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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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nervöse Maler.

Absichtlichkeit zur Schau und greifen zu diesem Zwecke, falls ihre Schulkenntnisse
halbwegs ausreichen, gern zur Feder, Es liegt uns fern, den Künstlern lite¬
rarische Beschäftigung versagen zu wollen: die wissenschaftlichen Arbeiten eines
Schinkel, eines Semper sind von knnstgelehrten Kunstfreunden entschieden fleißiger
gelesen und unbefangener gewürdigt worden als von der großen Menge ihrer
Berufsgenossen; Ernst Förster hat es an Anerkennung von diesen Seiten nicht
gefehlt; einem Rietschel, Schmorr, L. Richter u. s. w, folgen wir mit größter
Freude, wenn sie das Wort über ihre Kunst ergreifen; in Neinick ehren wir
einen liebenswürdigen Dichter, und das journalistische Talent von Ludwig Pietsch
wird rückhaltlos anerkannt. Und auch die galligen Ergüsse von Malern, welche
entweder ihren Beruf verfehlt haben oder von Eigendünkel verblendet sind, be¬
dauern wir vornehmlich um dieser Männer selbst willen, und um derer willen,
die ihnen Nachtreter. Die bösen Folgen werden ja in erster Linie die Künstler
zu tragen haben, wenn sie sich mehr und mehr in den Zunftgeist verrennen,
nicht sehen wollen, was über den Horizont der Werkstatt, der Künstlerkneive
und gewisser "Salons" hinausgeht.

Für gewöhnlich wendet sich der Grimm der Herren Schreibmaler gegen
diejenigen "Kunstschreiber," welche sich mit dem Leben und den Werken der
Künstler früherer Zeiten befassen und sich dadurch schnöder Mißachtung der
Gegenwart schuldig macheu sollen. Über diesen Punkt zu rechten, wäre nutzlos.
Wenn die Herren überhaupt belehrt sein wollten, so brauchten sie sich mir bei
ihren Kollegen vom Stichel und der Nadel zu erkundigen, worin der Reiz alter
Kunstwerke besteht, den sie verkennen. Wir würden auch den Gegenstand nicht
von neuem berührt haben, wenn nicht einer Anzahl Berliner Maler soeben ein
so komisches Malheur (wir wissen keinen hinlänglich bezeichnenden deutschen Aus¬
druck) begegnet wäre. Die Leser der Grenzboten, der Berliner Post, der Zeit¬
schrift für bildende Kunst und andrer Organe wissen, mit welchem Ernste,
welcher Hingebung, welcher geradezu staunenswerten Ausdauer Dr, Adolf Rosen-
berg in Berlin dem Studium der modernen Kunst obliegt, mit welcher Gewissen¬
haftigkeit und welchem Takte er seine Doppelstellung als Kritiker der Erschei¬
nungen des Tages und als Geschichtschreiber der neuern Malerei ausfüllt.
Ohne Widerspruch zu befürchten, darf man behaupten, daß kein zweiter "Knnst-
schreiber" in Deutschland so viel dazu beigetragen hat, das Publikum über die
verschiednen Richtungen und Bestrebungen auf diesem Gebiete zu orientiren und
die Aufmerksamkeit auf das Bedeutende oder Hoffnungsvolle zu lenken. Dieser
Mann hat sich nnn herausgenommen, darüber Klage zu führen, daß die Ver¬
anstalter des Küustlerfestes auf dem Ausstellungsplatze in Berlin keinerlei Rück¬
sicht auf die Vertreter der Presse genommen haben, während man doch sonst
die Kunstreferenten zu finden wisse u. dergl. Diese ganz allgemein gehaltenen
Bemerkungen haben eine Anzahl Berliner Maler in den Harnisch gebracht und
zu einer öffentlichen Erklärung veranlaßt, in welcher nicht etwa steht, daß jene


nervöse Maler.

Absichtlichkeit zur Schau und greifen zu diesem Zwecke, falls ihre Schulkenntnisse
halbwegs ausreichen, gern zur Feder, Es liegt uns fern, den Künstlern lite¬
rarische Beschäftigung versagen zu wollen: die wissenschaftlichen Arbeiten eines
Schinkel, eines Semper sind von knnstgelehrten Kunstfreunden entschieden fleißiger
gelesen und unbefangener gewürdigt worden als von der großen Menge ihrer
Berufsgenossen; Ernst Förster hat es an Anerkennung von diesen Seiten nicht
gefehlt; einem Rietschel, Schmorr, L. Richter u. s. w, folgen wir mit größter
Freude, wenn sie das Wort über ihre Kunst ergreifen; in Neinick ehren wir
einen liebenswürdigen Dichter, und das journalistische Talent von Ludwig Pietsch
wird rückhaltlos anerkannt. Und auch die galligen Ergüsse von Malern, welche
entweder ihren Beruf verfehlt haben oder von Eigendünkel verblendet sind, be¬
dauern wir vornehmlich um dieser Männer selbst willen, und um derer willen,
die ihnen Nachtreter. Die bösen Folgen werden ja in erster Linie die Künstler
zu tragen haben, wenn sie sich mehr und mehr in den Zunftgeist verrennen,
nicht sehen wollen, was über den Horizont der Werkstatt, der Künstlerkneive
und gewisser „Salons" hinausgeht.

Für gewöhnlich wendet sich der Grimm der Herren Schreibmaler gegen
diejenigen „Kunstschreiber," welche sich mit dem Leben und den Werken der
Künstler früherer Zeiten befassen und sich dadurch schnöder Mißachtung der
Gegenwart schuldig macheu sollen. Über diesen Punkt zu rechten, wäre nutzlos.
Wenn die Herren überhaupt belehrt sein wollten, so brauchten sie sich mir bei
ihren Kollegen vom Stichel und der Nadel zu erkundigen, worin der Reiz alter
Kunstwerke besteht, den sie verkennen. Wir würden auch den Gegenstand nicht
von neuem berührt haben, wenn nicht einer Anzahl Berliner Maler soeben ein
so komisches Malheur (wir wissen keinen hinlänglich bezeichnenden deutschen Aus¬
druck) begegnet wäre. Die Leser der Grenzboten, der Berliner Post, der Zeit¬
schrift für bildende Kunst und andrer Organe wissen, mit welchem Ernste,
welcher Hingebung, welcher geradezu staunenswerten Ausdauer Dr, Adolf Rosen-
berg in Berlin dem Studium der modernen Kunst obliegt, mit welcher Gewissen¬
haftigkeit und welchem Takte er seine Doppelstellung als Kritiker der Erschei¬
nungen des Tages und als Geschichtschreiber der neuern Malerei ausfüllt.
Ohne Widerspruch zu befürchten, darf man behaupten, daß kein zweiter „Knnst-
schreiber" in Deutschland so viel dazu beigetragen hat, das Publikum über die
verschiednen Richtungen und Bestrebungen auf diesem Gebiete zu orientiren und
die Aufmerksamkeit auf das Bedeutende oder Hoffnungsvolle zu lenken. Dieser
Mann hat sich nnn herausgenommen, darüber Klage zu führen, daß die Ver¬
anstalter des Küustlerfestes auf dem Ausstellungsplatze in Berlin keinerlei Rück¬
sicht auf die Vertreter der Presse genommen haben, während man doch sonst
die Kunstreferenten zu finden wisse u. dergl. Diese ganz allgemein gehaltenen
Bemerkungen haben eine Anzahl Berliner Maler in den Harnisch gebracht und
zu einer öffentlichen Erklärung veranlaßt, in welcher nicht etwa steht, daß jene


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/180>, abgerufen am 22.07.2024.