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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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teilen gemessen, welche sie ihm verhieß. Margarethe vermochte den leicht zu¬
gänglichen Monarchen lange Jahre hindurch wenigstens zu Maßregeln der
Milde und Duldung zu bewegen. In solcher Stellung erhielt sie eine unge¬
wöhnliche Bedeutung für die Protestanten. Sie trat in immer engere Be¬
ziehungen zu den Freunden der Reform, im März 1526 bat sie den Grafen
Hohenlohe, welcher im Interesse der Protestantischen Sache uach Paris kommen
wollte, sich im April am Hofe einzufinden, der König selbst werde nach ihm
senden. "Ich hoffe, daß das Wort der Wahrheit Gehör finden wird," schrieb
sie. Doch politische Rücksichten bestimmten den König, von einem engen An¬
schluß an die Reformpartei abzusehen. Margarethe war genötigt, Hohenlohe
von der Reise abzuraten.

Für die Lage der Reformirten war es ein ungünstiges Ereignis, daß
Margarethe den König von Navarra geheiratet und den Hof ihres Bruders
verlassen hatte. Bald brachen über die Anhänger der neuen Lehre die schwersten
Verfolgungen herein, die Verstümmelung einer Marienstatue zu Paris gab die
äußere Veranlassung dazu. Trotz der inständigsten Bitten Margarethens --
"Monseigneur, schreibt sie einmal, Ihr werdet in Eurer Gnade so handeln,
daß man nicht sage, die Entfernung habe Euch Eure unterthänige und gehor¬
same Schwester vergessen lassen" -- wurde Verquiu wegen seiner Ketzerei er¬
drosselt und seine Leiche verbrannt. Die Annäherung des französischen.Königs
an den Schmalkaldischen Bund brachte deu Reformirten eine kurze Periode
ruhigerer Entwicklung. Die Königin von Navarra folgte dein Fortschreiten des
Protestantismus in Deutschland mit aufmerksamen Blicken. Namentlich arbeitete
sie an einer Einigung der verschiednen Richtungen der neuen Lehre in Deutsch¬
land; den flüchtigen Franzosen zu Straßburg empfahl sie, alle Bestrebungen
dieser Art zu unterstützen. Bucer unterrichtet hiervon Luther, teilt diesem auch
mit, daß die "christliche Heldin" niemals beim protestantischen Gottesdienste
fehle. Von streng katholischer Seite wurde sie heftig angefeindet, Calvin trat
mit ihr in Briefwechsel und sie selbst veröffentlichte in dieser Zeit zwei Bücher,
welche über ihren Standpunkt kaum eiuen Zweifel aufkommen ließen. Sie be¬
wog den Bischof von sentis, ihr Brevier aus dem Lateinischen ins Französische
zu übersetzen (I^öL Irönrvs ä"z is, ro^ne NiirZuvritö). Die Übersetzung erregte an und
sür sich schon Anstoß, weil sie die gewohnte lateinische Sprache im Gottesdienste zu
beseitigen und dafür die nationale herbeizuführen drohte, aber noch mehr erbitterte
es, daß alle Gebete an die Jungfrau und die Heiligen darin weggelassen waren.
Zu derselben Zeit trat Margarethe mit eignen Gedichten I^o nürcür alö l'iwuz
xuvtwrL88v (Spiegel der sündhaften Seele) hervor. Wenn sich darin -- als
eine Art Zugeständnis an die Katholiken -- einige Lieder zum Preis Mariä
finden, so leuchtet doch aus der ganzen Sammlung der protestantische Geist
hervor: der Glaube wird als das einzige Mittel des Heils betont und in dem
marianischen Antiphon: L-non röglin, minor nil"vriooräis.v beseitigt Margarethe


teilen gemessen, welche sie ihm verhieß. Margarethe vermochte den leicht zu¬
gänglichen Monarchen lange Jahre hindurch wenigstens zu Maßregeln der
Milde und Duldung zu bewegen. In solcher Stellung erhielt sie eine unge¬
wöhnliche Bedeutung für die Protestanten. Sie trat in immer engere Be¬
ziehungen zu den Freunden der Reform, im März 1526 bat sie den Grafen
Hohenlohe, welcher im Interesse der Protestantischen Sache uach Paris kommen
wollte, sich im April am Hofe einzufinden, der König selbst werde nach ihm
senden. „Ich hoffe, daß das Wort der Wahrheit Gehör finden wird," schrieb
sie. Doch politische Rücksichten bestimmten den König, von einem engen An¬
schluß an die Reformpartei abzusehen. Margarethe war genötigt, Hohenlohe
von der Reise abzuraten.

Für die Lage der Reformirten war es ein ungünstiges Ereignis, daß
Margarethe den König von Navarra geheiratet und den Hof ihres Bruders
verlassen hatte. Bald brachen über die Anhänger der neuen Lehre die schwersten
Verfolgungen herein, die Verstümmelung einer Marienstatue zu Paris gab die
äußere Veranlassung dazu. Trotz der inständigsten Bitten Margarethens —
„Monseigneur, schreibt sie einmal, Ihr werdet in Eurer Gnade so handeln,
daß man nicht sage, die Entfernung habe Euch Eure unterthänige und gehor¬
same Schwester vergessen lassen" — wurde Verquiu wegen seiner Ketzerei er¬
drosselt und seine Leiche verbrannt. Die Annäherung des französischen.Königs
an den Schmalkaldischen Bund brachte deu Reformirten eine kurze Periode
ruhigerer Entwicklung. Die Königin von Navarra folgte dein Fortschreiten des
Protestantismus in Deutschland mit aufmerksamen Blicken. Namentlich arbeitete
sie an einer Einigung der verschiednen Richtungen der neuen Lehre in Deutsch¬
land; den flüchtigen Franzosen zu Straßburg empfahl sie, alle Bestrebungen
dieser Art zu unterstützen. Bucer unterrichtet hiervon Luther, teilt diesem auch
mit, daß die „christliche Heldin" niemals beim protestantischen Gottesdienste
fehle. Von streng katholischer Seite wurde sie heftig angefeindet, Calvin trat
mit ihr in Briefwechsel und sie selbst veröffentlichte in dieser Zeit zwei Bücher,
welche über ihren Standpunkt kaum eiuen Zweifel aufkommen ließen. Sie be¬
wog den Bischof von sentis, ihr Brevier aus dem Lateinischen ins Französische
zu übersetzen (I^öL Irönrvs ä«z is, ro^ne NiirZuvritö). Die Übersetzung erregte an und
sür sich schon Anstoß, weil sie die gewohnte lateinische Sprache im Gottesdienste zu
beseitigen und dafür die nationale herbeizuführen drohte, aber noch mehr erbitterte
es, daß alle Gebete an die Jungfrau und die Heiligen darin weggelassen waren.
Zu derselben Zeit trat Margarethe mit eignen Gedichten I^o nürcür alö l'iwuz
xuvtwrL88v (Spiegel der sündhaften Seele) hervor. Wenn sich darin — als
eine Art Zugeständnis an die Katholiken — einige Lieder zum Preis Mariä
finden, so leuchtet doch aus der ganzen Sammlung der protestantische Geist
hervor: der Glaube wird als das einzige Mittel des Heils betont und in dem
marianischen Antiphon: L-non röglin, minor nil»vriooräis.v beseitigt Margarethe


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[0173] teilen gemessen, welche sie ihm verhieß. Margarethe vermochte den leicht zu¬ gänglichen Monarchen lange Jahre hindurch wenigstens zu Maßregeln der Milde und Duldung zu bewegen. In solcher Stellung erhielt sie eine unge¬ wöhnliche Bedeutung für die Protestanten. Sie trat in immer engere Be¬ ziehungen zu den Freunden der Reform, im März 1526 bat sie den Grafen Hohenlohe, welcher im Interesse der Protestantischen Sache uach Paris kommen wollte, sich im April am Hofe einzufinden, der König selbst werde nach ihm senden. „Ich hoffe, daß das Wort der Wahrheit Gehör finden wird," schrieb sie. Doch politische Rücksichten bestimmten den König, von einem engen An¬ schluß an die Reformpartei abzusehen. Margarethe war genötigt, Hohenlohe von der Reise abzuraten. Für die Lage der Reformirten war es ein ungünstiges Ereignis, daß Margarethe den König von Navarra geheiratet und den Hof ihres Bruders verlassen hatte. Bald brachen über die Anhänger der neuen Lehre die schwersten Verfolgungen herein, die Verstümmelung einer Marienstatue zu Paris gab die äußere Veranlassung dazu. Trotz der inständigsten Bitten Margarethens — „Monseigneur, schreibt sie einmal, Ihr werdet in Eurer Gnade so handeln, daß man nicht sage, die Entfernung habe Euch Eure unterthänige und gehor¬ same Schwester vergessen lassen" — wurde Verquiu wegen seiner Ketzerei er¬ drosselt und seine Leiche verbrannt. Die Annäherung des französischen.Königs an den Schmalkaldischen Bund brachte deu Reformirten eine kurze Periode ruhigerer Entwicklung. Die Königin von Navarra folgte dein Fortschreiten des Protestantismus in Deutschland mit aufmerksamen Blicken. Namentlich arbeitete sie an einer Einigung der verschiednen Richtungen der neuen Lehre in Deutsch¬ land; den flüchtigen Franzosen zu Straßburg empfahl sie, alle Bestrebungen dieser Art zu unterstützen. Bucer unterrichtet hiervon Luther, teilt diesem auch mit, daß die „christliche Heldin" niemals beim protestantischen Gottesdienste fehle. Von streng katholischer Seite wurde sie heftig angefeindet, Calvin trat mit ihr in Briefwechsel und sie selbst veröffentlichte in dieser Zeit zwei Bücher, welche über ihren Standpunkt kaum eiuen Zweifel aufkommen ließen. Sie be¬ wog den Bischof von sentis, ihr Brevier aus dem Lateinischen ins Französische zu übersetzen (I^öL Irönrvs ä«z is, ro^ne NiirZuvritö). Die Übersetzung erregte an und sür sich schon Anstoß, weil sie die gewohnte lateinische Sprache im Gottesdienste zu beseitigen und dafür die nationale herbeizuführen drohte, aber noch mehr erbitterte es, daß alle Gebete an die Jungfrau und die Heiligen darin weggelassen waren. Zu derselben Zeit trat Margarethe mit eignen Gedichten I^o nürcür alö l'iwuz xuvtwrL88v (Spiegel der sündhaften Seele) hervor. Wenn sich darin — als eine Art Zugeständnis an die Katholiken — einige Lieder zum Preis Mariä finden, so leuchtet doch aus der ganzen Sammlung der protestantische Geist hervor: der Glaube wird als das einzige Mittel des Heils betont und in dem marianischen Antiphon: L-non röglin, minor nil»vriooräis.v beseitigt Margarethe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/173>, abgerufen am 22.07.2024.