Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Schiller der Demokrat.

und


Die beste Staatsverfassung.
Diese nur truü ich dafür erkennen, die jedem erleichtert
Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf.

So sind Wir wiederum beim Dichter Schiller angelangt. Diese Grenze,
wo der Denker sich mit dem Dichter berührt, muß bestimmend sein für die Nnf-
fassnng der etwaigen "Partcitendenz" seiner Dichtung. Trotzdem dürfte noch
ein kurzes Eingehen auf diese letztere für unser Thema ersprießlich werden.
Nicht für unsern besondern Fall, denn es ist ein billiges Vergnügen, aus einem
Dichter -- und namentlich einem dramatischen -- für und gegen eine Ansicht
Belege herauszufischen. Aber die allgemeine Bedeutung der Frage tritt dadurch
vielleicht in ein helleres Licht, ob und inwiefern ein Dichter -- ein Dichter!
man muß das Wort heutzutage ganz besonders aussprechen -- einer Partei
dienen kann. Sie so zu beantworten, wie es ein zum Gemeinplatz gewordenes
Dichterwort thut, erscheint mit Recht trivial und wird daher nicht selten sehr
erfolgreich ironisch oder komisch gewendet. Unter den größten Dichtern aller
Zeiten erscheinen entschiedene "Bekenner," man denke an Aristophanes und an
den Aristophanischen Gegensatz von Nschylos und Euripides, an Dante, an
Milton. Shakespeare zeigt sich als rücksichtsloser Verächter des bei ihm durchweg
als Pöbel auftretenden Volkes und neigt oft zweifellos zur aristokratischen Oli¬
garchie und zu feudalen Einrichtungen. Ronsard war starrer Katholik und Gegner
des soul ro^, Corneille wurde von Richelieu als tronäcnrr behandelt. Je weiter
die Geschichte und mit ihr, wie es fast den Anschein hat, der Parteienkampf
fortschreitet, desto mehr ließen sich Beispiele häufen. Nahm sich schon der antike Ly¬
riker und Epiker, ja der Dramatiker heraus, im Sinne seines Volkes und Stammes
die Stoffe seiner Lieder zu wählen und zu gestalten, um wieviel mehr wird es dem
in diesem Punkte noch sensibler gewordenen modernen erlaubt sein, ein Herz zu
haben für sein Vaterland und seine Sprache, für sein Volk, seine Eigenart und
Sitte! Wenn ewige Rechte der Menschheit in Frage kommen, wenn dämonische
Mächte von irgend welcher Seite her des Lebens Höchstes zu vernichten drohen,
ja schon, wenn dem geringsten Einzelnen im Weltwirrnis sein Menschheitserbe,
sein Recht verkürzt wird, wird da der Dichter nicht unter den ersten aufstehen
und mit feiner eindringlichen Stimme Klage rufen gegen die Empörer? Wir
sind also weit entfernt, kosmopolitische Indolenz lind "objektiven" Naturalismus
als absolute dichterische Ideale hinzustellen. Aber der Dichter soll sich hüten,
Rhetor zu werden und uns mit kleinlichen Plaidohcrs und den Zielen des
Tages zu behelligen, er trage nnr soviel von seiner Partei in die Dichtung
hinein, als sich mit ihr, d. h. dem allgemein Menschlichen, verträgt, er sei ein
Herold der Zeit, aber nicht ihr Liktor. Selbst der Lustspieldichter, der Sati¬
riker wird sich als Dichter uur soweit in die Dienste einer Partei stellen, als
sie die Ausschreitungen einer andern in Schach hält. Ihre eignen Aufschrei--


Schiller der Demokrat.

und


Die beste Staatsverfassung.
Diese nur truü ich dafür erkennen, die jedem erleichtert
Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf.

So sind Wir wiederum beim Dichter Schiller angelangt. Diese Grenze,
wo der Denker sich mit dem Dichter berührt, muß bestimmend sein für die Nnf-
fassnng der etwaigen „Partcitendenz" seiner Dichtung. Trotzdem dürfte noch
ein kurzes Eingehen auf diese letztere für unser Thema ersprießlich werden.
Nicht für unsern besondern Fall, denn es ist ein billiges Vergnügen, aus einem
Dichter — und namentlich einem dramatischen — für und gegen eine Ansicht
Belege herauszufischen. Aber die allgemeine Bedeutung der Frage tritt dadurch
vielleicht in ein helleres Licht, ob und inwiefern ein Dichter — ein Dichter!
man muß das Wort heutzutage ganz besonders aussprechen — einer Partei
dienen kann. Sie so zu beantworten, wie es ein zum Gemeinplatz gewordenes
Dichterwort thut, erscheint mit Recht trivial und wird daher nicht selten sehr
erfolgreich ironisch oder komisch gewendet. Unter den größten Dichtern aller
Zeiten erscheinen entschiedene „Bekenner," man denke an Aristophanes und an
den Aristophanischen Gegensatz von Nschylos und Euripides, an Dante, an
Milton. Shakespeare zeigt sich als rücksichtsloser Verächter des bei ihm durchweg
als Pöbel auftretenden Volkes und neigt oft zweifellos zur aristokratischen Oli¬
garchie und zu feudalen Einrichtungen. Ronsard war starrer Katholik und Gegner
des soul ro^, Corneille wurde von Richelieu als tronäcnrr behandelt. Je weiter
die Geschichte und mit ihr, wie es fast den Anschein hat, der Parteienkampf
fortschreitet, desto mehr ließen sich Beispiele häufen. Nahm sich schon der antike Ly¬
riker und Epiker, ja der Dramatiker heraus, im Sinne seines Volkes und Stammes
die Stoffe seiner Lieder zu wählen und zu gestalten, um wieviel mehr wird es dem
in diesem Punkte noch sensibler gewordenen modernen erlaubt sein, ein Herz zu
haben für sein Vaterland und seine Sprache, für sein Volk, seine Eigenart und
Sitte! Wenn ewige Rechte der Menschheit in Frage kommen, wenn dämonische
Mächte von irgend welcher Seite her des Lebens Höchstes zu vernichten drohen,
ja schon, wenn dem geringsten Einzelnen im Weltwirrnis sein Menschheitserbe,
sein Recht verkürzt wird, wird da der Dichter nicht unter den ersten aufstehen
und mit feiner eindringlichen Stimme Klage rufen gegen die Empörer? Wir
sind also weit entfernt, kosmopolitische Indolenz lind „objektiven" Naturalismus
als absolute dichterische Ideale hinzustellen. Aber der Dichter soll sich hüten,
Rhetor zu werden und uns mit kleinlichen Plaidohcrs und den Zielen des
Tages zu behelligen, er trage nnr soviel von seiner Partei in die Dichtung
hinein, als sich mit ihr, d. h. dem allgemein Menschlichen, verträgt, er sei ein
Herold der Zeit, aber nicht ihr Liktor. Selbst der Lustspieldichter, der Sati¬
riker wird sich als Dichter uur soweit in die Dienste einer Partei stellen, als
sie die Ausschreitungen einer andern in Schach hält. Ihre eignen Aufschrei--


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0163" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198883"/>
          <fw type="header" place="top"> Schiller der Demokrat.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_442" prev="#ID_441"> und</p><lb/>
          <quote> Die beste Staatsverfassung.<lb/>
Diese nur truü ich dafür erkennen, die jedem erleichtert<lb/>
Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_443" next="#ID_444"> So sind Wir wiederum beim Dichter Schiller angelangt. Diese Grenze,<lb/>
wo der Denker sich mit dem Dichter berührt, muß bestimmend sein für die Nnf-<lb/>
fassnng der etwaigen &#x201E;Partcitendenz" seiner Dichtung. Trotzdem dürfte noch<lb/>
ein kurzes Eingehen auf diese letztere für unser Thema ersprießlich werden.<lb/>
Nicht für unsern besondern Fall, denn es ist ein billiges Vergnügen, aus einem<lb/>
Dichter &#x2014; und namentlich einem dramatischen &#x2014; für und gegen eine Ansicht<lb/>
Belege herauszufischen. Aber die allgemeine Bedeutung der Frage tritt dadurch<lb/>
vielleicht in ein helleres Licht, ob und inwiefern ein Dichter &#x2014; ein Dichter!<lb/>
man muß das Wort heutzutage ganz besonders aussprechen &#x2014; einer Partei<lb/>
dienen kann. Sie so zu beantworten, wie es ein zum Gemeinplatz gewordenes<lb/>
Dichterwort thut, erscheint mit Recht trivial und wird daher nicht selten sehr<lb/>
erfolgreich ironisch oder komisch gewendet. Unter den größten Dichtern aller<lb/>
Zeiten erscheinen entschiedene &#x201E;Bekenner," man denke an Aristophanes und an<lb/>
den Aristophanischen Gegensatz von Nschylos und Euripides, an Dante, an<lb/>
Milton. Shakespeare zeigt sich als rücksichtsloser Verächter des bei ihm durchweg<lb/>
als Pöbel auftretenden Volkes und neigt oft zweifellos zur aristokratischen Oli¬<lb/>
garchie und zu feudalen Einrichtungen. Ronsard war starrer Katholik und Gegner<lb/>
des soul ro^, Corneille wurde von Richelieu als tronäcnrr behandelt. Je weiter<lb/>
die Geschichte und mit ihr, wie es fast den Anschein hat, der Parteienkampf<lb/>
fortschreitet, desto mehr ließen sich Beispiele häufen. Nahm sich schon der antike Ly¬<lb/>
riker und Epiker, ja der Dramatiker heraus, im Sinne seines Volkes und Stammes<lb/>
die Stoffe seiner Lieder zu wählen und zu gestalten, um wieviel mehr wird es dem<lb/>
in diesem Punkte noch sensibler gewordenen modernen erlaubt sein, ein Herz zu<lb/>
haben für sein Vaterland und seine Sprache, für sein Volk, seine Eigenart und<lb/>
Sitte! Wenn ewige Rechte der Menschheit in Frage kommen, wenn dämonische<lb/>
Mächte von irgend welcher Seite her des Lebens Höchstes zu vernichten drohen,<lb/>
ja schon, wenn dem geringsten Einzelnen im Weltwirrnis sein Menschheitserbe,<lb/>
sein Recht verkürzt wird, wird da der Dichter nicht unter den ersten aufstehen<lb/>
und mit feiner eindringlichen Stimme Klage rufen gegen die Empörer? Wir<lb/>
sind also weit entfernt, kosmopolitische Indolenz lind &#x201E;objektiven" Naturalismus<lb/>
als absolute dichterische Ideale hinzustellen. Aber der Dichter soll sich hüten,<lb/>
Rhetor zu werden und uns mit kleinlichen Plaidohcrs und den Zielen des<lb/>
Tages zu behelligen, er trage nnr soviel von seiner Partei in die Dichtung<lb/>
hinein, als sich mit ihr, d. h. dem allgemein Menschlichen, verträgt, er sei ein<lb/>
Herold der Zeit, aber nicht ihr Liktor. Selbst der Lustspieldichter, der Sati¬<lb/>
riker wird sich als Dichter uur soweit in die Dienste einer Partei stellen, als<lb/>
sie die Ausschreitungen einer andern in Schach hält.  Ihre eignen Aufschrei--</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0163] Schiller der Demokrat. und Die beste Staatsverfassung. Diese nur truü ich dafür erkennen, die jedem erleichtert Gut zu denken, doch nie, daß er so denke, bedarf. So sind Wir wiederum beim Dichter Schiller angelangt. Diese Grenze, wo der Denker sich mit dem Dichter berührt, muß bestimmend sein für die Nnf- fassnng der etwaigen „Partcitendenz" seiner Dichtung. Trotzdem dürfte noch ein kurzes Eingehen auf diese letztere für unser Thema ersprießlich werden. Nicht für unsern besondern Fall, denn es ist ein billiges Vergnügen, aus einem Dichter — und namentlich einem dramatischen — für und gegen eine Ansicht Belege herauszufischen. Aber die allgemeine Bedeutung der Frage tritt dadurch vielleicht in ein helleres Licht, ob und inwiefern ein Dichter — ein Dichter! man muß das Wort heutzutage ganz besonders aussprechen — einer Partei dienen kann. Sie so zu beantworten, wie es ein zum Gemeinplatz gewordenes Dichterwort thut, erscheint mit Recht trivial und wird daher nicht selten sehr erfolgreich ironisch oder komisch gewendet. Unter den größten Dichtern aller Zeiten erscheinen entschiedene „Bekenner," man denke an Aristophanes und an den Aristophanischen Gegensatz von Nschylos und Euripides, an Dante, an Milton. Shakespeare zeigt sich als rücksichtsloser Verächter des bei ihm durchweg als Pöbel auftretenden Volkes und neigt oft zweifellos zur aristokratischen Oli¬ garchie und zu feudalen Einrichtungen. Ronsard war starrer Katholik und Gegner des soul ro^, Corneille wurde von Richelieu als tronäcnrr behandelt. Je weiter die Geschichte und mit ihr, wie es fast den Anschein hat, der Parteienkampf fortschreitet, desto mehr ließen sich Beispiele häufen. Nahm sich schon der antike Ly¬ riker und Epiker, ja der Dramatiker heraus, im Sinne seines Volkes und Stammes die Stoffe seiner Lieder zu wählen und zu gestalten, um wieviel mehr wird es dem in diesem Punkte noch sensibler gewordenen modernen erlaubt sein, ein Herz zu haben für sein Vaterland und seine Sprache, für sein Volk, seine Eigenart und Sitte! Wenn ewige Rechte der Menschheit in Frage kommen, wenn dämonische Mächte von irgend welcher Seite her des Lebens Höchstes zu vernichten drohen, ja schon, wenn dem geringsten Einzelnen im Weltwirrnis sein Menschheitserbe, sein Recht verkürzt wird, wird da der Dichter nicht unter den ersten aufstehen und mit feiner eindringlichen Stimme Klage rufen gegen die Empörer? Wir sind also weit entfernt, kosmopolitische Indolenz lind „objektiven" Naturalismus als absolute dichterische Ideale hinzustellen. Aber der Dichter soll sich hüten, Rhetor zu werden und uns mit kleinlichen Plaidohcrs und den Zielen des Tages zu behelligen, er trage nnr soviel von seiner Partei in die Dichtung hinein, als sich mit ihr, d. h. dem allgemein Menschlichen, verträgt, er sei ein Herold der Zeit, aber nicht ihr Liktor. Selbst der Lustspieldichter, der Sati¬ riker wird sich als Dichter uur soweit in die Dienste einer Partei stellen, als sie die Ausschreitungen einer andern in Schach hält. Ihre eignen Aufschrei--

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/163
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/163>, abgerufen am 22.07.2024.