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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Schiller der Demokrat.

schien." Doch ist der Einfluß des Nadikalbösen und die Eindrücke gerade der
Zeit, in welcher die Schrift entstand (sie erschien 1793 im zweiten Stück der
neuen "Thalia") bereits sehr deutlich. "Was die Natur mit unermüdeter, stiller
Thätigkeit erbaute, wird oft wieder umgerissen von der Freiheit, die gleich einem
anschwellenden Strome über die Ufer tritt." Schiller entlehnt seine Bilder im
philosophischen Vortrage sehr gern den politischen Verhältnissen. Das früher so
beliebte Ideal der Republik fehlt auffallenderweise hier vollständig. Dagegen
erscheint jetzt zur Veranschaulichung des einen ästhetischen Extrems die "rohe
Materie in Freiheit," das Bild "einer wilden Ochlokratie, wo der Bürger durch
Aufkündigung des Gehorsams gegen den rechtmäßigen Oberherrn so wenig frei,
als die menschliche Bildung durch Unterdrückung der moralischen Selbstthätigkeit
schön wird, vielmehr nur dem brutaleren Despotismus der untersten Klassen, wie
hier die Form der Masse, anheimfällt." An der Stelle, wo man zuerst den
Vergleich mit der Republik erwarten sollte, bei der Erörterung des angestrebten
Resultats, des freien Spiels der sinnlichen und geistigen Kräfte, der Aufhebung
des Gegensatzes zwischen "soll" und "darf," zwischen Pflicht und Neigung, wird
mit ausdrücklicher Hinweisung auf ihre (hier sehr bedeutsame) Übereinstimmung
folgende "bildliche Vorstellung" ausgeführt: "Wenn ein monarchischer Staat
auf eine solche Art verwaltet wird, daß, obgleich alles nach eines Einzigen
Willen geht, der einzelne Bürger sich doch überreden kann, daß er nach seinem
eignen Sinne lebe und bloß seiner Neigung gehorche, so nennt man dies eine
liberale Regierung." Daran schließt sich noch als eine in unserm Zusammenhang
wichtige Einschränkung die Bemerkung, daß "man großes Bedenken tragen würde,
ihr diesen Namen zu geben, wenn der Bürger seine Neigung gegen den Willen
des Regenten behauptete; denn in solchem Falle wäre sie garnicht Regierung."

Als der Hofrat und Professor Friedrich Schiller im Jahre 1793 sein
Heimatland wiedersah, das er vor zwölf Jahren als Rebell und Flüchtling
verlassen hatte, war es wohl natürlich, daß die Genossen seiner Jugend ihn kaum
wiedererkannten. Ein ernster, stiller Mann war aus dem berüchtigten Negiments-
medikus geworden, der damals aus dem "Käficht" entwich, dessen "Geist nach
Thaten durstete" und dessen "Atem nach Freiheit," der "mit dem Worte: Mörder!
Räuber!" den erschreckten Schwaben "das Gesetz unter die Füße rollte." Er
war ein vornehmer Mann geworden, etwas Unnahbares lag in seinem Benehmen,
und der Unvorbereitete trat wohl scheu eiuen Schritt zurück vor dein langen,
blassen Manne mit der schlechten Haltung und den hoheitsvollen Zügen, mit
dem feurigen Haar und den ruhigen Augen, jenen Augen des "heiligen Willens,"
in denen "hoch über der Zeit und dem Raume webt lebendig der höchste Ge¬
danke." Die Freiheit der Gedanken, sie war seine Zuflucht geworden, nachdem
er den "ewigen Abgrund" erkannt hatte, der Menschliches vom Göttlichen trennt;
er opferte das heilige Palladium seines Menschentums nicht, aber er trug es
in die "heitern Regionen, wo die reinen Formen wohnen," er "ließ die Schönheit


Schiller der Demokrat.

schien." Doch ist der Einfluß des Nadikalbösen und die Eindrücke gerade der
Zeit, in welcher die Schrift entstand (sie erschien 1793 im zweiten Stück der
neuen „Thalia") bereits sehr deutlich. „Was die Natur mit unermüdeter, stiller
Thätigkeit erbaute, wird oft wieder umgerissen von der Freiheit, die gleich einem
anschwellenden Strome über die Ufer tritt." Schiller entlehnt seine Bilder im
philosophischen Vortrage sehr gern den politischen Verhältnissen. Das früher so
beliebte Ideal der Republik fehlt auffallenderweise hier vollständig. Dagegen
erscheint jetzt zur Veranschaulichung des einen ästhetischen Extrems die „rohe
Materie in Freiheit," das Bild „einer wilden Ochlokratie, wo der Bürger durch
Aufkündigung des Gehorsams gegen den rechtmäßigen Oberherrn so wenig frei,
als die menschliche Bildung durch Unterdrückung der moralischen Selbstthätigkeit
schön wird, vielmehr nur dem brutaleren Despotismus der untersten Klassen, wie
hier die Form der Masse, anheimfällt." An der Stelle, wo man zuerst den
Vergleich mit der Republik erwarten sollte, bei der Erörterung des angestrebten
Resultats, des freien Spiels der sinnlichen und geistigen Kräfte, der Aufhebung
des Gegensatzes zwischen „soll" und „darf," zwischen Pflicht und Neigung, wird
mit ausdrücklicher Hinweisung auf ihre (hier sehr bedeutsame) Übereinstimmung
folgende „bildliche Vorstellung" ausgeführt: „Wenn ein monarchischer Staat
auf eine solche Art verwaltet wird, daß, obgleich alles nach eines Einzigen
Willen geht, der einzelne Bürger sich doch überreden kann, daß er nach seinem
eignen Sinne lebe und bloß seiner Neigung gehorche, so nennt man dies eine
liberale Regierung." Daran schließt sich noch als eine in unserm Zusammenhang
wichtige Einschränkung die Bemerkung, daß „man großes Bedenken tragen würde,
ihr diesen Namen zu geben, wenn der Bürger seine Neigung gegen den Willen
des Regenten behauptete; denn in solchem Falle wäre sie garnicht Regierung."

Als der Hofrat und Professor Friedrich Schiller im Jahre 1793 sein
Heimatland wiedersah, das er vor zwölf Jahren als Rebell und Flüchtling
verlassen hatte, war es wohl natürlich, daß die Genossen seiner Jugend ihn kaum
wiedererkannten. Ein ernster, stiller Mann war aus dem berüchtigten Negiments-
medikus geworden, der damals aus dem „Käficht" entwich, dessen „Geist nach
Thaten durstete" und dessen „Atem nach Freiheit," der „mit dem Worte: Mörder!
Räuber!" den erschreckten Schwaben „das Gesetz unter die Füße rollte." Er
war ein vornehmer Mann geworden, etwas Unnahbares lag in seinem Benehmen,
und der Unvorbereitete trat wohl scheu eiuen Schritt zurück vor dein langen,
blassen Manne mit der schlechten Haltung und den hoheitsvollen Zügen, mit
dem feurigen Haar und den ruhigen Augen, jenen Augen des „heiligen Willens,"
in denen „hoch über der Zeit und dem Raume webt lebendig der höchste Ge¬
danke." Die Freiheit der Gedanken, sie war seine Zuflucht geworden, nachdem
er den „ewigen Abgrund" erkannt hatte, der Menschliches vom Göttlichen trennt;
er opferte das heilige Palladium seines Menschentums nicht, aber er trug es
in die „heitern Regionen, wo die reinen Formen wohnen," er „ließ die Schönheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/158>, abgerufen am 22.07.2024.