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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Zum Schlüsse müssen noch die farbentragenden "christlichen Verbindungen"
genannt werden. Es giebt evangelische und katholische Verbindungen. Unter
den erster" nimmt der Wingvlf eine hervorragende Stellung ein, der fast an
allen bedeutenderen Universitäten besteht. Sie verdammen das Duell vom
Standpunkte des Christentums aus, sind aber keineswegs Feinde harmloser stu¬
dentischer Fröhlichkeit. Unbedeutend sind sie nicht; wären sie dies, sie wären
bei der allseitigen Anfeindung, die sie erfahren haben und noch erfahren, längst
zu Grunde gegangen, während sie thatsächlich fast allerorten zu den stärksten
farbentragenden Korporationen gehören. Den Spott haben sie herausgefordert
und werden ihn noch länger herausfordern, aber der ernstere Teil der Studenten¬
schaft hat ihrem Mute die Anerkennung nicht versagt. Die lautesten Spötter
sind diejenigen, denen ein Verständnis des christlichen Standpunktes ganz un¬
möglich ist, weil sie innerlich oder äußerlich diesem Standpunkte fernstehen.

Man sollte meinen, daß bei der Fülle und Mannichfaltigkeit solcher Vereine
auch einem Studenten, der die Verbindungsprinzipien nicht billigt, genügende
Gelegenheit geboten wäre, sich irgendwo anzuschließen; und man könnte die Frage
auswerfen: Wozu dann die Reform? Die christliche Verbindung, der wissen¬
schaftliche Verein und der Verein deutscher Studenten sind, jedes in seiner Art,
ein Stück Nefvrmverein. Aber damit war man nicht zufrieden, man wollte das
Leben in den vorhandenen farbentragenden Verbindungen umgestalten und
glaubte dies am besten zu erreichen, wenn mau eine trikolore "Ncformverbin-
dnng" schuf.

Was sollte nun an den bisherigen Verbindungen reformirt werden? Vier
Dinge sind es im wesentlichen, die man ihnen zum Vorwurfe machte und die
man ganz beseitigen oder wenigstens reformiren wollte.

Man sagte zunächst: Die Verbindungen beanspruchen von ihren Mitgliedern
eine zu große Menge kostbarer Zeit. Für die ersten Semester mag das richtig
sein. Wer unsre akademischen Verhältnisse kennt, wird wissen, daß die ersten
Semester auch bei der überwiegenden Mehrzahl der Nichtverbindungsstudeuten
eine Zeit der Erholung nach der besonders in ihren letzten Jahren geistig in
hohem Grade ermüdenden Gymnasialzeit sind. Es ist bedauerlich, wenn dabei
eine Menge kostbarer Zeit verloren geht; aber wer es haben kann, dem ist eine
solche Pause in der geistigen Arbeit wohl zu gönnen. Es ist auch nicht so
schlimm mit der Zeitverschwedung, wie man wohl in fernerstehenden Kreisen
annimmt; wenigstens ist es selbst dem eifrigsten Verbindungsmitgliede bei gutem
Willen möglich, soviel zu arbeiten, daß er nicht ganz und gar zurückbleibt.
Die Verbiuduugsstudenten machen in der Regel ihr Examen nicht später als
die sogenannten "Finken." Und wenn sie es auch etwas später machten, so
nehmen sie doch eine Kenntnis mit ins Leben, deren Aneignung mit ein paar
Semestern nicht zu teuer bezahlt wird. Sie haben in der Verbindung gelernt, sich
der Allgemeinheit unterzuordnen, ihre Worte und Thaten abzuwägen und mit


Zum Schlüsse müssen noch die farbentragenden „christlichen Verbindungen"
genannt werden. Es giebt evangelische und katholische Verbindungen. Unter
den erster» nimmt der Wingvlf eine hervorragende Stellung ein, der fast an
allen bedeutenderen Universitäten besteht. Sie verdammen das Duell vom
Standpunkte des Christentums aus, sind aber keineswegs Feinde harmloser stu¬
dentischer Fröhlichkeit. Unbedeutend sind sie nicht; wären sie dies, sie wären
bei der allseitigen Anfeindung, die sie erfahren haben und noch erfahren, längst
zu Grunde gegangen, während sie thatsächlich fast allerorten zu den stärksten
farbentragenden Korporationen gehören. Den Spott haben sie herausgefordert
und werden ihn noch länger herausfordern, aber der ernstere Teil der Studenten¬
schaft hat ihrem Mute die Anerkennung nicht versagt. Die lautesten Spötter
sind diejenigen, denen ein Verständnis des christlichen Standpunktes ganz un¬
möglich ist, weil sie innerlich oder äußerlich diesem Standpunkte fernstehen.

Man sollte meinen, daß bei der Fülle und Mannichfaltigkeit solcher Vereine
auch einem Studenten, der die Verbindungsprinzipien nicht billigt, genügende
Gelegenheit geboten wäre, sich irgendwo anzuschließen; und man könnte die Frage
auswerfen: Wozu dann die Reform? Die christliche Verbindung, der wissen¬
schaftliche Verein und der Verein deutscher Studenten sind, jedes in seiner Art,
ein Stück Nefvrmverein. Aber damit war man nicht zufrieden, man wollte das
Leben in den vorhandenen farbentragenden Verbindungen umgestalten und
glaubte dies am besten zu erreichen, wenn mau eine trikolore „Ncformverbin-
dnng" schuf.

Was sollte nun an den bisherigen Verbindungen reformirt werden? Vier
Dinge sind es im wesentlichen, die man ihnen zum Vorwurfe machte und die
man ganz beseitigen oder wenigstens reformiren wollte.

Man sagte zunächst: Die Verbindungen beanspruchen von ihren Mitgliedern
eine zu große Menge kostbarer Zeit. Für die ersten Semester mag das richtig
sein. Wer unsre akademischen Verhältnisse kennt, wird wissen, daß die ersten
Semester auch bei der überwiegenden Mehrzahl der Nichtverbindungsstudeuten
eine Zeit der Erholung nach der besonders in ihren letzten Jahren geistig in
hohem Grade ermüdenden Gymnasialzeit sind. Es ist bedauerlich, wenn dabei
eine Menge kostbarer Zeit verloren geht; aber wer es haben kann, dem ist eine
solche Pause in der geistigen Arbeit wohl zu gönnen. Es ist auch nicht so
schlimm mit der Zeitverschwedung, wie man wohl in fernerstehenden Kreisen
annimmt; wenigstens ist es selbst dem eifrigsten Verbindungsmitgliede bei gutem
Willen möglich, soviel zu arbeiten, daß er nicht ganz und gar zurückbleibt.
Die Verbiuduugsstudenten machen in der Regel ihr Examen nicht später als
die sogenannten „Finken." Und wenn sie es auch etwas später machten, so
nehmen sie doch eine Kenntnis mit ins Leben, deren Aneignung mit ein paar
Semestern nicht zu teuer bezahlt wird. Sie haben in der Verbindung gelernt, sich
der Allgemeinheit unterzuordnen, ihre Worte und Thaten abzuwägen und mit


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[0139] Zum Schlüsse müssen noch die farbentragenden „christlichen Verbindungen" genannt werden. Es giebt evangelische und katholische Verbindungen. Unter den erster» nimmt der Wingvlf eine hervorragende Stellung ein, der fast an allen bedeutenderen Universitäten besteht. Sie verdammen das Duell vom Standpunkte des Christentums aus, sind aber keineswegs Feinde harmloser stu¬ dentischer Fröhlichkeit. Unbedeutend sind sie nicht; wären sie dies, sie wären bei der allseitigen Anfeindung, die sie erfahren haben und noch erfahren, längst zu Grunde gegangen, während sie thatsächlich fast allerorten zu den stärksten farbentragenden Korporationen gehören. Den Spott haben sie herausgefordert und werden ihn noch länger herausfordern, aber der ernstere Teil der Studenten¬ schaft hat ihrem Mute die Anerkennung nicht versagt. Die lautesten Spötter sind diejenigen, denen ein Verständnis des christlichen Standpunktes ganz un¬ möglich ist, weil sie innerlich oder äußerlich diesem Standpunkte fernstehen. Man sollte meinen, daß bei der Fülle und Mannichfaltigkeit solcher Vereine auch einem Studenten, der die Verbindungsprinzipien nicht billigt, genügende Gelegenheit geboten wäre, sich irgendwo anzuschließen; und man könnte die Frage auswerfen: Wozu dann die Reform? Die christliche Verbindung, der wissen¬ schaftliche Verein und der Verein deutscher Studenten sind, jedes in seiner Art, ein Stück Nefvrmverein. Aber damit war man nicht zufrieden, man wollte das Leben in den vorhandenen farbentragenden Verbindungen umgestalten und glaubte dies am besten zu erreichen, wenn mau eine trikolore „Ncformverbin- dnng" schuf. Was sollte nun an den bisherigen Verbindungen reformirt werden? Vier Dinge sind es im wesentlichen, die man ihnen zum Vorwurfe machte und die man ganz beseitigen oder wenigstens reformiren wollte. Man sagte zunächst: Die Verbindungen beanspruchen von ihren Mitgliedern eine zu große Menge kostbarer Zeit. Für die ersten Semester mag das richtig sein. Wer unsre akademischen Verhältnisse kennt, wird wissen, daß die ersten Semester auch bei der überwiegenden Mehrzahl der Nichtverbindungsstudeuten eine Zeit der Erholung nach der besonders in ihren letzten Jahren geistig in hohem Grade ermüdenden Gymnasialzeit sind. Es ist bedauerlich, wenn dabei eine Menge kostbarer Zeit verloren geht; aber wer es haben kann, dem ist eine solche Pause in der geistigen Arbeit wohl zu gönnen. Es ist auch nicht so schlimm mit der Zeitverschwedung, wie man wohl in fernerstehenden Kreisen annimmt; wenigstens ist es selbst dem eifrigsten Verbindungsmitgliede bei gutem Willen möglich, soviel zu arbeiten, daß er nicht ganz und gar zurückbleibt. Die Verbiuduugsstudenten machen in der Regel ihr Examen nicht später als die sogenannten „Finken." Und wenn sie es auch etwas später machten, so nehmen sie doch eine Kenntnis mit ins Leben, deren Aneignung mit ein paar Semestern nicht zu teuer bezahlt wird. Sie haben in der Verbindung gelernt, sich der Allgemeinheit unterzuordnen, ihre Worte und Thaten abzuwägen und mit

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/139>, abgerufen am 22.07.2024.