Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Schiller der Demokrat.

würdig machen soll, "den Staat der Not mit dem Staate der Freiheit zu ver¬
tauschen." Wie er über die Grenzen des "ästhetischen Staates" dachte, in dem
"das Ideal der Gleichheit erfüllt wird, welches der Schwärmer so gern auch
demi Wesen nach realisirt sehen möchte," zeigt der Schluß der ästhetischen Briefe.
"Existirt ein solcher Staat, und wo ist er zu finden? Dem Bedürfnisse nach
existirt er in jeder feingestimmter Seele; der That nach möchte man ihn Wohl
nur, wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen
Zirkeln finden, wo nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigne
schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltsten Ver¬
hältnisse mit kühner Einfalt und ruhiger Unschuld geht, und weder nötig hat,
fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde weg¬
zuwerfen, um Anmut zu zeigen." Welche politische Form er zur steten Auf¬
rechterhaltung der Möglichkeit solcher höchsten menschlichen Gemeinschaft am
geeignetsten erachtete, besagt aufs neue der vorhergehende Gedanke: "Wenn es
wahr ist, daß der schöne Ton in der Nähe des Thrones am frühesten und voll¬
kommensten reift, so müßte man anch hier die gütige Schickung erkennen, die
den Menschen oft nur deswegen in der Wirklichkeit einzuschränken scheint, um
ihn in eine idealische Welt zu treiben."

Wir glauben uns berechtigt, nunmehr folgende Worte aus dem vierten der
ästhetischen Briefe als Quintessenz von Schillers politischer Überzeugung hinzu-
stellen: "Eben deswegen, weil der Staat eine Organisation sein soll, die sich durch
sich selbst und für sich selbst bildet, so kann er anch nur insofern wirklich werden,
als sich die Teile zur Idee des Ganzen hinanfgestimmt haben. Weil der Staat
der reinen und objektiven Menschheit in der Brust seiner Bürger zum Repräsen¬
tanten dient, so wird er gegen seine Bürger dasselbe Verhältnis zu beobachten
haben, in welchem sie zu sich selber stehen, und ihre subjektive Menschheit much
nur in dein Grade ehren können, als sie objektiv veredelt ist. Ist der innere
Mensch mit sich einig, so wird er auch bei der höchsten Univcrsalirung seines
Betragens seine Eigentümlichkeit retten, und der Staat wird bloß der Ausleger
seines schönen Instinktes, die deutlichere Formel seiner innern Gesetzgebung sein.
Setzt sich hingegen in dem Charakter eines Volkes der subjektive Mensch dem
objektiven uoch so lontradiktorisch entgegen, daß mir die Unterdrückung des erstern
dem letztern den Sieg verschaffen kann, so wird auch der Staat gegen den
Bürger den strengen Ernst des Gesetzes annehmen und, um nicht ihr Opfer zu
sein, eine so feindselige Individualität ohne Achtung darniedertreten müssen."
Verlangt jemand nach diesen abstrakten philosophischen Formeln noch nach einer
leichtfaßlichcn, sinnlichen Darstellung derselben, so verweisen wir ihn ans die gut¬
mütig spottende Weisheit der Epigramme:


An die Gesetzgeber.
Setzet nur immer voraus, daß der Mensch im ganzen das Rechte
Will, im einzelnen nur rechnet mir mcmals darauf,

Schiller der Demokrat.

würdig machen soll, „den Staat der Not mit dem Staate der Freiheit zu ver¬
tauschen." Wie er über die Grenzen des „ästhetischen Staates" dachte, in dem
„das Ideal der Gleichheit erfüllt wird, welches der Schwärmer so gern auch
demi Wesen nach realisirt sehen möchte," zeigt der Schluß der ästhetischen Briefe.
„Existirt ein solcher Staat, und wo ist er zu finden? Dem Bedürfnisse nach
existirt er in jeder feingestimmter Seele; der That nach möchte man ihn Wohl
nur, wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen
Zirkeln finden, wo nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigne
schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltsten Ver¬
hältnisse mit kühner Einfalt und ruhiger Unschuld geht, und weder nötig hat,
fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde weg¬
zuwerfen, um Anmut zu zeigen." Welche politische Form er zur steten Auf¬
rechterhaltung der Möglichkeit solcher höchsten menschlichen Gemeinschaft am
geeignetsten erachtete, besagt aufs neue der vorhergehende Gedanke: „Wenn es
wahr ist, daß der schöne Ton in der Nähe des Thrones am frühesten und voll¬
kommensten reift, so müßte man anch hier die gütige Schickung erkennen, die
den Menschen oft nur deswegen in der Wirklichkeit einzuschränken scheint, um
ihn in eine idealische Welt zu treiben."

Wir glauben uns berechtigt, nunmehr folgende Worte aus dem vierten der
ästhetischen Briefe als Quintessenz von Schillers politischer Überzeugung hinzu-
stellen: „Eben deswegen, weil der Staat eine Organisation sein soll, die sich durch
sich selbst und für sich selbst bildet, so kann er anch nur insofern wirklich werden,
als sich die Teile zur Idee des Ganzen hinanfgestimmt haben. Weil der Staat
der reinen und objektiven Menschheit in der Brust seiner Bürger zum Repräsen¬
tanten dient, so wird er gegen seine Bürger dasselbe Verhältnis zu beobachten
haben, in welchem sie zu sich selber stehen, und ihre subjektive Menschheit much
nur in dein Grade ehren können, als sie objektiv veredelt ist. Ist der innere
Mensch mit sich einig, so wird er auch bei der höchsten Univcrsalirung seines
Betragens seine Eigentümlichkeit retten, und der Staat wird bloß der Ausleger
seines schönen Instinktes, die deutlichere Formel seiner innern Gesetzgebung sein.
Setzt sich hingegen in dem Charakter eines Volkes der subjektive Mensch dem
objektiven uoch so lontradiktorisch entgegen, daß mir die Unterdrückung des erstern
dem letztern den Sieg verschaffen kann, so wird auch der Staat gegen den
Bürger den strengen Ernst des Gesetzes annehmen und, um nicht ihr Opfer zu
sein, eine so feindselige Individualität ohne Achtung darniedertreten müssen."
Verlangt jemand nach diesen abstrakten philosophischen Formeln noch nach einer
leichtfaßlichcn, sinnlichen Darstellung derselben, so verweisen wir ihn ans die gut¬
mütig spottende Weisheit der Epigramme:


An die Gesetzgeber.
Setzet nur immer voraus, daß der Mensch im ganzen das Rechte
Will, im einzelnen nur rechnet mir mcmals darauf,

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0162" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198882"/>
          <fw type="header" place="top"> Schiller der Demokrat.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_440" prev="#ID_439"> würdig machen soll, &#x201E;den Staat der Not mit dem Staate der Freiheit zu ver¬<lb/>
tauschen." Wie er über die Grenzen des &#x201E;ästhetischen Staates" dachte, in dem<lb/>
&#x201E;das Ideal der Gleichheit erfüllt wird, welches der Schwärmer so gern auch<lb/>
demi Wesen nach realisirt sehen möchte," zeigt der Schluß der ästhetischen Briefe.<lb/>
&#x201E;Existirt ein solcher Staat, und wo ist er zu finden? Dem Bedürfnisse nach<lb/>
existirt er in jeder feingestimmter Seele; der That nach möchte man ihn Wohl<lb/>
nur, wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen<lb/>
Zirkeln finden, wo nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigne<lb/>
schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltsten Ver¬<lb/>
hältnisse mit kühner Einfalt und ruhiger Unschuld geht, und weder nötig hat,<lb/>
fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde weg¬<lb/>
zuwerfen, um Anmut zu zeigen." Welche politische Form er zur steten Auf¬<lb/>
rechterhaltung der Möglichkeit solcher höchsten menschlichen Gemeinschaft am<lb/>
geeignetsten erachtete, besagt aufs neue der vorhergehende Gedanke: &#x201E;Wenn es<lb/>
wahr ist, daß der schöne Ton in der Nähe des Thrones am frühesten und voll¬<lb/>
kommensten reift, so müßte man anch hier die gütige Schickung erkennen, die<lb/>
den Menschen oft nur deswegen in der Wirklichkeit einzuschränken scheint, um<lb/>
ihn in eine idealische Welt zu treiben."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_441" next="#ID_442"> Wir glauben uns berechtigt, nunmehr folgende Worte aus dem vierten der<lb/>
ästhetischen Briefe als Quintessenz von Schillers politischer Überzeugung hinzu-<lb/>
stellen: &#x201E;Eben deswegen, weil der Staat eine Organisation sein soll, die sich durch<lb/>
sich selbst und für sich selbst bildet, so kann er anch nur insofern wirklich werden,<lb/>
als sich die Teile zur Idee des Ganzen hinanfgestimmt haben. Weil der Staat<lb/>
der reinen und objektiven Menschheit in der Brust seiner Bürger zum Repräsen¬<lb/>
tanten dient, so wird er gegen seine Bürger dasselbe Verhältnis zu beobachten<lb/>
haben, in welchem sie zu sich selber stehen, und ihre subjektive Menschheit much<lb/>
nur in dein Grade ehren können, als sie objektiv veredelt ist. Ist der innere<lb/>
Mensch mit sich einig, so wird er auch bei der höchsten Univcrsalirung seines<lb/>
Betragens seine Eigentümlichkeit retten, und der Staat wird bloß der Ausleger<lb/>
seines schönen Instinktes, die deutlichere Formel seiner innern Gesetzgebung sein.<lb/>
Setzt sich hingegen in dem Charakter eines Volkes der subjektive Mensch dem<lb/>
objektiven uoch so lontradiktorisch entgegen, daß mir die Unterdrückung des erstern<lb/>
dem letztern den Sieg verschaffen kann, so wird auch der Staat gegen den<lb/>
Bürger den strengen Ernst des Gesetzes annehmen und, um nicht ihr Opfer zu<lb/>
sein, eine so feindselige Individualität ohne Achtung darniedertreten müssen."<lb/>
Verlangt jemand nach diesen abstrakten philosophischen Formeln noch nach einer<lb/>
leichtfaßlichcn, sinnlichen Darstellung derselben, so verweisen wir ihn ans die gut¬<lb/>
mütig spottende Weisheit der Epigramme:</p><lb/>
          <quote> An die Gesetzgeber.<lb/>
Setzet nur immer voraus, daß der Mensch im ganzen das Rechte<lb/>
Will, im einzelnen nur rechnet mir mcmals darauf,</quote><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0162] Schiller der Demokrat. würdig machen soll, „den Staat der Not mit dem Staate der Freiheit zu ver¬ tauschen." Wie er über die Grenzen des „ästhetischen Staates" dachte, in dem „das Ideal der Gleichheit erfüllt wird, welches der Schwärmer so gern auch demi Wesen nach realisirt sehen möchte," zeigt der Schluß der ästhetischen Briefe. „Existirt ein solcher Staat, und wo ist er zu finden? Dem Bedürfnisse nach existirt er in jeder feingestimmter Seele; der That nach möchte man ihn Wohl nur, wie die reine Kirche und die reine Republik, in einigen wenigen auserlesenen Zirkeln finden, wo nicht die geistlose Nachahmung fremder Sitten, sondern eigne schöne Natur das Betragen lenkt, wo der Mensch durch die verwickeltsten Ver¬ hältnisse mit kühner Einfalt und ruhiger Unschuld geht, und weder nötig hat, fremde Freiheit zu kränken, um die seinige zu behaupten, noch seine Würde weg¬ zuwerfen, um Anmut zu zeigen." Welche politische Form er zur steten Auf¬ rechterhaltung der Möglichkeit solcher höchsten menschlichen Gemeinschaft am geeignetsten erachtete, besagt aufs neue der vorhergehende Gedanke: „Wenn es wahr ist, daß der schöne Ton in der Nähe des Thrones am frühesten und voll¬ kommensten reift, so müßte man anch hier die gütige Schickung erkennen, die den Menschen oft nur deswegen in der Wirklichkeit einzuschränken scheint, um ihn in eine idealische Welt zu treiben." Wir glauben uns berechtigt, nunmehr folgende Worte aus dem vierten der ästhetischen Briefe als Quintessenz von Schillers politischer Überzeugung hinzu- stellen: „Eben deswegen, weil der Staat eine Organisation sein soll, die sich durch sich selbst und für sich selbst bildet, so kann er anch nur insofern wirklich werden, als sich die Teile zur Idee des Ganzen hinanfgestimmt haben. Weil der Staat der reinen und objektiven Menschheit in der Brust seiner Bürger zum Repräsen¬ tanten dient, so wird er gegen seine Bürger dasselbe Verhältnis zu beobachten haben, in welchem sie zu sich selber stehen, und ihre subjektive Menschheit much nur in dein Grade ehren können, als sie objektiv veredelt ist. Ist der innere Mensch mit sich einig, so wird er auch bei der höchsten Univcrsalirung seines Betragens seine Eigentümlichkeit retten, und der Staat wird bloß der Ausleger seines schönen Instinktes, die deutlichere Formel seiner innern Gesetzgebung sein. Setzt sich hingegen in dem Charakter eines Volkes der subjektive Mensch dem objektiven uoch so lontradiktorisch entgegen, daß mir die Unterdrückung des erstern dem letztern den Sieg verschaffen kann, so wird auch der Staat gegen den Bürger den strengen Ernst des Gesetzes annehmen und, um nicht ihr Opfer zu sein, eine so feindselige Individualität ohne Achtung darniedertreten müssen." Verlangt jemand nach diesen abstrakten philosophischen Formeln noch nach einer leichtfaßlichcn, sinnlichen Darstellung derselben, so verweisen wir ihn ans die gut¬ mütig spottende Weisheit der Epigramme: An die Gesetzgeber. Setzet nur immer voraus, daß der Mensch im ganzen das Rechte Will, im einzelnen nur rechnet mir mcmals darauf,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/162
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/162>, abgerufen am 03.07.2024.