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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Statutenparagraphen oder durch stillschweigendes Übereinkommen der Mitglieder,
und dies mit vollem Rechte. Es giebt Wohl niemand, der weniger geeignet wäre,
ein tüchtiges Verlnndnngsmitglied zu werden, der weniger der erforderlichen
selbstlosen Unterordung fähig wäre, als der Jude. Manche Korporationen haben
es schwer gebüßt, daß sie diese Wahrheit nicht als solche erkannten.

Wem das Leben in solchen Verbindungen nicht behagt, dem steht, wenn
er sich trotzdem nach einer Vereinigung mit andern sehnt, der Eintritt in einen
der verschiednen "Vereine" offen. Die Zahl derselben ist Legion. Da haben
wir zunächst die Wohlthätigkeitsvereine (Gustav-Adolf-Verein, Missionsverein,
Philadelphia, Verein für innere Mission u. s. w.), die in studentischen
Kreisen das Interesse für die betreffenden Bestrebungen anregen und dem seu
deuten Gelegenheit geben wollen, schon an seinem Teile daran mitzuarbeiten.
Selbstverständlich können diese Vereine eine engere Gemeinschaft ihrer Mit'
glieder nicht herstellen; sie wollen es auch größtenteils nicht. Sie versammeln
sich in der Regel nur einigemale im Semester und zählen zu ihren Mitgliedern
auch solche Studenten, die schon Mitglieder einer engern Gemeinschaft find.
Da sind ferner die wissenschaftlichen Vereine, die besonders in den letzten zwanzig
Jahren wie Pilze aus dem Boden der Akademie geschossen sind. Zwei Klassen
sind hier zu unterscheiden, einmal die Vereinigungen von Studenten derselben
Wissenschaft, die unter der Leitung eines oder mehrerer Dozenten Übungen im
Bereiche ihres Fakultätsstudiums anstellen. Solche Vereine, die zum größten
Teile erweiterte privM^iiini. sind, sind gewiß nicht ohne Nutzen; sie bergen
aber für ihre Mitglieder eine doppelte Gefahr, die Gefahr der Unselbständigkeit
bei der immerwährenden Anleitung und die Gefahr der Einseitigkeit bei der
Beschränkung des Interesses. Die andre Art der wissenschaftlichen Vereine sind
die allgemeinen (philosophische, literarische, wissenschaftliche). Sie treten in der
Regel mit gut klingendem Programm an das akademische Publikum heran,
wollen die Einseitigkeit wegschaffen und die Studenten der verschiednen Fakul¬
täten einander wissenschaftlich nähern; thatsächlich sind, sie oft weiter nichts
als Pflanzstätten eines bedenklichen Dilettantismus. Mau weiß oft nicht, ob
man mehr die Ignoranz bewundern soll, die sich hier breit macht, oder die
Arroganz, mit der diese Unwissenheit sich den Schein der Gelehrsamkeit giebt.
Der Student muß in erster Linie rezeptiv sein; seine ersten produktiven Versuche
bedürfen der Anleitung und Überwachung, wenn sie ihn nicht dem Dilettantismus,
dieser Hauptkrankheit unsrer Zeit, in die Arme führen sollen. Ferner sind zu
nennen diejenigen Vereine, die irgend eine Fertigkeit pflegen, unter ihnen vor
allen die Turm- und Gesangvereine. Die Ruder- und andre Sportvereine wollen
sich nicht recht einbürgern, obwohl sie der Sympathien der maßgebenden Kreise
in Preußen sicher sein könnten. Gegen die Pflege der edeln Turm- und
Gesangskunst in studentischen Kreisen wird kein Mensch etwas haben können;
die Gesangvereine erfreuen sich, besonders in Sachsen, einer großen Beliebtheit


Grmzbow, III. 1886. 17

Statutenparagraphen oder durch stillschweigendes Übereinkommen der Mitglieder,
und dies mit vollem Rechte. Es giebt Wohl niemand, der weniger geeignet wäre,
ein tüchtiges Verlnndnngsmitglied zu werden, der weniger der erforderlichen
selbstlosen Unterordung fähig wäre, als der Jude. Manche Korporationen haben
es schwer gebüßt, daß sie diese Wahrheit nicht als solche erkannten.

Wem das Leben in solchen Verbindungen nicht behagt, dem steht, wenn
er sich trotzdem nach einer Vereinigung mit andern sehnt, der Eintritt in einen
der verschiednen „Vereine" offen. Die Zahl derselben ist Legion. Da haben
wir zunächst die Wohlthätigkeitsvereine (Gustav-Adolf-Verein, Missionsverein,
Philadelphia, Verein für innere Mission u. s. w.), die in studentischen
Kreisen das Interesse für die betreffenden Bestrebungen anregen und dem seu
deuten Gelegenheit geben wollen, schon an seinem Teile daran mitzuarbeiten.
Selbstverständlich können diese Vereine eine engere Gemeinschaft ihrer Mit'
glieder nicht herstellen; sie wollen es auch größtenteils nicht. Sie versammeln
sich in der Regel nur einigemale im Semester und zählen zu ihren Mitgliedern
auch solche Studenten, die schon Mitglieder einer engern Gemeinschaft find.
Da sind ferner die wissenschaftlichen Vereine, die besonders in den letzten zwanzig
Jahren wie Pilze aus dem Boden der Akademie geschossen sind. Zwei Klassen
sind hier zu unterscheiden, einmal die Vereinigungen von Studenten derselben
Wissenschaft, die unter der Leitung eines oder mehrerer Dozenten Übungen im
Bereiche ihres Fakultätsstudiums anstellen. Solche Vereine, die zum größten
Teile erweiterte privM^iiini. sind, sind gewiß nicht ohne Nutzen; sie bergen
aber für ihre Mitglieder eine doppelte Gefahr, die Gefahr der Unselbständigkeit
bei der immerwährenden Anleitung und die Gefahr der Einseitigkeit bei der
Beschränkung des Interesses. Die andre Art der wissenschaftlichen Vereine sind
die allgemeinen (philosophische, literarische, wissenschaftliche). Sie treten in der
Regel mit gut klingendem Programm an das akademische Publikum heran,
wollen die Einseitigkeit wegschaffen und die Studenten der verschiednen Fakul¬
täten einander wissenschaftlich nähern; thatsächlich sind, sie oft weiter nichts
als Pflanzstätten eines bedenklichen Dilettantismus. Mau weiß oft nicht, ob
man mehr die Ignoranz bewundern soll, die sich hier breit macht, oder die
Arroganz, mit der diese Unwissenheit sich den Schein der Gelehrsamkeit giebt.
Der Student muß in erster Linie rezeptiv sein; seine ersten produktiven Versuche
bedürfen der Anleitung und Überwachung, wenn sie ihn nicht dem Dilettantismus,
dieser Hauptkrankheit unsrer Zeit, in die Arme führen sollen. Ferner sind zu
nennen diejenigen Vereine, die irgend eine Fertigkeit pflegen, unter ihnen vor
allen die Turm- und Gesangvereine. Die Ruder- und andre Sportvereine wollen
sich nicht recht einbürgern, obwohl sie der Sympathien der maßgebenden Kreise
in Preußen sicher sein könnten. Gegen die Pflege der edeln Turm- und
Gesangskunst in studentischen Kreisen wird kein Mensch etwas haben können;
die Gesangvereine erfreuen sich, besonders in Sachsen, einer großen Beliebtheit


Grmzbow, III. 1886. 17
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[0137] Statutenparagraphen oder durch stillschweigendes Übereinkommen der Mitglieder, und dies mit vollem Rechte. Es giebt Wohl niemand, der weniger geeignet wäre, ein tüchtiges Verlnndnngsmitglied zu werden, der weniger der erforderlichen selbstlosen Unterordung fähig wäre, als der Jude. Manche Korporationen haben es schwer gebüßt, daß sie diese Wahrheit nicht als solche erkannten. Wem das Leben in solchen Verbindungen nicht behagt, dem steht, wenn er sich trotzdem nach einer Vereinigung mit andern sehnt, der Eintritt in einen der verschiednen „Vereine" offen. Die Zahl derselben ist Legion. Da haben wir zunächst die Wohlthätigkeitsvereine (Gustav-Adolf-Verein, Missionsverein, Philadelphia, Verein für innere Mission u. s. w.), die in studentischen Kreisen das Interesse für die betreffenden Bestrebungen anregen und dem seu deuten Gelegenheit geben wollen, schon an seinem Teile daran mitzuarbeiten. Selbstverständlich können diese Vereine eine engere Gemeinschaft ihrer Mit' glieder nicht herstellen; sie wollen es auch größtenteils nicht. Sie versammeln sich in der Regel nur einigemale im Semester und zählen zu ihren Mitgliedern auch solche Studenten, die schon Mitglieder einer engern Gemeinschaft find. Da sind ferner die wissenschaftlichen Vereine, die besonders in den letzten zwanzig Jahren wie Pilze aus dem Boden der Akademie geschossen sind. Zwei Klassen sind hier zu unterscheiden, einmal die Vereinigungen von Studenten derselben Wissenschaft, die unter der Leitung eines oder mehrerer Dozenten Übungen im Bereiche ihres Fakultätsstudiums anstellen. Solche Vereine, die zum größten Teile erweiterte privM^iiini. sind, sind gewiß nicht ohne Nutzen; sie bergen aber für ihre Mitglieder eine doppelte Gefahr, die Gefahr der Unselbständigkeit bei der immerwährenden Anleitung und die Gefahr der Einseitigkeit bei der Beschränkung des Interesses. Die andre Art der wissenschaftlichen Vereine sind die allgemeinen (philosophische, literarische, wissenschaftliche). Sie treten in der Regel mit gut klingendem Programm an das akademische Publikum heran, wollen die Einseitigkeit wegschaffen und die Studenten der verschiednen Fakul¬ täten einander wissenschaftlich nähern; thatsächlich sind, sie oft weiter nichts als Pflanzstätten eines bedenklichen Dilettantismus. Mau weiß oft nicht, ob man mehr die Ignoranz bewundern soll, die sich hier breit macht, oder die Arroganz, mit der diese Unwissenheit sich den Schein der Gelehrsamkeit giebt. Der Student muß in erster Linie rezeptiv sein; seine ersten produktiven Versuche bedürfen der Anleitung und Überwachung, wenn sie ihn nicht dem Dilettantismus, dieser Hauptkrankheit unsrer Zeit, in die Arme führen sollen. Ferner sind zu nennen diejenigen Vereine, die irgend eine Fertigkeit pflegen, unter ihnen vor allen die Turm- und Gesangvereine. Die Ruder- und andre Sportvereine wollen sich nicht recht einbürgern, obwohl sie der Sympathien der maßgebenden Kreise in Preußen sicher sein könnten. Gegen die Pflege der edeln Turm- und Gesangskunst in studentischen Kreisen wird kein Mensch etwas haben können; die Gesangvereine erfreuen sich, besonders in Sachsen, einer großen Beliebtheit Grmzbow, III. 1886. 17

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/137>, abgerufen am 25.08.2024.