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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

sammenrottungen n, dergl. sind eben durch diesen Zustand der Straßen mindestens
erschlüge. Endlich ist noch das zu erwähnen, daß die nämliche Entwicklung,
welche breite Straßen mit Mietkasernen hervorruft, auch der Anlage öffentlicher
Schmuckplätze und Parks, sowie öffentlicher Brunnen, kurz allen solchen Neu-
schöpfungen zustrebt, welche unsre Städte auch für deu ärmsten Bewohner ge¬
sünder und angenehmer machen. Gewiß sind dies Vorzüge, welche schwer ins
Gewicht fallen.'

Aber freilich, nicht minder gewichtige Bedenken stehen dem gegenüber. Das
große Hauptbedeul'er, dem eine Menge verwandter Gesichtspunkte sich anreihen,
liegt in dem Maugel eines festen Heims, den diese Wohnnngsweise eben doch mit
sich bringt, und in dem Nomadischen, welches durch die gelegentlichen, in Berlin
z, B. so häusigen und den Leuten ganz vertraut werdenden Umzüge den über¬
wiegend meisten Familien anerzogen wird. Man hat wohl versucht, auch daraus
eine Lichtseite des Mietwohnungswescns herauszuspintisiren, daß durch dasselbe
den Leuten die verschiednen Straßen und Stadtteile mehr geläufig würden und
sich auf diese Weise ein mehr auf die Gesamtheit gerichteter, gleichsam abstrakter
Lollllpatriotismus herausbilde; indessen glauben wir nicht, daß ein solcher, von
allen Spezialitäten abgelöster Lokalpatriotismus von großem Werte sein könne,
wohl aber glauben und wissen wir, daß eben die Unkenntnis hinsichtlich aller
praktischen El^zelverhältuifse von Haus, Straße und Gegend zu den mißlichsten
und für das Gemeinwohl unzuträglichsten Seiten des Großstüdtertums gehört,
und möchten weiterhin vermuten, daß eine gelegentliche flüchtige Kenntnisnahme,
an deren Stelle dann später eine solche von einer andern und abermals später
von einer dritten Stadtgegend tritt, die Sache nicht besser, sondern noch schlimmer
macht, weil nun zu der übel" Wirkung auf das eigue Gemütsleben noch die
Überzeugung tritt, mau sei mit diesem und jenem wohlvertraut, und sich hier¬
nach dann die Teilnahme am politischen und kommunalen Leben, die Stellung¬
nahme zu vielen öffentlichen Fragen n. dergl. zu bemessen pflegt. Ohne Zweifel
ist es vielen Leuten eine wahre Erleichterung, nicht auch noch mit häuslichen
und in deren Gefolge mit kommunalen Angelegenheiten sich hernmplngcn zu
müssen: mit Gas und Wasser, mit Dach, Keller und Treppe, mit allen den
tausend Einzelheiten einer Hausinslaudhaltuug, und dann weiterhin mit Trottoir,
Straßenpflaster, Brunnen, Abfuhr, Kaualöffuungen, Laterueupfähleu, Straßen-
regulirnugen und unzähligen andern, für die lokalen Verwaltungen und auch
für die Gesamtheit der Interessenten sehr wichtigen, im übrigen aber freilich
ziemlich trocknen und langweiligen Angelegenheiten. Nun, es giebt ja auch
Leute, denen ordentliche Buchführung oder denen geregelte Diät ein Greuel ist,
und man wird deswegen doch allgemein anerkennen, daß diese Dinge eigentlich
bei keinem ganz fehlen sollten und ein gewisser sanfter Zwang zu denselben den
Menschen sehr wohlthätig sei" würde. So meinen wir, daß es dem Menschen
-- der doch, wie er unter allen Umständen Staatsbürger sein muß, so auch


Einfamilienhäuser und großstädtische Villen.

sammenrottungen n, dergl. sind eben durch diesen Zustand der Straßen mindestens
erschlüge. Endlich ist noch das zu erwähnen, daß die nämliche Entwicklung,
welche breite Straßen mit Mietkasernen hervorruft, auch der Anlage öffentlicher
Schmuckplätze und Parks, sowie öffentlicher Brunnen, kurz allen solchen Neu-
schöpfungen zustrebt, welche unsre Städte auch für deu ärmsten Bewohner ge¬
sünder und angenehmer machen. Gewiß sind dies Vorzüge, welche schwer ins
Gewicht fallen.'

Aber freilich, nicht minder gewichtige Bedenken stehen dem gegenüber. Das
große Hauptbedeul'er, dem eine Menge verwandter Gesichtspunkte sich anreihen,
liegt in dem Maugel eines festen Heims, den diese Wohnnngsweise eben doch mit
sich bringt, und in dem Nomadischen, welches durch die gelegentlichen, in Berlin
z, B. so häusigen und den Leuten ganz vertraut werdenden Umzüge den über¬
wiegend meisten Familien anerzogen wird. Man hat wohl versucht, auch daraus
eine Lichtseite des Mietwohnungswescns herauszuspintisiren, daß durch dasselbe
den Leuten die verschiednen Straßen und Stadtteile mehr geläufig würden und
sich auf diese Weise ein mehr auf die Gesamtheit gerichteter, gleichsam abstrakter
Lollllpatriotismus herausbilde; indessen glauben wir nicht, daß ein solcher, von
allen Spezialitäten abgelöster Lokalpatriotismus von großem Werte sein könne,
wohl aber glauben und wissen wir, daß eben die Unkenntnis hinsichtlich aller
praktischen El^zelverhältuifse von Haus, Straße und Gegend zu den mißlichsten
und für das Gemeinwohl unzuträglichsten Seiten des Großstüdtertums gehört,
und möchten weiterhin vermuten, daß eine gelegentliche flüchtige Kenntnisnahme,
an deren Stelle dann später eine solche von einer andern und abermals später
von einer dritten Stadtgegend tritt, die Sache nicht besser, sondern noch schlimmer
macht, weil nun zu der übel» Wirkung auf das eigue Gemütsleben noch die
Überzeugung tritt, mau sei mit diesem und jenem wohlvertraut, und sich hier¬
nach dann die Teilnahme am politischen und kommunalen Leben, die Stellung¬
nahme zu vielen öffentlichen Fragen n. dergl. zu bemessen pflegt. Ohne Zweifel
ist es vielen Leuten eine wahre Erleichterung, nicht auch noch mit häuslichen
und in deren Gefolge mit kommunalen Angelegenheiten sich hernmplngcn zu
müssen: mit Gas und Wasser, mit Dach, Keller und Treppe, mit allen den
tausend Einzelheiten einer Hausinslaudhaltuug, und dann weiterhin mit Trottoir,
Straßenpflaster, Brunnen, Abfuhr, Kaualöffuungen, Laterueupfähleu, Straßen-
regulirnugen und unzähligen andern, für die lokalen Verwaltungen und auch
für die Gesamtheit der Interessenten sehr wichtigen, im übrigen aber freilich
ziemlich trocknen und langweiligen Angelegenheiten. Nun, es giebt ja auch
Leute, denen ordentliche Buchführung oder denen geregelte Diät ein Greuel ist,
und man wird deswegen doch allgemein anerkennen, daß diese Dinge eigentlich
bei keinem ganz fehlen sollten und ein gewisser sanfter Zwang zu denselben den
Menschen sehr wohlthätig sei» würde. So meinen wir, daß es dem Menschen
— der doch, wie er unter allen Umständen Staatsbürger sein muß, so auch


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[0115] Einfamilienhäuser und großstädtische Villen. sammenrottungen n, dergl. sind eben durch diesen Zustand der Straßen mindestens erschlüge. Endlich ist noch das zu erwähnen, daß die nämliche Entwicklung, welche breite Straßen mit Mietkasernen hervorruft, auch der Anlage öffentlicher Schmuckplätze und Parks, sowie öffentlicher Brunnen, kurz allen solchen Neu- schöpfungen zustrebt, welche unsre Städte auch für deu ärmsten Bewohner ge¬ sünder und angenehmer machen. Gewiß sind dies Vorzüge, welche schwer ins Gewicht fallen.' Aber freilich, nicht minder gewichtige Bedenken stehen dem gegenüber. Das große Hauptbedeul'er, dem eine Menge verwandter Gesichtspunkte sich anreihen, liegt in dem Maugel eines festen Heims, den diese Wohnnngsweise eben doch mit sich bringt, und in dem Nomadischen, welches durch die gelegentlichen, in Berlin z, B. so häusigen und den Leuten ganz vertraut werdenden Umzüge den über¬ wiegend meisten Familien anerzogen wird. Man hat wohl versucht, auch daraus eine Lichtseite des Mietwohnungswescns herauszuspintisiren, daß durch dasselbe den Leuten die verschiednen Straßen und Stadtteile mehr geläufig würden und sich auf diese Weise ein mehr auf die Gesamtheit gerichteter, gleichsam abstrakter Lollllpatriotismus herausbilde; indessen glauben wir nicht, daß ein solcher, von allen Spezialitäten abgelöster Lokalpatriotismus von großem Werte sein könne, wohl aber glauben und wissen wir, daß eben die Unkenntnis hinsichtlich aller praktischen El^zelverhältuifse von Haus, Straße und Gegend zu den mißlichsten und für das Gemeinwohl unzuträglichsten Seiten des Großstüdtertums gehört, und möchten weiterhin vermuten, daß eine gelegentliche flüchtige Kenntnisnahme, an deren Stelle dann später eine solche von einer andern und abermals später von einer dritten Stadtgegend tritt, die Sache nicht besser, sondern noch schlimmer macht, weil nun zu der übel» Wirkung auf das eigue Gemütsleben noch die Überzeugung tritt, mau sei mit diesem und jenem wohlvertraut, und sich hier¬ nach dann die Teilnahme am politischen und kommunalen Leben, die Stellung¬ nahme zu vielen öffentlichen Fragen n. dergl. zu bemessen pflegt. Ohne Zweifel ist es vielen Leuten eine wahre Erleichterung, nicht auch noch mit häuslichen und in deren Gefolge mit kommunalen Angelegenheiten sich hernmplngcn zu müssen: mit Gas und Wasser, mit Dach, Keller und Treppe, mit allen den tausend Einzelheiten einer Hausinslaudhaltuug, und dann weiterhin mit Trottoir, Straßenpflaster, Brunnen, Abfuhr, Kaualöffuungen, Laterueupfähleu, Straßen- regulirnugen und unzähligen andern, für die lokalen Verwaltungen und auch für die Gesamtheit der Interessenten sehr wichtigen, im übrigen aber freilich ziemlich trocknen und langweiligen Angelegenheiten. Nun, es giebt ja auch Leute, denen ordentliche Buchführung oder denen geregelte Diät ein Greuel ist, und man wird deswegen doch allgemein anerkennen, daß diese Dinge eigentlich bei keinem ganz fehlen sollten und ein gewisser sanfter Zwang zu denselben den Menschen sehr wohlthätig sei» würde. So meinen wir, daß es dem Menschen — der doch, wie er unter allen Umständen Staatsbürger sein muß, so auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/115>, abgerufen am 22.07.2024.