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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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seiner Zeit den Kriegervereinen eine nicht zu verachtende Stelle unter diesen
Dingen einräumen wird.

Wie lange ist es her, daß der Kriegsdienst gerade den besseren, achtbareren
Klassen unsers Volkes oder wenigstens unsers Mittelstandes als etwas schimpf¬
liches, bestenfalls doch als etwas mit solider bürgerlicher Gesinnung schlechter¬
dings unverträgliches erschien! Auch glaube man nicht, die Freiheitskriege hätten
dieser Anschauung ganz und gar ein Ende gemacht. Man bedenke wohl, daß,
wie selbst Gewinns zugeben muß, in der Schmalzschen Auffassung dieser Kriege
immerhin "zwar nur halb wahres, aber doch etwas halbwahres" liegt. Gewiß,
der "Befehl des Königs" hatte einen sehr starken Einfluß auf die gewaltige
Volkserhebung in den altpreußischen Landen, und dieser Befehl war (ob dies
notwendig gewesen oder nicht, mag dahingestellt bleiben) von einer so schneidigen
Schärfe, daß das Bewußtsein des außerordentlichen sich dem geringsten Manne
schon hierdurch aufdrängen mußte. Damit hängt es aber auch zusammen, daß
die preußische Erhebung in West- und Süddeutschland keineswegs auf das Ver¬
ständnis und die begcisteruugsvollc Zustimmung stieß, wie wir uns dies nachher
wohl gern glauben machten. Die vielverherrlichte Lützowsche Freischaar ging,
soweit sie nicht einen lediglich militärischen Charakter trug, uicht aus dem
Volke, sondern ans der studirenden Jugend und gewissen, von ähnlichem Geiste
durchwehten Kreisen hervor; der Übergang der Sachsen und Würtenberger hat
seine Vorgeschichte und würde ohne die moralische Mißhandlung dieser Truppen
durch die napoleonischen Generale und ihre vielfache Verwendung zu Kanonen¬
futter niemals stattgefunden haben; von eigentlichen "Volksbewegungen" außerhalb
Preußens sind uns nnr der wahrlich schon aus materiellen Gründen sehr
erklärliche Aufstand der Hanseaten und außerdem einige Ausbrüche i" den
Städten des "Königreichs Westfalen" bekannt. Ja als der Sieg der Alliirten
schon entschieden war, sah es doch mit dem opferfreudigen, auch die eigne
Person einsetzenden Patriotismus in manchen Teilen Deutschlands noch sehr
schlecht aus; 1815 erließ General von Hüncrbein an seine im ehemaligen
Großhcrzogtnm Berg ausgehobene Brigade einen Tagesbefehl, welcher, unter
Hinweis auf die zahllosen Desertionen, mit den Worten begann: "Die bergische
Infanterie führt sich schändlich auf" und einer Pastorswitwe Erwähnung that,
welche ihren Sohn brieflich aufgefordert hatte, doch auch zu desertircn. Dann
kam die Friedenszeit, und während derselben sank in vielen und nicht den
schlechtesten Teilen Deutschlands der Soldatenstand, selbst die Offiziere nicht
ausgeschlossen, wieder in ziemliche Mißachtung. Das Jahr 1848 gestaltete diese
Verhältnisse keineswegs besser, sondern fügte in weiten Kreisen einen neuen
Stachel hinzu. Erst die Kriege der sechziger Jahre, daran anknüpfend die
Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht auch im außerprcußischen Deutsch¬
land und vor allem der große Krieg haben eine durchgreifende Änderung zu
Wege gebracht. Bis dahin wurde der Militärstand außerhalb Altpreußens nicht


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seiner Zeit den Kriegervereinen eine nicht zu verachtende Stelle unter diesen
Dingen einräumen wird.

Wie lange ist es her, daß der Kriegsdienst gerade den besseren, achtbareren
Klassen unsers Volkes oder wenigstens unsers Mittelstandes als etwas schimpf¬
liches, bestenfalls doch als etwas mit solider bürgerlicher Gesinnung schlechter¬
dings unverträgliches erschien! Auch glaube man nicht, die Freiheitskriege hätten
dieser Anschauung ganz und gar ein Ende gemacht. Man bedenke wohl, daß,
wie selbst Gewinns zugeben muß, in der Schmalzschen Auffassung dieser Kriege
immerhin „zwar nur halb wahres, aber doch etwas halbwahres" liegt. Gewiß,
der „Befehl des Königs" hatte einen sehr starken Einfluß auf die gewaltige
Volkserhebung in den altpreußischen Landen, und dieser Befehl war (ob dies
notwendig gewesen oder nicht, mag dahingestellt bleiben) von einer so schneidigen
Schärfe, daß das Bewußtsein des außerordentlichen sich dem geringsten Manne
schon hierdurch aufdrängen mußte. Damit hängt es aber auch zusammen, daß
die preußische Erhebung in West- und Süddeutschland keineswegs auf das Ver¬
ständnis und die begcisteruugsvollc Zustimmung stieß, wie wir uns dies nachher
wohl gern glauben machten. Die vielverherrlichte Lützowsche Freischaar ging,
soweit sie nicht einen lediglich militärischen Charakter trug, uicht aus dem
Volke, sondern ans der studirenden Jugend und gewissen, von ähnlichem Geiste
durchwehten Kreisen hervor; der Übergang der Sachsen und Würtenberger hat
seine Vorgeschichte und würde ohne die moralische Mißhandlung dieser Truppen
durch die napoleonischen Generale und ihre vielfache Verwendung zu Kanonen¬
futter niemals stattgefunden haben; von eigentlichen „Volksbewegungen" außerhalb
Preußens sind uns nnr der wahrlich schon aus materiellen Gründen sehr
erklärliche Aufstand der Hanseaten und außerdem einige Ausbrüche i» den
Städten des „Königreichs Westfalen" bekannt. Ja als der Sieg der Alliirten
schon entschieden war, sah es doch mit dem opferfreudigen, auch die eigne
Person einsetzenden Patriotismus in manchen Teilen Deutschlands noch sehr
schlecht aus; 1815 erließ General von Hüncrbein an seine im ehemaligen
Großhcrzogtnm Berg ausgehobene Brigade einen Tagesbefehl, welcher, unter
Hinweis auf die zahllosen Desertionen, mit den Worten begann: „Die bergische
Infanterie führt sich schändlich auf" und einer Pastorswitwe Erwähnung that,
welche ihren Sohn brieflich aufgefordert hatte, doch auch zu desertircn. Dann
kam die Friedenszeit, und während derselben sank in vielen und nicht den
schlechtesten Teilen Deutschlands der Soldatenstand, selbst die Offiziere nicht
ausgeschlossen, wieder in ziemliche Mißachtung. Das Jahr 1848 gestaltete diese
Verhältnisse keineswegs besser, sondern fügte in weiten Kreisen einen neuen
Stachel hinzu. Erst die Kriege der sechziger Jahre, daran anknüpfend die
Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht auch im außerprcußischen Deutsch¬
land und vor allem der große Krieg haben eine durchgreifende Änderung zu
Wege gebracht. Bis dahin wurde der Militärstand außerhalb Altpreußens nicht


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[0067] Unsre Ariegcrvoreinl!, seiner Zeit den Kriegervereinen eine nicht zu verachtende Stelle unter diesen Dingen einräumen wird. Wie lange ist es her, daß der Kriegsdienst gerade den besseren, achtbareren Klassen unsers Volkes oder wenigstens unsers Mittelstandes als etwas schimpf¬ liches, bestenfalls doch als etwas mit solider bürgerlicher Gesinnung schlechter¬ dings unverträgliches erschien! Auch glaube man nicht, die Freiheitskriege hätten dieser Anschauung ganz und gar ein Ende gemacht. Man bedenke wohl, daß, wie selbst Gewinns zugeben muß, in der Schmalzschen Auffassung dieser Kriege immerhin „zwar nur halb wahres, aber doch etwas halbwahres" liegt. Gewiß, der „Befehl des Königs" hatte einen sehr starken Einfluß auf die gewaltige Volkserhebung in den altpreußischen Landen, und dieser Befehl war (ob dies notwendig gewesen oder nicht, mag dahingestellt bleiben) von einer so schneidigen Schärfe, daß das Bewußtsein des außerordentlichen sich dem geringsten Manne schon hierdurch aufdrängen mußte. Damit hängt es aber auch zusammen, daß die preußische Erhebung in West- und Süddeutschland keineswegs auf das Ver¬ ständnis und die begcisteruugsvollc Zustimmung stieß, wie wir uns dies nachher wohl gern glauben machten. Die vielverherrlichte Lützowsche Freischaar ging, soweit sie nicht einen lediglich militärischen Charakter trug, uicht aus dem Volke, sondern ans der studirenden Jugend und gewissen, von ähnlichem Geiste durchwehten Kreisen hervor; der Übergang der Sachsen und Würtenberger hat seine Vorgeschichte und würde ohne die moralische Mißhandlung dieser Truppen durch die napoleonischen Generale und ihre vielfache Verwendung zu Kanonen¬ futter niemals stattgefunden haben; von eigentlichen „Volksbewegungen" außerhalb Preußens sind uns nnr der wahrlich schon aus materiellen Gründen sehr erklärliche Aufstand der Hanseaten und außerdem einige Ausbrüche i» den Städten des „Königreichs Westfalen" bekannt. Ja als der Sieg der Alliirten schon entschieden war, sah es doch mit dem opferfreudigen, auch die eigne Person einsetzenden Patriotismus in manchen Teilen Deutschlands noch sehr schlecht aus; 1815 erließ General von Hüncrbein an seine im ehemaligen Großhcrzogtnm Berg ausgehobene Brigade einen Tagesbefehl, welcher, unter Hinweis auf die zahllosen Desertionen, mit den Worten begann: „Die bergische Infanterie führt sich schändlich auf" und einer Pastorswitwe Erwähnung that, welche ihren Sohn brieflich aufgefordert hatte, doch auch zu desertircn. Dann kam die Friedenszeit, und während derselben sank in vielen und nicht den schlechtesten Teilen Deutschlands der Soldatenstand, selbst die Offiziere nicht ausgeschlossen, wieder in ziemliche Mißachtung. Das Jahr 1848 gestaltete diese Verhältnisse keineswegs besser, sondern fügte in weiten Kreisen einen neuen Stachel hinzu. Erst die Kriege der sechziger Jahre, daran anknüpfend die Durchführung der allgemeinen Wehrpflicht auch im außerprcußischen Deutsch¬ land und vor allem der große Krieg haben eine durchgreifende Änderung zu Wege gebracht. Bis dahin wurde der Militärstand außerhalb Altpreußens nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/67>, abgerufen am 28.12.2024.