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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal.

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Die Zuckerstouer und ihre Reform.

daß der heimische Zucker dem überseeische" mit Erfolg Konkurrenz machte, würde
letzterer anch allein nicht imstande sein, die stets sich steigernde Nachfrage der
Welt nach Zucker zu decken. Dem deutschen Entdecker des Rübenzuckers und
denen, die seine Entdeckung praktisch verwerteten, gebührt das Verdienst, bewirkt
zu haben, daß trotz des zunehmenden Konsums der Zucker billiger und damit
nach und nach ein allgemeines Volksnahrungsmittel geworden ist. Die Ent¬
wicklung unsrer Nübcnzuckerfabrikation ist ein schlagender Beweis für den außer¬
ordentlichen Nutzen einer durch Schutzzoll begünstigten Großindustrie. "Sie
hat, wie Scheibler c>. a. O. sagt, einen vollständigen Umschwung unsrer land¬
wirtschaftlichen Verhältnisse herbeigeführt. Sie hat zur Tiefkultur gezwungen,
welche die Äcker viel ertragsfähiger und die Landwirtschaft überhaupt zu einer
intensiverer machte. Die auf Kornwert reduzirten Gesamterträge der Wirt¬
schaften, die Rübenbau treiben, sind heute fast um die Hälfte höher als einst
und in ihren Herstellungskosten weit billiger als da, wo der Rübenbau fehlt."
Gleichzeitig erzeugen jene wegen der vorzüglich gut fütternden Nübenrückstände
(Schnittlinge, Preßlinge und Blätter) mehr Fleisch, Milch, Butter und Kühe, als
in den übrigen Wirtschaften gewonnen werden kann. "In diesen Richtungen
hat die Zuckerrübe während der letzten sechzig Jahre eine weit bedeutendere
Kulturaufgabe erfüllt, als die Kartoffel innerhalb zweier Jahrhunderte." Endlich
hat die Fabrikation von Rübenzucker auch in sozialer Hinsicht höchst segensreich
gewirkt. Infolge derselben werden jetzt im deutschen Ackergebicte über hundert
Millionen Mark mehr an Arbeitslöhnen gezahlt als vor Entstehung dieser In¬
dustrie. Die Verhältnisse der Arbeiterklasse sind, wo sie blüht, bedeutend günstiger
als anderwärts, es fehlt selbst im Winter nicht an Beschäftigung für dieselbe,
der Lohn ist hoch, die Ernährung des Arbeiters besser geworden, überall herrschen
Wohlstand, Zufriedenheit und gesteigerte Intelligenz. Man ersieht aus diesen
Thatsachen, daß die Frage nach einer Umänderung der Zuckerstcuergesetze eine
Aufgabe einschließt, welche, nicht bloß vom Standpunkte des Finanzmannes be¬
trachtet, aufmerksamste Behandlung fordert.

Stellen wir uns nun auf diesen Standpunkt, so hat man die in den letzten
Jahren eingetretene Verringerung in der Nettoeinnahme der Reichskasse aus der
Zuckersteuer damit erklärt, daß zur Herstellung von einem Zentner Rohzucker
nicht mehr 12^ Zentner Rüben erforderlich sind, sondern ein erheblich ge¬
ringeres Quantum ausreicht, mit andern Worten, daß die fortgeschrittene Technik
dazu gelangt ist, allen Zucker der Rüben in krystallisirter Form gewinnbar zu
machen. Scheibler beweist, daß eine bisher noch nicht in Betracht gezogene
Quelle von Steuerverlusten in der falschen Tarifirung der zur Ausfuhr ge¬
langenden Znckcrforteu zu suchen ist. Die Grundlage des Steuergesetzes von
Z869, das auch für den Entwurf des vor kurzen dem Reichstage vorgelegten
Znckersteuergesetzes zum Vorbilde diente, ist nach Scheiblers Meinung eine grund¬
falsche; denn sie entspricht weder den gegebenen technischen Zuständen der Zucker-


Die Zuckerstouer und ihre Reform.

daß der heimische Zucker dem überseeische» mit Erfolg Konkurrenz machte, würde
letzterer anch allein nicht imstande sein, die stets sich steigernde Nachfrage der
Welt nach Zucker zu decken. Dem deutschen Entdecker des Rübenzuckers und
denen, die seine Entdeckung praktisch verwerteten, gebührt das Verdienst, bewirkt
zu haben, daß trotz des zunehmenden Konsums der Zucker billiger und damit
nach und nach ein allgemeines Volksnahrungsmittel geworden ist. Die Ent¬
wicklung unsrer Nübcnzuckerfabrikation ist ein schlagender Beweis für den außer¬
ordentlichen Nutzen einer durch Schutzzoll begünstigten Großindustrie. „Sie
hat, wie Scheibler c>. a. O. sagt, einen vollständigen Umschwung unsrer land¬
wirtschaftlichen Verhältnisse herbeigeführt. Sie hat zur Tiefkultur gezwungen,
welche die Äcker viel ertragsfähiger und die Landwirtschaft überhaupt zu einer
intensiverer machte. Die auf Kornwert reduzirten Gesamterträge der Wirt¬
schaften, die Rübenbau treiben, sind heute fast um die Hälfte höher als einst
und in ihren Herstellungskosten weit billiger als da, wo der Rübenbau fehlt."
Gleichzeitig erzeugen jene wegen der vorzüglich gut fütternden Nübenrückstände
(Schnittlinge, Preßlinge und Blätter) mehr Fleisch, Milch, Butter und Kühe, als
in den übrigen Wirtschaften gewonnen werden kann. „In diesen Richtungen
hat die Zuckerrübe während der letzten sechzig Jahre eine weit bedeutendere
Kulturaufgabe erfüllt, als die Kartoffel innerhalb zweier Jahrhunderte." Endlich
hat die Fabrikation von Rübenzucker auch in sozialer Hinsicht höchst segensreich
gewirkt. Infolge derselben werden jetzt im deutschen Ackergebicte über hundert
Millionen Mark mehr an Arbeitslöhnen gezahlt als vor Entstehung dieser In¬
dustrie. Die Verhältnisse der Arbeiterklasse sind, wo sie blüht, bedeutend günstiger
als anderwärts, es fehlt selbst im Winter nicht an Beschäftigung für dieselbe,
der Lohn ist hoch, die Ernährung des Arbeiters besser geworden, überall herrschen
Wohlstand, Zufriedenheit und gesteigerte Intelligenz. Man ersieht aus diesen
Thatsachen, daß die Frage nach einer Umänderung der Zuckerstcuergesetze eine
Aufgabe einschließt, welche, nicht bloß vom Standpunkte des Finanzmannes be¬
trachtet, aufmerksamste Behandlung fordert.

Stellen wir uns nun auf diesen Standpunkt, so hat man die in den letzten
Jahren eingetretene Verringerung in der Nettoeinnahme der Reichskasse aus der
Zuckersteuer damit erklärt, daß zur Herstellung von einem Zentner Rohzucker
nicht mehr 12^ Zentner Rüben erforderlich sind, sondern ein erheblich ge¬
ringeres Quantum ausreicht, mit andern Worten, daß die fortgeschrittene Technik
dazu gelangt ist, allen Zucker der Rüben in krystallisirter Form gewinnbar zu
machen. Scheibler beweist, daß eine bisher noch nicht in Betracht gezogene
Quelle von Steuerverlusten in der falschen Tarifirung der zur Ausfuhr ge¬
langenden Znckcrforteu zu suchen ist. Die Grundlage des Steuergesetzes von
Z869, das auch für den Entwurf des vor kurzen dem Reichstage vorgelegten
Znckersteuergesetzes zum Vorbilde diente, ist nach Scheiblers Meinung eine grund¬
falsche; denn sie entspricht weder den gegebenen technischen Zuständen der Zucker-


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[0107] Die Zuckerstouer und ihre Reform. daß der heimische Zucker dem überseeische» mit Erfolg Konkurrenz machte, würde letzterer anch allein nicht imstande sein, die stets sich steigernde Nachfrage der Welt nach Zucker zu decken. Dem deutschen Entdecker des Rübenzuckers und denen, die seine Entdeckung praktisch verwerteten, gebührt das Verdienst, bewirkt zu haben, daß trotz des zunehmenden Konsums der Zucker billiger und damit nach und nach ein allgemeines Volksnahrungsmittel geworden ist. Die Ent¬ wicklung unsrer Nübcnzuckerfabrikation ist ein schlagender Beweis für den außer¬ ordentlichen Nutzen einer durch Schutzzoll begünstigten Großindustrie. „Sie hat, wie Scheibler c>. a. O. sagt, einen vollständigen Umschwung unsrer land¬ wirtschaftlichen Verhältnisse herbeigeführt. Sie hat zur Tiefkultur gezwungen, welche die Äcker viel ertragsfähiger und die Landwirtschaft überhaupt zu einer intensiverer machte. Die auf Kornwert reduzirten Gesamterträge der Wirt¬ schaften, die Rübenbau treiben, sind heute fast um die Hälfte höher als einst und in ihren Herstellungskosten weit billiger als da, wo der Rübenbau fehlt." Gleichzeitig erzeugen jene wegen der vorzüglich gut fütternden Nübenrückstände (Schnittlinge, Preßlinge und Blätter) mehr Fleisch, Milch, Butter und Kühe, als in den übrigen Wirtschaften gewonnen werden kann. „In diesen Richtungen hat die Zuckerrübe während der letzten sechzig Jahre eine weit bedeutendere Kulturaufgabe erfüllt, als die Kartoffel innerhalb zweier Jahrhunderte." Endlich hat die Fabrikation von Rübenzucker auch in sozialer Hinsicht höchst segensreich gewirkt. Infolge derselben werden jetzt im deutschen Ackergebicte über hundert Millionen Mark mehr an Arbeitslöhnen gezahlt als vor Entstehung dieser In¬ dustrie. Die Verhältnisse der Arbeiterklasse sind, wo sie blüht, bedeutend günstiger als anderwärts, es fehlt selbst im Winter nicht an Beschäftigung für dieselbe, der Lohn ist hoch, die Ernährung des Arbeiters besser geworden, überall herrschen Wohlstand, Zufriedenheit und gesteigerte Intelligenz. Man ersieht aus diesen Thatsachen, daß die Frage nach einer Umänderung der Zuckerstcuergesetze eine Aufgabe einschließt, welche, nicht bloß vom Standpunkte des Finanzmannes be¬ trachtet, aufmerksamste Behandlung fordert. Stellen wir uns nun auf diesen Standpunkt, so hat man die in den letzten Jahren eingetretene Verringerung in der Nettoeinnahme der Reichskasse aus der Zuckersteuer damit erklärt, daß zur Herstellung von einem Zentner Rohzucker nicht mehr 12^ Zentner Rüben erforderlich sind, sondern ein erheblich ge¬ ringeres Quantum ausreicht, mit andern Worten, daß die fortgeschrittene Technik dazu gelangt ist, allen Zucker der Rüben in krystallisirter Form gewinnbar zu machen. Scheibler beweist, daß eine bisher noch nicht in Betracht gezogene Quelle von Steuerverlusten in der falschen Tarifirung der zur Ausfuhr ge¬ langenden Znckcrforteu zu suchen ist. Die Grundlage des Steuergesetzes von Z869, das auch für den Entwurf des vor kurzen dem Reichstage vorgelegten Znckersteuergesetzes zum Vorbilde diente, ist nach Scheiblers Meinung eine grund¬ falsche; denn sie entspricht weder den gegebenen technischen Zuständen der Zucker-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198719/107>, abgerufen am 22.07.2024.