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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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alle diese Versuche gescheitert sind, so ist es doch unleugbar, daß vieles im Lebe"
unsrer studentischen Verbindungen thatsächlich der Reform bedarf. Aber jede
Reform muß von den beteiligten Kreisen selbst ausgehen! Es ist das eigentlich
so selbstverständlich, daß man kein Wort darüber zu verlieren brauchte. Auf
wen wollen denn neuentstehende Neformverbindungen wirken? Auf die Korps
und Burschenschafter? Die kümmern sich ja gar nicht um sie! Auf das Gros
der Studentenschaft? Von dem haben sie sich ja abgeschlossen! Eine Reform-
Verbindung wird nun und nimmer reformirend wirken können, sie existirt neben
den andern ohne Wirkung auf die andern.

Was ist nun zu reformiren? Wir fassen die Hauptpunkte kurz zusammen:

1. Man verbanne die unwürdige Patentsimpelei, ohne deshalb in das
Gegenteil zu verfallen. Zu erstreben ist eine einfache, schöne und praktische
Studentenkleidung. (Der Sammetrock ist weder einfach noch praktisch.)

2. Der seinen Gründen nach unsinnige und seinen Folgen nach verderb¬
liche Verruf zwischen den einzelnen Verbindungsarten ist aufzuheben, statt dessen
ein Zusammengehen aller farbentrngenden Verbindungen in gewissen Fragen an¬
zustreben.

3. Die Korps mögen aufhören, bei allen Gelegenheiten den Vorsitz und
Vortritt für sich in Anspruch zu nehmen. Man wird ihnen gern auch Von¬
seiten der andern gewisse Rechte einräumen, die zu fordern sie allerdings nicht
berechtigt sind. (Wie dieses prinzipielle Verlangen der Korps gemeinsame stu¬
dentische Handlungen stört, sehen wir fast alljährlich bei dem zur Feier des
Rektoratswechsels üblichen Fackelzugc und haben wir in diesen Tagen wieder in
Breslau gesehen, wo ein zu Ehren des Ministers geplanter Kommers deswegen
unterblieb.)

4. Duelle mit tötlichen Waffen sind ganz zu entfernen, da der Student
noch unselbständig ist und über sein Leben nicht verfügen soll, weil es ihm noch
nicht gehört. Die Mensuren sind möglichst zu beschränken. (Wenn der Verruf
aufgehoben ist, werden die so teuern auswärtigen Mensuren mehr und mehr
aufhören, da den Verbindungsstudenten Gelegenheit geboten wird, sich zur Ge¬
nüge mit heimischen Gegnern zu messen.)

Auch hier gilt schließlich, was sich überall als wahr erwiesen hat: daß
eine Reform nur dann aussichtsvoll ist, wenn sie vom Boden des Vorhandenen
ausgeht und ihr Ziel allmählich zu erreichen sucht, und daß ein radikales Vor¬
gehen die Mißstmide, die man beseitigen will, eher verschlimmert.




alle diese Versuche gescheitert sind, so ist es doch unleugbar, daß vieles im Lebe»
unsrer studentischen Verbindungen thatsächlich der Reform bedarf. Aber jede
Reform muß von den beteiligten Kreisen selbst ausgehen! Es ist das eigentlich
so selbstverständlich, daß man kein Wort darüber zu verlieren brauchte. Auf
wen wollen denn neuentstehende Neformverbindungen wirken? Auf die Korps
und Burschenschafter? Die kümmern sich ja gar nicht um sie! Auf das Gros
der Studentenschaft? Von dem haben sie sich ja abgeschlossen! Eine Reform-
Verbindung wird nun und nimmer reformirend wirken können, sie existirt neben
den andern ohne Wirkung auf die andern.

Was ist nun zu reformiren? Wir fassen die Hauptpunkte kurz zusammen:

1. Man verbanne die unwürdige Patentsimpelei, ohne deshalb in das
Gegenteil zu verfallen. Zu erstreben ist eine einfache, schöne und praktische
Studentenkleidung. (Der Sammetrock ist weder einfach noch praktisch.)

2. Der seinen Gründen nach unsinnige und seinen Folgen nach verderb¬
liche Verruf zwischen den einzelnen Verbindungsarten ist aufzuheben, statt dessen
ein Zusammengehen aller farbentrngenden Verbindungen in gewissen Fragen an¬
zustreben.

3. Die Korps mögen aufhören, bei allen Gelegenheiten den Vorsitz und
Vortritt für sich in Anspruch zu nehmen. Man wird ihnen gern auch Von¬
seiten der andern gewisse Rechte einräumen, die zu fordern sie allerdings nicht
berechtigt sind. (Wie dieses prinzipielle Verlangen der Korps gemeinsame stu¬
dentische Handlungen stört, sehen wir fast alljährlich bei dem zur Feier des
Rektoratswechsels üblichen Fackelzugc und haben wir in diesen Tagen wieder in
Breslau gesehen, wo ein zu Ehren des Ministers geplanter Kommers deswegen
unterblieb.)

4. Duelle mit tötlichen Waffen sind ganz zu entfernen, da der Student
noch unselbständig ist und über sein Leben nicht verfügen soll, weil es ihm noch
nicht gehört. Die Mensuren sind möglichst zu beschränken. (Wenn der Verruf
aufgehoben ist, werden die so teuern auswärtigen Mensuren mehr und mehr
aufhören, da den Verbindungsstudenten Gelegenheit geboten wird, sich zur Ge¬
nüge mit heimischen Gegnern zu messen.)

Auch hier gilt schließlich, was sich überall als wahr erwiesen hat: daß
eine Reform nur dann aussichtsvoll ist, wenn sie vom Boden des Vorhandenen
ausgeht und ihr Ziel allmählich zu erreichen sucht, und daß ein radikales Vor¬
gehen die Mißstmide, die man beseitigen will, eher verschlimmert.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/143>, abgerufen am 22.07.2024.