, ernten sie von den Zeitungen höchstens höhnische Bemerkungen. Mit
welcher Entschiedenheit auch tagtäglich gepredigt werden mag, daß die Erhaltung
unsers Volkstums unsre erste und vornehmste Sorge sein müsse, wird doch
dieser Satz augenblicklich vergessen vor dem Schreckbilde der konfessionellen
Schule. Das wäre begreiflich, wenn nicht unbeschränkte Bekenntnisfreiheit be¬
stünde. Wer seine Kinder nicht im katholischen Glauben und unter dem Ein¬
flüsse katholischer Priester erziehen lassen will, kann sie Altkatholiken, Protestanten
Augsburgischer oder helvetischer Konfession, jüdisch werden lassen, er kann sich
konfessionslos erklären, ohne daß ihm oder den Seinen dcirans der mindeste
Nachteil erwüchse. Aber Übertritte kommen fast nur behufs einer Eheschließung
vor. Und so ist garnicht abzusehen, wie die Führer der Liberalen sich die Mög¬
lichkeit eines friedlichen Verhältnisses mit dem großen Teile der Bevölkerung vor¬
stellen, welcher aufrichtig katholisch ist und bleiben will und die konfessions¬
lose Schule verabscheut. Die Reformation konnte vor dreihundert Jahren die


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[0202] Aus (Österreich. Studenten und Frauen ja freigestanden, eigne Gruppen zu bilden; wenn es ihnen wirklich nur um die Sache zu thun gewesen wäre, würden sie sofort diesen Weg eingeschlagen haben, anstatt sich mit Gewalt in eine Gesellschaft ein¬ zudrängen, welche sie nicht haben will. Und die an der Spitze des Vereins stehenden Persönlichkeiten werden, wenn sie anders der Wahrheit die Ehre geben wollen, zugeben müssen, daß sie der Bildung solcher, wenn man will, konfessioneller Gruppen nichts in den Weg gelegt haben würden, wie denn die Presse gewiß den Anlaß benutzt hätte, auf die deutsche Gesinnung der Juden rühmend hinzu¬ weisen. Den Christe» aber, den „Deutschen germanischer Abstammung" soll nicht gestattet sein, unter sich zu bleiben! Wir wollen nun die Frage garnicht untersuchen, ob die erwähnten Beschlüsse zweier Gruppen politisch klug waren oder nicht: die Leitung hätte auf jeden Fall so klug sein sollen, die Beschlüsse, die sie prinzipiell nicht billigte, zu ignoriren und den klageführcnden Juden die Vereinigung zu eignen Gruppen nahezulegen. Dadurch hätten sie der Spaltung vorgebeugt, die bei unbefangener Betrachtung nur ihnen schuld gegeben werden kann. Aber sie handelten unter dem Einflüsse des Terrorismus der jüdischen Presse oder eines unklaren, schwächlichen Liberalismus, von dem sich loszusagen die Deutschösterreicher in dieser ernsten Zeit die dringendste Ursache hätten. Ist doch das Verhalten der Liberalen gegenüber der katholischen Bevölkerung wahrhaft kläglich! Diese empfindet in ihrer ungeheuern Mehrheit Wohl min¬ destens so gut deutsch wie die aus Galizien oder Ungarn eingewanderten Juden, und könnte sie sich von den Liberalen der Schonung ihrer religiösen Über¬ zeugungen versehen, so würde sie nicht dulden, daß ihre Abgeordneten mit den Slawen gemeinsame Sache machen. Aber die Liberalen weichen ängstlich einer so mächtigen Bundesgenossenschaft aus, selbst ans Gebieten, wo das Zusammen¬ gehen mit den deutschen Konservativen von ihnen keinerlei Opfer an Grund¬ sätzen erheischen würde, und wenn konservative Abgeordnete für das Deutschtum eintreten, ernten sie von den Zeitungen höchstens höhnische Bemerkungen. Mit welcher Entschiedenheit auch tagtäglich gepredigt werden mag, daß die Erhaltung unsers Volkstums unsre erste und vornehmste Sorge sein müsse, wird doch dieser Satz augenblicklich vergessen vor dem Schreckbilde der konfessionellen Schule. Das wäre begreiflich, wenn nicht unbeschränkte Bekenntnisfreiheit be¬ stünde. Wer seine Kinder nicht im katholischen Glauben und unter dem Ein¬ flüsse katholischer Priester erziehen lassen will, kann sie Altkatholiken, Protestanten Augsburgischer oder helvetischer Konfession, jüdisch werden lassen, er kann sich konfessionslos erklären, ohne daß ihm oder den Seinen dcirans der mindeste Nachteil erwüchse. Aber Übertritte kommen fast nur behufs einer Eheschließung vor. Und so ist garnicht abzusehen, wie die Führer der Liberalen sich die Mög¬ lichkeit eines friedlichen Verhältnisses mit dem großen Teile der Bevölkerung vor¬ stellen, welcher aufrichtig katholisch ist und bleiben will und die konfessions¬ lose Schule verabscheut. Die Reformation konnte vor dreihundert Jahren die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/202>, abgerufen am 22.07.2024.