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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Scharnhorsts Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst.

Heerwesen herbeiführen sollten; insbesondre suchte er darin diejenigen, welche nur
den Kampf mit der blanken Waffe gelten lassen wollten, von den Vorzügen und
Vorteilen der Artillerie, seiner Lieblingstruppe, zu überzeugen.

Daß er aber nur auf Beseitigung der veralteten Einrichtungen, nicht über¬
haupt des bestehenden Heerwesens hinarbeitete, beweist der Umstand, daß er mit
aller ihm zu Gebote stehenden Energie und Geistesschärfe den Kampf für die
Erhaltung der stehenden Heere aufnahm. Die Notwendigkeit derselben wurde
damals aufs lebhafteste von den Vertretern der Ausklärungsphilosvphie, na¬
mentlich in England und Frankreich, bestritten. Scharnhorst tritt für ihre Er¬
haltung namentlich mit folgenden Gründen ein: "Der ewige Friede, sagt er,
ist eine Chimäre. So lange die Menschen Leidenschaften haben, werden sie die¬
selben zeigen und aus Ehrgeiz, Rachgier u. f. w. miteinander in Krieg verwickelt
werden. Das einzige, was den Krieg vermindern wird, mag die Aussicht eines
schlechten Erfolges sein. Wenn ein Staat sich erhalten und den Krieg von sich
abwenden will, so muß er beständig bereit sein, sich allen Angriffen widersetzen
zu können." Das könne aber, meint er, ein Staat nur, wenn er stehende
Armeen halte oder die Einwohner bewaffne. Letztere Maßregel aber empfehle
sich weniger. "Erstens gehörten nun einmal zur Führung des Krieges Kennt¬
nisse und große Übungen, welche erlernt werden müßten. Zweitens: die Hilfs¬
mittel zur Führung des Krieges würden versagen, wenn -- wie vies der Krieg
doch erfordert -- der kämpfende Bürger mehrere Jahre von seiner Familie,
seinem Haushalte und Gewerbe entfernt bliebe. Drittens: die Eigenschaften eines
guten Bürgers seien nicht die eines guten Soldaten: dieser müsse den Krieg
wünschen, jener ihn hassen; ohne Vertrauen und guten Willen aber sei kein
Sieg. Endlich: wenn der Bürger Krieg führte, so würde derselbe grausamer
und erbitterter geführt werden. Jetzt sähe man die Einwohner eines fried¬
lichen Landes so an, als wenn sie keinen Anteil am Kriege nähmen; das würde
alsdann nicht geschehen können. Doch alles dieses genügt dem Autor noch nicht.
Er, der seinen Geist zeitig gewöhnt hatte, zu deu letzten Gründen der Dinge
vorzudringen, setzt auch diese Frage in Beziehung zu den höchsten Problemen
der Politik und Philosophie. Er stellt die Behauptung ans, daß auch ohne
stehende Armeen die Menschen in unsern großen Staaten nicht freier und glück¬
licher sein würden, als sie jetzt sind. Sein durchdringender Blick erkennt, daß
die Opposition gegen die stehenden Heere, wenigstens so weit sie von Frankreich
ausgeht, nur die Äußerung einer tiefer und allgemeiner wirkenden Feindschaft
ist, der Feindschaft gegen den Staat überhaupt."

Verteidigte somit Scharnhorst mit allen Mitteln die Einrichtung der
stehenden Heere, so war er doch nicht geneigt, alle ihre Sitten und Gebräuche
ohne weiteres als lobenswert anzuerkennen; im Gegenteil, er deckte die Ge¬
brechen und Fehler der stehenden Heere schonungslos auf und drang auf Re¬
formen. Seiner Meinung nach soll der Friedcnsdienst nur eine Vorbereitung


Scharnhorsts Leben bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst.

Heerwesen herbeiführen sollten; insbesondre suchte er darin diejenigen, welche nur
den Kampf mit der blanken Waffe gelten lassen wollten, von den Vorzügen und
Vorteilen der Artillerie, seiner Lieblingstruppe, zu überzeugen.

Daß er aber nur auf Beseitigung der veralteten Einrichtungen, nicht über¬
haupt des bestehenden Heerwesens hinarbeitete, beweist der Umstand, daß er mit
aller ihm zu Gebote stehenden Energie und Geistesschärfe den Kampf für die
Erhaltung der stehenden Heere aufnahm. Die Notwendigkeit derselben wurde
damals aufs lebhafteste von den Vertretern der Ausklärungsphilosvphie, na¬
mentlich in England und Frankreich, bestritten. Scharnhorst tritt für ihre Er¬
haltung namentlich mit folgenden Gründen ein: „Der ewige Friede, sagt er,
ist eine Chimäre. So lange die Menschen Leidenschaften haben, werden sie die¬
selben zeigen und aus Ehrgeiz, Rachgier u. f. w. miteinander in Krieg verwickelt
werden. Das einzige, was den Krieg vermindern wird, mag die Aussicht eines
schlechten Erfolges sein. Wenn ein Staat sich erhalten und den Krieg von sich
abwenden will, so muß er beständig bereit sein, sich allen Angriffen widersetzen
zu können." Das könne aber, meint er, ein Staat nur, wenn er stehende
Armeen halte oder die Einwohner bewaffne. Letztere Maßregel aber empfehle
sich weniger. „Erstens gehörten nun einmal zur Führung des Krieges Kennt¬
nisse und große Übungen, welche erlernt werden müßten. Zweitens: die Hilfs¬
mittel zur Führung des Krieges würden versagen, wenn — wie vies der Krieg
doch erfordert — der kämpfende Bürger mehrere Jahre von seiner Familie,
seinem Haushalte und Gewerbe entfernt bliebe. Drittens: die Eigenschaften eines
guten Bürgers seien nicht die eines guten Soldaten: dieser müsse den Krieg
wünschen, jener ihn hassen; ohne Vertrauen und guten Willen aber sei kein
Sieg. Endlich: wenn der Bürger Krieg führte, so würde derselbe grausamer
und erbitterter geführt werden. Jetzt sähe man die Einwohner eines fried¬
lichen Landes so an, als wenn sie keinen Anteil am Kriege nähmen; das würde
alsdann nicht geschehen können. Doch alles dieses genügt dem Autor noch nicht.
Er, der seinen Geist zeitig gewöhnt hatte, zu deu letzten Gründen der Dinge
vorzudringen, setzt auch diese Frage in Beziehung zu den höchsten Problemen
der Politik und Philosophie. Er stellt die Behauptung ans, daß auch ohne
stehende Armeen die Menschen in unsern großen Staaten nicht freier und glück¬
licher sein würden, als sie jetzt sind. Sein durchdringender Blick erkennt, daß
die Opposition gegen die stehenden Heere, wenigstens so weit sie von Frankreich
ausgeht, nur die Äußerung einer tiefer und allgemeiner wirkenden Feindschaft
ist, der Feindschaft gegen den Staat überhaupt."

Verteidigte somit Scharnhorst mit allen Mitteln die Einrichtung der
stehenden Heere, so war er doch nicht geneigt, alle ihre Sitten und Gebräuche
ohne weiteres als lobenswert anzuerkennen; im Gegenteil, er deckte die Ge¬
brechen und Fehler der stehenden Heere schonungslos auf und drang auf Re¬
formen. Seiner Meinung nach soll der Friedcnsdienst nur eine Vorbereitung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/20>, abgerufen am 22.07.2024.