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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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breiten, die Margarethe schwer tränkten. Marschall Montmorency sagte eines
Tages dem König offen, wenn man mit Erfolg gegen die Ketzer auftreten wolle,
müsse man das Übel mit der Wurzel vertilgen und die Königin von Navarra
unschädlich machen. In ihrem eignen Lande fuhr die Königin fort, den Pro¬
testantismus zu schützen, in Bearn teilte Bischof Roussel -- gewiß mit Zu¬
stimmung Margarethens -- das Abendmahl uuter beiderlei Gestalt aus, und
las die Messe in französischer Sprache. Die Verwaltung Navarrcis war schon
zum Teil in protestantischen Händen, trotz der Edikte König Heinrichs, und
selbst in ihren französischen Herzogtümern hatte die Königin die wichtigsten
Ämter rcformfrcuudlicheu Männern übertragen. Freilich vermochte sie in diesen
ihr zustehenden Lehen der französischen Krone den Protestanten einen aus¬
reichenden Schutz nicht zu gewähren. So hatte sie einst der protestantischen
Gemeindevertretung von Bourges die bevorstehende Ankunft eines ihrer Kaplünc
angezeigt und in dem Briefe die evangelische Lehre mit Nachdruck empfohlen.
Nach kurzer Zeit wurde ihr Schützling, Michel, in Bourges verhaftet, wegen
ketzerischer Lehren vor Gericht gestellt und verbrannt, ohne daß ihm seine Herrin
Hilfe bringen konnte. Um einen Neffen Melcmchthons, Andreas Melanchthon,
zu retten, reiste sie nach Bordeaux und begab sich in den Sitzungssaal des
Parlaments, wo sie persönlich Fürsprache für den Gefangnen einlegte. Der
starre Calvin, welcher stets offenes Bekenntnis forderte, war mit Margarethens
Haltung nicht immer einverstanden, doch blieb er in Briefwechsel mit ihr und
schrieb noch 1645 an sie: "Ich weiß, welche Gaben unser Heiland Euch ver¬
liehen hat und wie er sich Euer bedient, um sein Reich zu fördern"; sie möge
Christus und dessen Kirche dienen, wie sie es bis zur Stunde gethan habe.

Calvins Schreiben beweist, daß die Reformirten die Königin mit vollem
Rechte zu ihren Anhüngerinnen zählten, wenn sie auch nicht offen zur Reform
übertreten konnte. Denn eine entschiedne Absage an die alte Kirche lag nicht
im Sinne Margarethens, sie glaubte stets, daß eine Besserung auch ohne Spal¬
tung der Kirche durchführbar sei, ihre Duldsamkeit fand die Wahrheit nicht nur
auf der einen Seite vertreten, Calvins tyrannische Heftigkeit, ja Fanatismus
schreckten sie ab. Auch Rücksicht auf den Bruder und Erwägungen über die
politischen Folgen ihres offenen Übertrittes werden dazugekommen sein. Die
steigende Verfolgung der Protestanten bekümmerte sie tief; waren doch viele
ihrer Freunde, so der gelehrte Stephan Dolce, ein Opfer der Inquisition ge¬
worden. In einem Gedichte aus ihren letzten Lebensjahren fleht sie zu Gott
um Kraft für seine verfolgten und mit dem Tode bedrohten Bekenner.

Margarethe hatte nur ein einziges Kind: Johanna. Die schwankende Ge¬
sundheit der jungen Prinzessin gab oft zu ernsten Besorgnissen Anlaß, mehr als
einmal erschien sie dem Tode nahe. Die Verheiratung der herangewachsenen
Erbin von Navarra wurde eine Frage der großen Politik, bald war es der
Infant Philipp von Spanien, bald der Herzog von Orleans, bald ein Bourbon


breiten, die Margarethe schwer tränkten. Marschall Montmorency sagte eines
Tages dem König offen, wenn man mit Erfolg gegen die Ketzer auftreten wolle,
müsse man das Übel mit der Wurzel vertilgen und die Königin von Navarra
unschädlich machen. In ihrem eignen Lande fuhr die Königin fort, den Pro¬
testantismus zu schützen, in Bearn teilte Bischof Roussel — gewiß mit Zu¬
stimmung Margarethens — das Abendmahl uuter beiderlei Gestalt aus, und
las die Messe in französischer Sprache. Die Verwaltung Navarrcis war schon
zum Teil in protestantischen Händen, trotz der Edikte König Heinrichs, und
selbst in ihren französischen Herzogtümern hatte die Königin die wichtigsten
Ämter rcformfrcuudlicheu Männern übertragen. Freilich vermochte sie in diesen
ihr zustehenden Lehen der französischen Krone den Protestanten einen aus¬
reichenden Schutz nicht zu gewähren. So hatte sie einst der protestantischen
Gemeindevertretung von Bourges die bevorstehende Ankunft eines ihrer Kaplünc
angezeigt und in dem Briefe die evangelische Lehre mit Nachdruck empfohlen.
Nach kurzer Zeit wurde ihr Schützling, Michel, in Bourges verhaftet, wegen
ketzerischer Lehren vor Gericht gestellt und verbrannt, ohne daß ihm seine Herrin
Hilfe bringen konnte. Um einen Neffen Melcmchthons, Andreas Melanchthon,
zu retten, reiste sie nach Bordeaux und begab sich in den Sitzungssaal des
Parlaments, wo sie persönlich Fürsprache für den Gefangnen einlegte. Der
starre Calvin, welcher stets offenes Bekenntnis forderte, war mit Margarethens
Haltung nicht immer einverstanden, doch blieb er in Briefwechsel mit ihr und
schrieb noch 1645 an sie: „Ich weiß, welche Gaben unser Heiland Euch ver¬
liehen hat und wie er sich Euer bedient, um sein Reich zu fördern"; sie möge
Christus und dessen Kirche dienen, wie sie es bis zur Stunde gethan habe.

Calvins Schreiben beweist, daß die Reformirten die Königin mit vollem
Rechte zu ihren Anhüngerinnen zählten, wenn sie auch nicht offen zur Reform
übertreten konnte. Denn eine entschiedne Absage an die alte Kirche lag nicht
im Sinne Margarethens, sie glaubte stets, daß eine Besserung auch ohne Spal¬
tung der Kirche durchführbar sei, ihre Duldsamkeit fand die Wahrheit nicht nur
auf der einen Seite vertreten, Calvins tyrannische Heftigkeit, ja Fanatismus
schreckten sie ab. Auch Rücksicht auf den Bruder und Erwägungen über die
politischen Folgen ihres offenen Übertrittes werden dazugekommen sein. Die
steigende Verfolgung der Protestanten bekümmerte sie tief; waren doch viele
ihrer Freunde, so der gelehrte Stephan Dolce, ein Opfer der Inquisition ge¬
worden. In einem Gedichte aus ihren letzten Lebensjahren fleht sie zu Gott
um Kraft für seine verfolgten und mit dem Tode bedrohten Bekenner.

Margarethe hatte nur ein einziges Kind: Johanna. Die schwankende Ge¬
sundheit der jungen Prinzessin gab oft zu ernsten Besorgnissen Anlaß, mehr als
einmal erschien sie dem Tode nahe. Die Verheiratung der herangewachsenen
Erbin von Navarra wurde eine Frage der großen Politik, bald war es der
Infant Philipp von Spanien, bald der Herzog von Orleans, bald ein Bourbon


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[0175] breiten, die Margarethe schwer tränkten. Marschall Montmorency sagte eines Tages dem König offen, wenn man mit Erfolg gegen die Ketzer auftreten wolle, müsse man das Übel mit der Wurzel vertilgen und die Königin von Navarra unschädlich machen. In ihrem eignen Lande fuhr die Königin fort, den Pro¬ testantismus zu schützen, in Bearn teilte Bischof Roussel — gewiß mit Zu¬ stimmung Margarethens — das Abendmahl uuter beiderlei Gestalt aus, und las die Messe in französischer Sprache. Die Verwaltung Navarrcis war schon zum Teil in protestantischen Händen, trotz der Edikte König Heinrichs, und selbst in ihren französischen Herzogtümern hatte die Königin die wichtigsten Ämter rcformfrcuudlicheu Männern übertragen. Freilich vermochte sie in diesen ihr zustehenden Lehen der französischen Krone den Protestanten einen aus¬ reichenden Schutz nicht zu gewähren. So hatte sie einst der protestantischen Gemeindevertretung von Bourges die bevorstehende Ankunft eines ihrer Kaplünc angezeigt und in dem Briefe die evangelische Lehre mit Nachdruck empfohlen. Nach kurzer Zeit wurde ihr Schützling, Michel, in Bourges verhaftet, wegen ketzerischer Lehren vor Gericht gestellt und verbrannt, ohne daß ihm seine Herrin Hilfe bringen konnte. Um einen Neffen Melcmchthons, Andreas Melanchthon, zu retten, reiste sie nach Bordeaux und begab sich in den Sitzungssaal des Parlaments, wo sie persönlich Fürsprache für den Gefangnen einlegte. Der starre Calvin, welcher stets offenes Bekenntnis forderte, war mit Margarethens Haltung nicht immer einverstanden, doch blieb er in Briefwechsel mit ihr und schrieb noch 1645 an sie: „Ich weiß, welche Gaben unser Heiland Euch ver¬ liehen hat und wie er sich Euer bedient, um sein Reich zu fördern"; sie möge Christus und dessen Kirche dienen, wie sie es bis zur Stunde gethan habe. Calvins Schreiben beweist, daß die Reformirten die Königin mit vollem Rechte zu ihren Anhüngerinnen zählten, wenn sie auch nicht offen zur Reform übertreten konnte. Denn eine entschiedne Absage an die alte Kirche lag nicht im Sinne Margarethens, sie glaubte stets, daß eine Besserung auch ohne Spal¬ tung der Kirche durchführbar sei, ihre Duldsamkeit fand die Wahrheit nicht nur auf der einen Seite vertreten, Calvins tyrannische Heftigkeit, ja Fanatismus schreckten sie ab. Auch Rücksicht auf den Bruder und Erwägungen über die politischen Folgen ihres offenen Übertrittes werden dazugekommen sein. Die steigende Verfolgung der Protestanten bekümmerte sie tief; waren doch viele ihrer Freunde, so der gelehrte Stephan Dolce, ein Opfer der Inquisition ge¬ worden. In einem Gedichte aus ihren letzten Lebensjahren fleht sie zu Gott um Kraft für seine verfolgten und mit dem Tode bedrohten Bekenner. Margarethe hatte nur ein einziges Kind: Johanna. Die schwankende Ge¬ sundheit der jungen Prinzessin gab oft zu ernsten Besorgnissen Anlaß, mehr als einmal erschien sie dem Tode nahe. Die Verheiratung der herangewachsenen Erbin von Navarra wurde eine Frage der großen Politik, bald war es der Infant Philipp von Spanien, bald der Herzog von Orleans, bald ein Bourbon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/175>, abgerufen am 22.07.2024.