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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Reformbestrebungon in der deutschen Studentenschaft,

Wie hat sich nun die Reformbewegung bisher entwickelt und welche Erfolge
hat sie gehabt? Die ersten Reformversuche gingen von Jena ans. Wer er¬
innert sich nicht aus den siebziger Jahren der herrlichen Flugblätter des klrmvuL
invsntuti,8 avaäenuvÄö, die am Anfange des Semesters gewöhnlich verteilt oder
versandt wurden? Der gute Mann soll sein nicht unbeträchtliches Vermögen
seinen Reformideen geopfert haben und erzielte doch nichts. Es entstanden
Nefvrmverbindungen in Jena, Leipzig und andern Universitäten, aber sie blieben
ohne alle Bedeutung. Die alten Verbindungen litten durch sie nicht die geringste
Einbuße, und die "Finken" zeigten nicht die geringsten Shmpathien für die
ziemlich anspruchsvoll auftretende Neuerung. Die Neformverbindungen gaben
durchaus keine Satisfaktion und wurden somit nirgends anerkannt.

Im Anfange dieses Jahrzehnts nun gab Herr Dr. ava. Küster (in Berlin)
eine Broschüre heraus, in der er speziell zur Reform der Burschenschafter auf¬
forderte und das Programm der neu zu gründenden Burschenschaft entwarf.
Er verlangte Aufgeben der alten burschenschaftlichen Prinzipien, Fernhalten aller
politischen und religiösen Interessen, Verschmähen aller Patentsimpelei und des
entwürdigenden Fuchstums, Beschränkung und eventuell gänzliche Abschaffung
der Mensur. Nach seinen: Rezepte entstand nun eine ganze Menge von Re¬
formburschenschaften, vor allen waren es Juden, die sich dieser Reformburschen¬
schaften bemächtigten. Es ist Wohl nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet,
daß in den meisten dieser Burschenschafter fünfzig und mehr Prozent Juden
waren. So soll denn anch der Burschenschaftstag, der in Eisenach veranstaltet
wurde, ein stark orientalisches Gepräge gehabt haben. Aus den Verhandlungen
dieses Burschenschaftstages ward zweierlei klar, einmal, daß die meisten Reform¬
burschenschaften keinen Sinn für studentisches Leben hatten, und daß in den
neugegründeten Vereinigungen eine Tendenz herrschte, die man im politischen
Leben "destruktiv" nennen würde. Auch diese Gründungen erfreuten sich und
erfreuen sich der Sympathien unsrer Studentenschaft nicht. Viele von ihnen
sind nach einer kurzen, ruhmlosen Existenz wieder verschwunden^, andre führen
ganz im Verborgenen ein kümmerliches Dasein weiter.

Interessant ist die Entwicklung einer Leipziger Nefvrmburschenschaft, die
im Jahre 1883 entstand. Sie war nicht auf deu Prinzipien Küsters aufgebaut,
sie war antisemitisch und betonte in ihrem Programm das christlich-germanische
Prinzip. Die Burschenschaft that sich auf als Neformburschenschaft und gab
nur Satisfaktion nach Genehmigung des Konvents und dann nur unter schweren
Bedingungen, "auf Abfuhr." (Das war nichts neues, die Burschenschafter
hatten früher dieselben Bestimmungen.) Es dauerte nicht lange, so gab sie
unbedingte Satisfaktion und nannte sich "freie Burschenschaft." Und wieder
währte es nicht lange, so trat sie dem v.-d bei und ist jetzt ganz lind gar
in der Burschenschaft "Arminia" aufgegangen.

Das ist das Schicksal der bisherigen Reformversuche. Wenn nun auch


Die Reformbestrebungon in der deutschen Studentenschaft,

Wie hat sich nun die Reformbewegung bisher entwickelt und welche Erfolge
hat sie gehabt? Die ersten Reformversuche gingen von Jena ans. Wer er¬
innert sich nicht aus den siebziger Jahren der herrlichen Flugblätter des klrmvuL
invsntuti,8 avaäenuvÄö, die am Anfange des Semesters gewöhnlich verteilt oder
versandt wurden? Der gute Mann soll sein nicht unbeträchtliches Vermögen
seinen Reformideen geopfert haben und erzielte doch nichts. Es entstanden
Nefvrmverbindungen in Jena, Leipzig und andern Universitäten, aber sie blieben
ohne alle Bedeutung. Die alten Verbindungen litten durch sie nicht die geringste
Einbuße, und die „Finken" zeigten nicht die geringsten Shmpathien für die
ziemlich anspruchsvoll auftretende Neuerung. Die Neformverbindungen gaben
durchaus keine Satisfaktion und wurden somit nirgends anerkannt.

Im Anfange dieses Jahrzehnts nun gab Herr Dr. ava. Küster (in Berlin)
eine Broschüre heraus, in der er speziell zur Reform der Burschenschafter auf¬
forderte und das Programm der neu zu gründenden Burschenschaft entwarf.
Er verlangte Aufgeben der alten burschenschaftlichen Prinzipien, Fernhalten aller
politischen und religiösen Interessen, Verschmähen aller Patentsimpelei und des
entwürdigenden Fuchstums, Beschränkung und eventuell gänzliche Abschaffung
der Mensur. Nach seinen: Rezepte entstand nun eine ganze Menge von Re¬
formburschenschaften, vor allen waren es Juden, die sich dieser Reformburschen¬
schaften bemächtigten. Es ist Wohl nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet,
daß in den meisten dieser Burschenschafter fünfzig und mehr Prozent Juden
waren. So soll denn anch der Burschenschaftstag, der in Eisenach veranstaltet
wurde, ein stark orientalisches Gepräge gehabt haben. Aus den Verhandlungen
dieses Burschenschaftstages ward zweierlei klar, einmal, daß die meisten Reform¬
burschenschaften keinen Sinn für studentisches Leben hatten, und daß in den
neugegründeten Vereinigungen eine Tendenz herrschte, die man im politischen
Leben „destruktiv" nennen würde. Auch diese Gründungen erfreuten sich und
erfreuen sich der Sympathien unsrer Studentenschaft nicht. Viele von ihnen
sind nach einer kurzen, ruhmlosen Existenz wieder verschwunden^, andre führen
ganz im Verborgenen ein kümmerliches Dasein weiter.

Interessant ist die Entwicklung einer Leipziger Nefvrmburschenschaft, die
im Jahre 1883 entstand. Sie war nicht auf deu Prinzipien Küsters aufgebaut,
sie war antisemitisch und betonte in ihrem Programm das christlich-germanische
Prinzip. Die Burschenschaft that sich auf als Neformburschenschaft und gab
nur Satisfaktion nach Genehmigung des Konvents und dann nur unter schweren
Bedingungen, „auf Abfuhr." (Das war nichts neues, die Burschenschafter
hatten früher dieselben Bestimmungen.) Es dauerte nicht lange, so gab sie
unbedingte Satisfaktion und nannte sich „freie Burschenschaft." Und wieder
währte es nicht lange, so trat sie dem v.-d bei und ist jetzt ganz lind gar
in der Burschenschaft „Arminia" aufgegangen.

Das ist das Schicksal der bisherigen Reformversuche. Wenn nun auch


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[0142] Die Reformbestrebungon in der deutschen Studentenschaft, Wie hat sich nun die Reformbewegung bisher entwickelt und welche Erfolge hat sie gehabt? Die ersten Reformversuche gingen von Jena ans. Wer er¬ innert sich nicht aus den siebziger Jahren der herrlichen Flugblätter des klrmvuL invsntuti,8 avaäenuvÄö, die am Anfange des Semesters gewöhnlich verteilt oder versandt wurden? Der gute Mann soll sein nicht unbeträchtliches Vermögen seinen Reformideen geopfert haben und erzielte doch nichts. Es entstanden Nefvrmverbindungen in Jena, Leipzig und andern Universitäten, aber sie blieben ohne alle Bedeutung. Die alten Verbindungen litten durch sie nicht die geringste Einbuße, und die „Finken" zeigten nicht die geringsten Shmpathien für die ziemlich anspruchsvoll auftretende Neuerung. Die Neformverbindungen gaben durchaus keine Satisfaktion und wurden somit nirgends anerkannt. Im Anfange dieses Jahrzehnts nun gab Herr Dr. ava. Küster (in Berlin) eine Broschüre heraus, in der er speziell zur Reform der Burschenschafter auf¬ forderte und das Programm der neu zu gründenden Burschenschaft entwarf. Er verlangte Aufgeben der alten burschenschaftlichen Prinzipien, Fernhalten aller politischen und religiösen Interessen, Verschmähen aller Patentsimpelei und des entwürdigenden Fuchstums, Beschränkung und eventuell gänzliche Abschaffung der Mensur. Nach seinen: Rezepte entstand nun eine ganze Menge von Re¬ formburschenschaften, vor allen waren es Juden, die sich dieser Reformburschen¬ schaften bemächtigten. Es ist Wohl nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß in den meisten dieser Burschenschafter fünfzig und mehr Prozent Juden waren. So soll denn anch der Burschenschaftstag, der in Eisenach veranstaltet wurde, ein stark orientalisches Gepräge gehabt haben. Aus den Verhandlungen dieses Burschenschaftstages ward zweierlei klar, einmal, daß die meisten Reform¬ burschenschaften keinen Sinn für studentisches Leben hatten, und daß in den neugegründeten Vereinigungen eine Tendenz herrschte, die man im politischen Leben „destruktiv" nennen würde. Auch diese Gründungen erfreuten sich und erfreuen sich der Sympathien unsrer Studentenschaft nicht. Viele von ihnen sind nach einer kurzen, ruhmlosen Existenz wieder verschwunden^, andre führen ganz im Verborgenen ein kümmerliches Dasein weiter. Interessant ist die Entwicklung einer Leipziger Nefvrmburschenschaft, die im Jahre 1883 entstand. Sie war nicht auf deu Prinzipien Küsters aufgebaut, sie war antisemitisch und betonte in ihrem Programm das christlich-germanische Prinzip. Die Burschenschaft that sich auf als Neformburschenschaft und gab nur Satisfaktion nach Genehmigung des Konvents und dann nur unter schweren Bedingungen, „auf Abfuhr." (Das war nichts neues, die Burschenschafter hatten früher dieselben Bestimmungen.) Es dauerte nicht lange, so gab sie unbedingte Satisfaktion und nannte sich „freie Burschenschaft." Und wieder währte es nicht lange, so trat sie dem v.-d bei und ist jetzt ganz lind gar in der Burschenschaft „Arminia" aufgegangen. Das ist das Schicksal der bisherigen Reformversuche. Wenn nun auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/142>, abgerufen am 22.07.2024.