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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Reformbestrebungen in der deutschen Studentenschaft.

einigung, die mit der ersten im sogenannten "Paukverhültnis" steht. Duelle,
in denen eine Verbindung Mann für Mann mit der andern sich schlägt (Viritim-
Suite), oder in denen eine bestimmte Anzahl von Paaren "losgehen" (?. ?.-Suite)
sind längst nicht mehr ausschließliche Eigentümlichkeiten der Korps, sie finden
ebenso zwischen den andern genannten Korporationen statte. Ein Duell auf
schwere Waffen (Säbel, Pistolen) ist nur unter Zustimmung eines ni too zu¬
sammentretender Ehrengerichts möglich. Die Zahl dieser schweren Duelle wird
aber dadurch wesentlich vermehrt, daß die verschiedenartigen Verbindungen auf
den meisten Universitäten, Korps und Burschenschafter überall in gegenseitigem
Verrüfe stehen, sodaß ein studentisches Duell zwischen Mitgliedern beider un¬
möglich ist. Auf die Unsinnigkeit und die schlimmen Folgen dieses Verrufes
ist in diesen Blättern schon früher hingewiesen worden. Es ist umso unsinniger,
als der ehemals vorhandene prinzipielle Unterschied zwischen den Verbindungs¬
arten längst verschwunden ist und in jeder Hinsicht eine thatsächliche Annäherung
stattgefunden hat. Aber nicht nur mit dem Schläger tritt der Verbindungs¬
student für seine Korporation ein, sondern auch mit seinem Vermögen; er haftet
für dieselbe, auch wenn er längst nicht mehr Student ist; umgekehrt haftet auch
die Verbindung bis zu einer gewissen Grenze für ihn. Ein ernster Streit ist
zwischen Mitgliedern einer Verbindung nicht möglich, er wird durch deu Konvent
entschieden; ist eine Versöhnung unmöglich, so ist für beide in der Gemeinschaft
kein Platz mehr. Die Gemeinschaft hört auch nicht auf mit dem Abgange nach
einer andern Universität oder dem Eintritte ins "Philistertum." Der ehemalige
Verbindungsstudent bleibt in dem einen Falle auswärtiges Mitglied und wird
in dem ander" Falle "altes Hans" oder Ehrenmitglied. Ja es giebt Lands¬
mannschaften, deren Mitglieder bis zu ihrem Tode wirkliche Mitglieder bleiben,
die sogenannten Lebcnslandsmannschafteu. Äußerlich findet solche Zusammen¬
gehörigkeit ihren Ausdruck in Mütze und Band. Bei den genannten Korpora¬
tionen -- mit Ausnahme der Burschenschafter und einiger Verbindungen --
trägt der Fuchs ein andres Band und eine andre Mütze, damit er bei einem
etwa noch nicht ganz korrekten Auftreten als jüngeres Mitglied erkannt werde.
Wenn der Student "Couleur" trägt, darf er Kneipen und Cafes von zweifel¬
haftem Rufe nicht besuchen, er muß in seiner Kleidung die Korporativ"
würdig vertreten und sich bewußt sein, daß diese nach seinem Auftreten beur¬
teilt wird.

Es muß zugegeben werden, daß das Leben in einer so engen Gemeinschaft
nicht jedermanns Sache ist. Von jeher ist deshalb der Prozentsatz der Ver¬
bindungsstudenten ein geringer gewesen und ist in dem Maße geringer geworden,
als die Zahl der Studenten überhaupt zunahm. Das Verbinduugslebeu ist
durchaus deutsch. Angehörige andrer Nationen haben selten der Verbindung
genützt. Die Juden machten sich eine Zeitlang in einigen derselben recht breit;
jetzt sind ihnen fast bei allen die Thüren verschlossen, entweder durch einen


Die Reformbestrebungen in der deutschen Studentenschaft.

einigung, die mit der ersten im sogenannten „Paukverhültnis" steht. Duelle,
in denen eine Verbindung Mann für Mann mit der andern sich schlägt (Viritim-
Suite), oder in denen eine bestimmte Anzahl von Paaren „losgehen" (?. ?.-Suite)
sind längst nicht mehr ausschließliche Eigentümlichkeiten der Korps, sie finden
ebenso zwischen den andern genannten Korporationen statte. Ein Duell auf
schwere Waffen (Säbel, Pistolen) ist nur unter Zustimmung eines ni too zu¬
sammentretender Ehrengerichts möglich. Die Zahl dieser schweren Duelle wird
aber dadurch wesentlich vermehrt, daß die verschiedenartigen Verbindungen auf
den meisten Universitäten, Korps und Burschenschafter überall in gegenseitigem
Verrüfe stehen, sodaß ein studentisches Duell zwischen Mitgliedern beider un¬
möglich ist. Auf die Unsinnigkeit und die schlimmen Folgen dieses Verrufes
ist in diesen Blättern schon früher hingewiesen worden. Es ist umso unsinniger,
als der ehemals vorhandene prinzipielle Unterschied zwischen den Verbindungs¬
arten längst verschwunden ist und in jeder Hinsicht eine thatsächliche Annäherung
stattgefunden hat. Aber nicht nur mit dem Schläger tritt der Verbindungs¬
student für seine Korporation ein, sondern auch mit seinem Vermögen; er haftet
für dieselbe, auch wenn er längst nicht mehr Student ist; umgekehrt haftet auch
die Verbindung bis zu einer gewissen Grenze für ihn. Ein ernster Streit ist
zwischen Mitgliedern einer Verbindung nicht möglich, er wird durch deu Konvent
entschieden; ist eine Versöhnung unmöglich, so ist für beide in der Gemeinschaft
kein Platz mehr. Die Gemeinschaft hört auch nicht auf mit dem Abgange nach
einer andern Universität oder dem Eintritte ins „Philistertum." Der ehemalige
Verbindungsstudent bleibt in dem einen Falle auswärtiges Mitglied und wird
in dem ander» Falle „altes Hans" oder Ehrenmitglied. Ja es giebt Lands¬
mannschaften, deren Mitglieder bis zu ihrem Tode wirkliche Mitglieder bleiben,
die sogenannten Lebcnslandsmannschafteu. Äußerlich findet solche Zusammen¬
gehörigkeit ihren Ausdruck in Mütze und Band. Bei den genannten Korpora¬
tionen — mit Ausnahme der Burschenschafter und einiger Verbindungen —
trägt der Fuchs ein andres Band und eine andre Mütze, damit er bei einem
etwa noch nicht ganz korrekten Auftreten als jüngeres Mitglied erkannt werde.
Wenn der Student „Couleur" trägt, darf er Kneipen und Cafes von zweifel¬
haftem Rufe nicht besuchen, er muß in seiner Kleidung die Korporativ»
würdig vertreten und sich bewußt sein, daß diese nach seinem Auftreten beur¬
teilt wird.

Es muß zugegeben werden, daß das Leben in einer so engen Gemeinschaft
nicht jedermanns Sache ist. Von jeher ist deshalb der Prozentsatz der Ver¬
bindungsstudenten ein geringer gewesen und ist in dem Maße geringer geworden,
als die Zahl der Studenten überhaupt zunahm. Das Verbinduugslebeu ist
durchaus deutsch. Angehörige andrer Nationen haben selten der Verbindung
genützt. Die Juden machten sich eine Zeitlang in einigen derselben recht breit;
jetzt sind ihnen fast bei allen die Thüren verschlossen, entweder durch einen


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[0136] Die Reformbestrebungen in der deutschen Studentenschaft. einigung, die mit der ersten im sogenannten „Paukverhültnis" steht. Duelle, in denen eine Verbindung Mann für Mann mit der andern sich schlägt (Viritim- Suite), oder in denen eine bestimmte Anzahl von Paaren „losgehen" (?. ?.-Suite) sind längst nicht mehr ausschließliche Eigentümlichkeiten der Korps, sie finden ebenso zwischen den andern genannten Korporationen statte. Ein Duell auf schwere Waffen (Säbel, Pistolen) ist nur unter Zustimmung eines ni too zu¬ sammentretender Ehrengerichts möglich. Die Zahl dieser schweren Duelle wird aber dadurch wesentlich vermehrt, daß die verschiedenartigen Verbindungen auf den meisten Universitäten, Korps und Burschenschafter überall in gegenseitigem Verrüfe stehen, sodaß ein studentisches Duell zwischen Mitgliedern beider un¬ möglich ist. Auf die Unsinnigkeit und die schlimmen Folgen dieses Verrufes ist in diesen Blättern schon früher hingewiesen worden. Es ist umso unsinniger, als der ehemals vorhandene prinzipielle Unterschied zwischen den Verbindungs¬ arten längst verschwunden ist und in jeder Hinsicht eine thatsächliche Annäherung stattgefunden hat. Aber nicht nur mit dem Schläger tritt der Verbindungs¬ student für seine Korporation ein, sondern auch mit seinem Vermögen; er haftet für dieselbe, auch wenn er längst nicht mehr Student ist; umgekehrt haftet auch die Verbindung bis zu einer gewissen Grenze für ihn. Ein ernster Streit ist zwischen Mitgliedern einer Verbindung nicht möglich, er wird durch deu Konvent entschieden; ist eine Versöhnung unmöglich, so ist für beide in der Gemeinschaft kein Platz mehr. Die Gemeinschaft hört auch nicht auf mit dem Abgange nach einer andern Universität oder dem Eintritte ins „Philistertum." Der ehemalige Verbindungsstudent bleibt in dem einen Falle auswärtiges Mitglied und wird in dem ander» Falle „altes Hans" oder Ehrenmitglied. Ja es giebt Lands¬ mannschaften, deren Mitglieder bis zu ihrem Tode wirkliche Mitglieder bleiben, die sogenannten Lebcnslandsmannschafteu. Äußerlich findet solche Zusammen¬ gehörigkeit ihren Ausdruck in Mütze und Band. Bei den genannten Korpora¬ tionen — mit Ausnahme der Burschenschafter und einiger Verbindungen — trägt der Fuchs ein andres Band und eine andre Mütze, damit er bei einem etwa noch nicht ganz korrekten Auftreten als jüngeres Mitglied erkannt werde. Wenn der Student „Couleur" trägt, darf er Kneipen und Cafes von zweifel¬ haftem Rufe nicht besuchen, er muß in seiner Kleidung die Korporativ» würdig vertreten und sich bewußt sein, daß diese nach seinem Auftreten beur¬ teilt wird. Es muß zugegeben werden, daß das Leben in einer so engen Gemeinschaft nicht jedermanns Sache ist. Von jeher ist deshalb der Prozentsatz der Ver¬ bindungsstudenten ein geringer gewesen und ist in dem Maße geringer geworden, als die Zahl der Studenten überhaupt zunahm. Das Verbinduugslebeu ist durchaus deutsch. Angehörige andrer Nationen haben selten der Verbindung genützt. Die Juden machten sich eine Zeitlang in einigen derselben recht breit; jetzt sind ihnen fast bei allen die Thüren verschlossen, entweder durch einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/136>, abgerufen am 22.07.2024.