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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Arbeiterschutzgesetzgobung in Belgien.

Tritt zu diesen Schäden dann noch bei einer Krisis eine Herabsetzung der Löhne
ein, die teilweise bei gewissen Kategorien sogar auf ein bis zwei Franks für den
Tag erfolgt ist, dann wird man zugeben müssen, daß der Boden für eine all¬
gemeine Unzufriedenheit gut vorbereitet ist. Derselbe wird noch besonders gedüngt
durch Agitatoren aus allen Herren Ländern, welche bei der geographischen Lage
Belgiens leicht dort zusammenströmen können und in der sehr ausgedehnten
Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit die bequemsten Mittel für ihre auf¬
reizende Thätigkeit finden. Es wird genügen, daran zu erinnern, daß die
Internationale in Belgien ungehindert ihre Kongresse hat abhalten dürfen und
daß das heimische Arbeiterclement schon jetzt genügend vorbereitet ist, um fremde
Hilfe entbehren zu können. Es muß namentlich noch einmal auch hier hervor¬
gehoben werden, was bereits anderweit festgestellt worden ist, daß bei den
Frühjahrsnnruhen sich keine fremden Führer bemerkbar gemacht haben. Namentlich
sind weder Deutsche noch Franzosen hervorgetreten und unter den Hunderten in
Lüttich verhafteten befanden sich nur vier Deutsche, ein Franzose und sechs
Holländer, eine Zahl, welche bei der Menge der in den dortigen Gruben und
Hütten beschäftigten fremden Arbeiter nicht in Betracht kommen kann. Der viel¬
fach als Agitator genannte Wagener ist kein Deutscher, sondern ein Luxemburger.

Sozialisten hat es zu allen Zeiten gegeben; die o"de7"x^se" der Griechen,
die Ivgss gMrrlao der Römer sind sehr deutliche Merksteine sozialistischer Kämpfe,
von den großen Handwerkerbewegungen in den deutschen Städten des Mittel-
alters ganz zu schweigen. Seit der ersten französischen Revolution finden aber
die sozialistischen Grundsätze weitere Verbreitung, weil die Meissen, auf welche
sie berechnet sind, sich zufolge der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse so
vermehrt haben, daß mit ihnen von den Lenkern des Staates und von den
herrschenden Klassen gerechnet werden muß.

Die Probleme, welche sich für den Gesetzgeber aus den sozialistischen Er¬
scheinungen ergeben, haben eine endgiltige Lösung noch nicht gefunden. Die
wahnwitzigen Projekte der Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten und
ihrer verschiednen Spielarten haben auf eine Verwirklichung nicht zu rechnen;
sie tragen in sich selbst die Unmöglichkeit ihrer Ausführung. Aber dieser Umstand
darf die leitenden Kreise nicht dazu veranlassen, daß sie mit verschränkten Armen
der Verführung der Massen zusehen, ohne Hemd anzulegen, um wirklich vor-
hnndnc Mißstände zu beseitigen und das Loos der ärmern Klassen zu verbessern.

Nur im deutschen Reiche ist man der Gefahr mit Ernst entgegengetreten.
Inmitten wechselvoller Zeiten, nach einem blutigen Kriege, dessen Früchte gegen
alle Seiten zu sichern waren, ohne die freudige Unterstützung der Parlamente
und im Kampfe mit widerwilligen oder feindseligen Parteien hat am Abend
seines thatenreichen Lebens Kaiser Wilhelm und sein großer Kanzler weder die
Mühe noch die Verantwortung gescheut, um mit dem überlieferten Manchestcr-
tnm zu brechen und der gegenwärtigen und zukünftigen Generation die Wege


Die Arbeiterschutzgesetzgobung in Belgien.

Tritt zu diesen Schäden dann noch bei einer Krisis eine Herabsetzung der Löhne
ein, die teilweise bei gewissen Kategorien sogar auf ein bis zwei Franks für den
Tag erfolgt ist, dann wird man zugeben müssen, daß der Boden für eine all¬
gemeine Unzufriedenheit gut vorbereitet ist. Derselbe wird noch besonders gedüngt
durch Agitatoren aus allen Herren Ländern, welche bei der geographischen Lage
Belgiens leicht dort zusammenströmen können und in der sehr ausgedehnten
Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit die bequemsten Mittel für ihre auf¬
reizende Thätigkeit finden. Es wird genügen, daran zu erinnern, daß die
Internationale in Belgien ungehindert ihre Kongresse hat abhalten dürfen und
daß das heimische Arbeiterclement schon jetzt genügend vorbereitet ist, um fremde
Hilfe entbehren zu können. Es muß namentlich noch einmal auch hier hervor¬
gehoben werden, was bereits anderweit festgestellt worden ist, daß bei den
Frühjahrsnnruhen sich keine fremden Führer bemerkbar gemacht haben. Namentlich
sind weder Deutsche noch Franzosen hervorgetreten und unter den Hunderten in
Lüttich verhafteten befanden sich nur vier Deutsche, ein Franzose und sechs
Holländer, eine Zahl, welche bei der Menge der in den dortigen Gruben und
Hütten beschäftigten fremden Arbeiter nicht in Betracht kommen kann. Der viel¬
fach als Agitator genannte Wagener ist kein Deutscher, sondern ein Luxemburger.

Sozialisten hat es zu allen Zeiten gegeben; die o«de7«x^se« der Griechen,
die Ivgss gMrrlao der Römer sind sehr deutliche Merksteine sozialistischer Kämpfe,
von den großen Handwerkerbewegungen in den deutschen Städten des Mittel-
alters ganz zu schweigen. Seit der ersten französischen Revolution finden aber
die sozialistischen Grundsätze weitere Verbreitung, weil die Meissen, auf welche
sie berechnet sind, sich zufolge der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse so
vermehrt haben, daß mit ihnen von den Lenkern des Staates und von den
herrschenden Klassen gerechnet werden muß.

Die Probleme, welche sich für den Gesetzgeber aus den sozialistischen Er¬
scheinungen ergeben, haben eine endgiltige Lösung noch nicht gefunden. Die
wahnwitzigen Projekte der Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten und
ihrer verschiednen Spielarten haben auf eine Verwirklichung nicht zu rechnen;
sie tragen in sich selbst die Unmöglichkeit ihrer Ausführung. Aber dieser Umstand
darf die leitenden Kreise nicht dazu veranlassen, daß sie mit verschränkten Armen
der Verführung der Massen zusehen, ohne Hemd anzulegen, um wirklich vor-
hnndnc Mißstände zu beseitigen und das Loos der ärmern Klassen zu verbessern.

Nur im deutschen Reiche ist man der Gefahr mit Ernst entgegengetreten.
Inmitten wechselvoller Zeiten, nach einem blutigen Kriege, dessen Früchte gegen
alle Seiten zu sichern waren, ohne die freudige Unterstützung der Parlamente
und im Kampfe mit widerwilligen oder feindseligen Parteien hat am Abend
seines thatenreichen Lebens Kaiser Wilhelm und sein großer Kanzler weder die
Mühe noch die Verantwortung gescheut, um mit dem überlieferten Manchestcr-
tnm zu brechen und der gegenwärtigen und zukünftigen Generation die Wege


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[0013] Die Arbeiterschutzgesetzgobung in Belgien. Tritt zu diesen Schäden dann noch bei einer Krisis eine Herabsetzung der Löhne ein, die teilweise bei gewissen Kategorien sogar auf ein bis zwei Franks für den Tag erfolgt ist, dann wird man zugeben müssen, daß der Boden für eine all¬ gemeine Unzufriedenheit gut vorbereitet ist. Derselbe wird noch besonders gedüngt durch Agitatoren aus allen Herren Ländern, welche bei der geographischen Lage Belgiens leicht dort zusammenströmen können und in der sehr ausgedehnten Preß-, Vereins- und Versammlungsfreiheit die bequemsten Mittel für ihre auf¬ reizende Thätigkeit finden. Es wird genügen, daran zu erinnern, daß die Internationale in Belgien ungehindert ihre Kongresse hat abhalten dürfen und daß das heimische Arbeiterclement schon jetzt genügend vorbereitet ist, um fremde Hilfe entbehren zu können. Es muß namentlich noch einmal auch hier hervor¬ gehoben werden, was bereits anderweit festgestellt worden ist, daß bei den Frühjahrsnnruhen sich keine fremden Führer bemerkbar gemacht haben. Namentlich sind weder Deutsche noch Franzosen hervorgetreten und unter den Hunderten in Lüttich verhafteten befanden sich nur vier Deutsche, ein Franzose und sechs Holländer, eine Zahl, welche bei der Menge der in den dortigen Gruben und Hütten beschäftigten fremden Arbeiter nicht in Betracht kommen kann. Der viel¬ fach als Agitator genannte Wagener ist kein Deutscher, sondern ein Luxemburger. Sozialisten hat es zu allen Zeiten gegeben; die o«de7«x^se« der Griechen, die Ivgss gMrrlao der Römer sind sehr deutliche Merksteine sozialistischer Kämpfe, von den großen Handwerkerbewegungen in den deutschen Städten des Mittel- alters ganz zu schweigen. Seit der ersten französischen Revolution finden aber die sozialistischen Grundsätze weitere Verbreitung, weil die Meissen, auf welche sie berechnet sind, sich zufolge der veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse so vermehrt haben, daß mit ihnen von den Lenkern des Staates und von den herrschenden Klassen gerechnet werden muß. Die Probleme, welche sich für den Gesetzgeber aus den sozialistischen Er¬ scheinungen ergeben, haben eine endgiltige Lösung noch nicht gefunden. Die wahnwitzigen Projekte der Kommunisten, Anarchisten, Sozialdemokraten und ihrer verschiednen Spielarten haben auf eine Verwirklichung nicht zu rechnen; sie tragen in sich selbst die Unmöglichkeit ihrer Ausführung. Aber dieser Umstand darf die leitenden Kreise nicht dazu veranlassen, daß sie mit verschränkten Armen der Verführung der Massen zusehen, ohne Hemd anzulegen, um wirklich vor- hnndnc Mißstände zu beseitigen und das Loos der ärmern Klassen zu verbessern. Nur im deutschen Reiche ist man der Gefahr mit Ernst entgegengetreten. Inmitten wechselvoller Zeiten, nach einem blutigen Kriege, dessen Früchte gegen alle Seiten zu sichern waren, ohne die freudige Unterstützung der Parlamente und im Kampfe mit widerwilligen oder feindseligen Parteien hat am Abend seines thatenreichen Lebens Kaiser Wilhelm und sein großer Kanzler weder die Mühe noch die Verantwortung gescheut, um mit dem überlieferten Manchestcr- tnm zu brechen und der gegenwärtigen und zukünftigen Generation die Wege

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/13>, abgerufen am 22.07.2024.