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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Camoens.

Wie zum Takte der Nuder klang das Lied des Schiffers, in deu Endreim
fielen die Ruderknechte auch andrer Boote ein, und Camoens, welcher mit irrem
Blicke dem entschwebenden Boote, dem singenden Schiffer und dem greisen
Miraflores nachstarrte, fühlte sich von dem Blitze gestreift und gelähmt, der
ihm sein dunkles Bangen und Ahnen jäh und grell erhellt hatte. Aber nur
wenige Minuten währte es, daß er unbeweglich stand, wild sprang er die Stufen
hinab, drängte die Palastdienerschaft, soweit sie ihm nicht ehrfurchtsvoll aus¬
wich, zur Seite. Aus seiner Tasche riß er ein Goldstück hervor, eines der
letzten, die er sein nannte, warf es dem Schiffer des nächsten Bootes in die
Mütze und sich selbst in das Boot, indem er dem verdutzten Ruderer zurief:
Nach dem Schiffe des Königs! Jede Minute ist kostbar! °

Der Bootsführer gehorchte dem Anrufe trotz des Murrens, welches die
am Ufer zurückbleibenden, der Einschiffung ungeduldig harrenden, sofort er¬
hoben. Da Camoens allein in dem kleinen Fahrzeuge saß, flog dasselbe den
andern übervollen Booten rasch voraus und glitt zwischen die Reihen der
Kriegsschiffe hinein, von denen wiederum dröhnendes Getümmel und brausender
Lärm erscholl. Camoens hätte die Worte, die der Schiffer an ihn richtete,
nicht verstehen können, auch wenn er minder betäubt und erregt gewesen wäre.
Wußte er doch nicht einmal, ob ihn Miraflores wahrgenommen hatte, als sein
kleiner Kahn an dem großen, in dem der Alte saß, vorübergeschossen war, unter¬
schied er doch uicht, ob das gleiche Lied, das ihn vorhin so mächtig durchzuckt und
jede bange Ahnung in peinvolle Erwartung verwandelt hatte, hinter ihm drein-
klang, oder ob es andre Lieder waren, von denen er abgerissene Töne zwischen
dem Schreien, dem Waffenrasseln und dem Schlagen der Wogen an die Schiffe
vernahm. Der Wilderregte Hütte nicht sich noch andern zu sagen vermocht,
was er am Bord des königlichen Schiffes wolle, eine dunkle Gewalt trieb ihn
der niederschmetternder Gewißheit entgegen, die seiner dort harrte, und doch er¬
munterte er mit Zeichen und Mienen den verwunderten Bootsmann zur äußersten
Anstrengung. Keine Viertelstunde später, als der König selbst an Bord ge¬
kommen war, stieß das kleine Boot, in dem sich Camoens augenblicklich empor¬
richtete, an die königliche Galeere, von der die Schiffsleitern noch in die Flut
herabhingen. Indem er haftig ein Tau zum Hinaufspringen erfaßte, hörte er
doch die Frage des Schiffers noch: Kommt Ihr zurück, Senhor? soll ich Euer
warten? und beantwortete sie mit einem kurzen: Warte, wenn es dir gefällt!

Und schon klomm er empor, schon stand er am Bord und überschaute das
breite, von Menschen wimmelnde Verdeck des Königsschiffes. Ein Gefühl von
Schwindel drohte ihm das Ange zu verdunkeln, als er die Reihen der benach¬
barten Schiffe entlang blickte, welche in heftiger werdender Bewegung hin- und
herschwankten. Er faßte die nächste Schifssplcmke, um fester zu stehen und
klarer zu sehen -- er mußte sich bezwingen, wenn nicht alles, was er gethan,
warum er gekommen war, vergeblich sein sollte. Warum war er gekommen --


Camoens.

Wie zum Takte der Nuder klang das Lied des Schiffers, in deu Endreim
fielen die Ruderknechte auch andrer Boote ein, und Camoens, welcher mit irrem
Blicke dem entschwebenden Boote, dem singenden Schiffer und dem greisen
Miraflores nachstarrte, fühlte sich von dem Blitze gestreift und gelähmt, der
ihm sein dunkles Bangen und Ahnen jäh und grell erhellt hatte. Aber nur
wenige Minuten währte es, daß er unbeweglich stand, wild sprang er die Stufen
hinab, drängte die Palastdienerschaft, soweit sie ihm nicht ehrfurchtsvoll aus¬
wich, zur Seite. Aus seiner Tasche riß er ein Goldstück hervor, eines der
letzten, die er sein nannte, warf es dem Schiffer des nächsten Bootes in die
Mütze und sich selbst in das Boot, indem er dem verdutzten Ruderer zurief:
Nach dem Schiffe des Königs! Jede Minute ist kostbar! °

Der Bootsführer gehorchte dem Anrufe trotz des Murrens, welches die
am Ufer zurückbleibenden, der Einschiffung ungeduldig harrenden, sofort er¬
hoben. Da Camoens allein in dem kleinen Fahrzeuge saß, flog dasselbe den
andern übervollen Booten rasch voraus und glitt zwischen die Reihen der
Kriegsschiffe hinein, von denen wiederum dröhnendes Getümmel und brausender
Lärm erscholl. Camoens hätte die Worte, die der Schiffer an ihn richtete,
nicht verstehen können, auch wenn er minder betäubt und erregt gewesen wäre.
Wußte er doch nicht einmal, ob ihn Miraflores wahrgenommen hatte, als sein
kleiner Kahn an dem großen, in dem der Alte saß, vorübergeschossen war, unter¬
schied er doch uicht, ob das gleiche Lied, das ihn vorhin so mächtig durchzuckt und
jede bange Ahnung in peinvolle Erwartung verwandelt hatte, hinter ihm drein-
klang, oder ob es andre Lieder waren, von denen er abgerissene Töne zwischen
dem Schreien, dem Waffenrasseln und dem Schlagen der Wogen an die Schiffe
vernahm. Der Wilderregte Hütte nicht sich noch andern zu sagen vermocht,
was er am Bord des königlichen Schiffes wolle, eine dunkle Gewalt trieb ihn
der niederschmetternder Gewißheit entgegen, die seiner dort harrte, und doch er¬
munterte er mit Zeichen und Mienen den verwunderten Bootsmann zur äußersten
Anstrengung. Keine Viertelstunde später, als der König selbst an Bord ge¬
kommen war, stieß das kleine Boot, in dem sich Camoens augenblicklich empor¬
richtete, an die königliche Galeere, von der die Schiffsleitern noch in die Flut
herabhingen. Indem er haftig ein Tau zum Hinaufspringen erfaßte, hörte er
doch die Frage des Schiffers noch: Kommt Ihr zurück, Senhor? soll ich Euer
warten? und beantwortete sie mit einem kurzen: Warte, wenn es dir gefällt!

Und schon klomm er empor, schon stand er am Bord und überschaute das
breite, von Menschen wimmelnde Verdeck des Königsschiffes. Ein Gefühl von
Schwindel drohte ihm das Ange zu verdunkeln, als er die Reihen der benach¬
barten Schiffe entlang blickte, welche in heftiger werdender Bewegung hin- und
herschwankten. Er faßte die nächste Schifssplcmke, um fester zu stehen und
klarer zu sehen — er mußte sich bezwingen, wenn nicht alles, was er gethan,
warum er gekommen war, vergeblich sein sollte. Warum war er gekommen —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/148>, abgerufen am 22.07.2024.