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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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rechtzeitig imstande gewesen wären, ihr Einhalt zu thun. Von Arbeitseinstellungen
ging man zu Zwang gegen die, welche weiter arbeiten wollte:?, über, und bald
schritten die Meuterer sogar zur Niederbrenuung von Fabriken und Hüttenwerken,
zu Plünderungen, zur Zerstörung von Maschinen und zu andern Eigentums¬
verletzungen. Es kam zu Zusammenstößen mit den kleinen Abteilungen vou
Militär, welche die Regierung anfangs zur Stelle hatte, und eine nicht un¬
beträchtliche Zahl von den Empörern bezahlte ihre verbrecherische Aufhetzung
gegen Gesetz und Ordnung mit dem Leben. Zuletzt wurde mit Aufbietung
größerer militärischer Mittel die sozialistische Revolution zwar niedergeworfen
und allenthalben die Ruhe wiederhergestellt. Aber inzwischen ist vielmehr Unfug
verübt und vielmehr Schaden angerichtet worden, als die Regierung zu beklagen
haben würde, wenn sie sich eher auf ihre Pflicht besonnen hätte, ans ihre Pflicht
zur Sorge für die Arbeiter und zum Schutze der Arbeitgeber.

Allerdings trägt die Negierung nicht die Schuld an dem niedrigen Stande
der Löhne, welcher den unmittelbaren Aulnß zu der Empörung gab. Die Unter¬
nehmer konnten infolge der ungünstigen Lage der Industrie, welche jetzt fast
allenthalben, nicht bloß in Belgien, mehr oder minder schwer empfunden wird,
meist ohne sich selbst zu ruiniren, die Arbeit nicht besser bezahlen. Die Bergleute
in der Gegend von Mons erhalten in der That für acht Stunden Arbeit in
den dortigen Kohlengruben nur etwa zwei Mark, und das ist, wenn man die
schweren Mühen und das Gefährliche ihrer Beschäftigung bedenkt und sich er¬
innert, daß die Lebensbedürfnisse in Belgien im Vergleiche selbst mit denen in
teuern Gegenden Deutschlands nichts weniger als wohlfeil sind, ein sehr geringer
Lohn. Indes ist auch der Erlös aus der Ausbeute der betreffenden Kohlen¬
bergwerke schon seit geraumer Zeit ein äußerst kärglicher: in den letzten acht
Jahren verzinste sich das auf sie verwendete Kapital nur mit einem Prozent, und
wollte man das dem Lohne der Bergleute zulegen, so würde es nnr einem
Mehrverdienstc derselben von sechs Centimes täglich gleichkommen. Ähnlich steht
es in? Kohlenbecken von Charlervi, ähnlich auch in den Gegenden, wo die Glas¬
industrie, die Verfertigung von Eisenwaaren und Steingut und die Weberei
große Massen der Bevölkerung beschäftigen. Allenthalben zeigt sich, daß man
zuviel unternommen und erzeugt hat, überall haben die Fabrikanten mit ver¬
minderter Nachfrage und gefährlichem Wettbewerb der Nachbarn auf dem Welt¬
markte zu kämpfen. Daneben aber geht eine künstlich geschürte Unzufriedenheit
der arbeitenden Massen her, die Wirkung sozialistischer Wühlerei und Hetzerei,
eine Strömung, die überall ihre Wellen schlägt, in den Streiks und Dynamit-
Verbrechen französischer Fabrikgegenden, in den aufrührerischen Auftritten, welche
vor kurzem die Bewohner Londons in Schrecken versetzten, und in der großen
Eisenbahnrcvolte, die in den Freistaaten von Nordamerika durch die "Ritter
der Arbeit" organisirt wurde. In Belgien hatte das Treiben der sozialistischen
Agitatoren schon vor mehreren Jahren weite Kreise der arbeitenden Bevölkerung


rechtzeitig imstande gewesen wären, ihr Einhalt zu thun. Von Arbeitseinstellungen
ging man zu Zwang gegen die, welche weiter arbeiten wollte:?, über, und bald
schritten die Meuterer sogar zur Niederbrenuung von Fabriken und Hüttenwerken,
zu Plünderungen, zur Zerstörung von Maschinen und zu andern Eigentums¬
verletzungen. Es kam zu Zusammenstößen mit den kleinen Abteilungen vou
Militär, welche die Regierung anfangs zur Stelle hatte, und eine nicht un¬
beträchtliche Zahl von den Empörern bezahlte ihre verbrecherische Aufhetzung
gegen Gesetz und Ordnung mit dem Leben. Zuletzt wurde mit Aufbietung
größerer militärischer Mittel die sozialistische Revolution zwar niedergeworfen
und allenthalben die Ruhe wiederhergestellt. Aber inzwischen ist vielmehr Unfug
verübt und vielmehr Schaden angerichtet worden, als die Regierung zu beklagen
haben würde, wenn sie sich eher auf ihre Pflicht besonnen hätte, ans ihre Pflicht
zur Sorge für die Arbeiter und zum Schutze der Arbeitgeber.

Allerdings trägt die Negierung nicht die Schuld an dem niedrigen Stande
der Löhne, welcher den unmittelbaren Aulnß zu der Empörung gab. Die Unter¬
nehmer konnten infolge der ungünstigen Lage der Industrie, welche jetzt fast
allenthalben, nicht bloß in Belgien, mehr oder minder schwer empfunden wird,
meist ohne sich selbst zu ruiniren, die Arbeit nicht besser bezahlen. Die Bergleute
in der Gegend von Mons erhalten in der That für acht Stunden Arbeit in
den dortigen Kohlengruben nur etwa zwei Mark, und das ist, wenn man die
schweren Mühen und das Gefährliche ihrer Beschäftigung bedenkt und sich er¬
innert, daß die Lebensbedürfnisse in Belgien im Vergleiche selbst mit denen in
teuern Gegenden Deutschlands nichts weniger als wohlfeil sind, ein sehr geringer
Lohn. Indes ist auch der Erlös aus der Ausbeute der betreffenden Kohlen¬
bergwerke schon seit geraumer Zeit ein äußerst kärglicher: in den letzten acht
Jahren verzinste sich das auf sie verwendete Kapital nur mit einem Prozent, und
wollte man das dem Lohne der Bergleute zulegen, so würde es nnr einem
Mehrverdienstc derselben von sechs Centimes täglich gleichkommen. Ähnlich steht
es in? Kohlenbecken von Charlervi, ähnlich auch in den Gegenden, wo die Glas¬
industrie, die Verfertigung von Eisenwaaren und Steingut und die Weberei
große Massen der Bevölkerung beschäftigen. Allenthalben zeigt sich, daß man
zuviel unternommen und erzeugt hat, überall haben die Fabrikanten mit ver¬
minderter Nachfrage und gefährlichem Wettbewerb der Nachbarn auf dem Welt¬
markte zu kämpfen. Daneben aber geht eine künstlich geschürte Unzufriedenheit
der arbeitenden Massen her, die Wirkung sozialistischer Wühlerei und Hetzerei,
eine Strömung, die überall ihre Wellen schlägt, in den Streiks und Dynamit-
Verbrechen französischer Fabrikgegenden, in den aufrührerischen Auftritten, welche
vor kurzem die Bewohner Londons in Schrecken versetzten, und in der großen
Eisenbahnrcvolte, die in den Freistaaten von Nordamerika durch die „Ritter
der Arbeit" organisirt wurde. In Belgien hatte das Treiben der sozialistischen
Agitatoren schon vor mehreren Jahren weite Kreise der arbeitenden Bevölkerung


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[0085] rechtzeitig imstande gewesen wären, ihr Einhalt zu thun. Von Arbeitseinstellungen ging man zu Zwang gegen die, welche weiter arbeiten wollte:?, über, und bald schritten die Meuterer sogar zur Niederbrenuung von Fabriken und Hüttenwerken, zu Plünderungen, zur Zerstörung von Maschinen und zu andern Eigentums¬ verletzungen. Es kam zu Zusammenstößen mit den kleinen Abteilungen vou Militär, welche die Regierung anfangs zur Stelle hatte, und eine nicht un¬ beträchtliche Zahl von den Empörern bezahlte ihre verbrecherische Aufhetzung gegen Gesetz und Ordnung mit dem Leben. Zuletzt wurde mit Aufbietung größerer militärischer Mittel die sozialistische Revolution zwar niedergeworfen und allenthalben die Ruhe wiederhergestellt. Aber inzwischen ist vielmehr Unfug verübt und vielmehr Schaden angerichtet worden, als die Regierung zu beklagen haben würde, wenn sie sich eher auf ihre Pflicht besonnen hätte, ans ihre Pflicht zur Sorge für die Arbeiter und zum Schutze der Arbeitgeber. Allerdings trägt die Negierung nicht die Schuld an dem niedrigen Stande der Löhne, welcher den unmittelbaren Aulnß zu der Empörung gab. Die Unter¬ nehmer konnten infolge der ungünstigen Lage der Industrie, welche jetzt fast allenthalben, nicht bloß in Belgien, mehr oder minder schwer empfunden wird, meist ohne sich selbst zu ruiniren, die Arbeit nicht besser bezahlen. Die Bergleute in der Gegend von Mons erhalten in der That für acht Stunden Arbeit in den dortigen Kohlengruben nur etwa zwei Mark, und das ist, wenn man die schweren Mühen und das Gefährliche ihrer Beschäftigung bedenkt und sich er¬ innert, daß die Lebensbedürfnisse in Belgien im Vergleiche selbst mit denen in teuern Gegenden Deutschlands nichts weniger als wohlfeil sind, ein sehr geringer Lohn. Indes ist auch der Erlös aus der Ausbeute der betreffenden Kohlen¬ bergwerke schon seit geraumer Zeit ein äußerst kärglicher: in den letzten acht Jahren verzinste sich das auf sie verwendete Kapital nur mit einem Prozent, und wollte man das dem Lohne der Bergleute zulegen, so würde es nnr einem Mehrverdienstc derselben von sechs Centimes täglich gleichkommen. Ähnlich steht es in? Kohlenbecken von Charlervi, ähnlich auch in den Gegenden, wo die Glas¬ industrie, die Verfertigung von Eisenwaaren und Steingut und die Weberei große Massen der Bevölkerung beschäftigen. Allenthalben zeigt sich, daß man zuviel unternommen und erzeugt hat, überall haben die Fabrikanten mit ver¬ minderter Nachfrage und gefährlichem Wettbewerb der Nachbarn auf dem Welt¬ markte zu kämpfen. Daneben aber geht eine künstlich geschürte Unzufriedenheit der arbeitenden Massen her, die Wirkung sozialistischer Wühlerei und Hetzerei, eine Strömung, die überall ihre Wellen schlägt, in den Streiks und Dynamit- Verbrechen französischer Fabrikgegenden, in den aufrührerischen Auftritten, welche vor kurzem die Bewohner Londons in Schrecken versetzten, und in der großen Eisenbahnrcvolte, die in den Freistaaten von Nordamerika durch die „Ritter der Arbeit" organisirt wurde. In Belgien hatte das Treiben der sozialistischen Agitatoren schon vor mehreren Jahren weite Kreise der arbeitenden Bevölkerung

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/85>, abgerufen am 28.12.2024.