Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus (Österreich.

Und diese ganze Gesellschaft wird mit Sammethandschuhen angefaßt, die Kom¬
munalvertretung, welche einen solchen Mißbrauch von ihrem Amte macht, fungirt,
soviel bekannt, unangefochten weiter, der Minister hat noch keine Zeit gefunden,
eine Jnterpellation über diese Angelegenheit zu beantworten.

Auch das Publikum scheint diese skandalösen Vorgänge über den parallelen
in Budapest vergessen zu haben. Dort nahm die Geschichte ebenso albern
ihren Anfang. Ein General der dortigen Garnison, Jansky, erlaubt sich das
Grab seines bei der Verteidigung Ofens gegen die Magyaren am 21. Mai 1849
gefallenen Kameraden Hentzi an dessen Todestage zu bekränzen. Darin findet
die studirende Jugend eine Beschimpfung des Magyarorszag, sie rottet sich zu¬
sammen und verlangt drohend den "Abzug" des Generals Jansky. Der Landes-
kommandirende General Edelsheim sucht den aufgeregten Jünglingen begreiflich
zu machen, daß eine "ritterliche" Nation auch den tapfern Feind ehre, aber
so weit geht die Ritterlichkeit der magyarischen Studenten nicht. Daß Hentzi
im Dienste desselben Kaisers sein Blut verspritzt hat, welcher heute König von
Ungarn ist, und daß so wenig dieser König als die Offiziere, welche vor vierzig
Jahren in Ungarn auf kaiserlicher Seite gekämpft haben, in den Denkmälern
und der sonstigen Verherrlichung der Honveds und ihrer Führer eine Be¬
leidigung erblicken, das wagte ohnehin niemand auszusprechen. Im Gegenteil,
die gesamte politische Welt macht Chorus mit der lärmenden Jugend, Jansky
erhält Urlaub, die Polizei, welche den Spektakel nicht dulden wollte, wird ge¬
schmäht, und angeklagt, ein höherer Beamter, welcher den Studenten mit ernsten
Maßregeln droht, wird desavouirt, und der Ministerpräsident nennt den Akt
kameradschaftlicher Pietät eine Taktlosigkeit, findet aber kein Wort des Tadels
für die Lärmmacher. Natürlich wird weiter randcilirt fürs Vaterland, die
Studenten finden dort so gut begeisterte Mitschreier wie in Laibach, und keinem
Menschen fällt es ein, dnrch einige Feuerspritzen den Mut der Helden abzu¬
kühlen. Abermals im Gegenteil. Der "Pester Lloyd," das Organ der Börse und
des Ministers Tisza, putscht noch gegen die Armee, weil der Erzherzog Albrecht
es gewagt hat, in einem Toast von der Armee des Kaisers anstatt von der
österreichisch-ungarischen zu sprechen. Entsetzlich! Graf Belcredi findet im öster¬
reichischen Herrenhause Gelegenheit, das Heer gegen Verunglimpfung in Schutz
zu nehmen. Noch entsetzlicher! Was in Ungarn geschieht, darf von niemand kriti-
sirt werden. Und hier zeigt sich auch der österreichische Liberalismus wieder im
schönsten Lichte. Graf Belcredi, der verhaßte Sistirungsminister, darf nicht etwas
richtiges gethan haben, von ihm brauchen sich die Ungarn nichts gefallen zu lassen,
er trägt die Schuld, wenn der Konflikt einen Übeln Ausgang nehmen sollte.

Allein irgendjemcmd muß sich doch befugt geglaubt haben, die Thaten
und Reden in Ungarn zu kritisiren. Was hinter den Coulissen vorgegangen
sein mag, wird wohl unbekannt bleiben, aber die Wirkungen wurden sichtbar.
Minister Tisza kam nach Wien, und gleich darauf fühlte der Redakteur des


Aus (Österreich.

Und diese ganze Gesellschaft wird mit Sammethandschuhen angefaßt, die Kom¬
munalvertretung, welche einen solchen Mißbrauch von ihrem Amte macht, fungirt,
soviel bekannt, unangefochten weiter, der Minister hat noch keine Zeit gefunden,
eine Jnterpellation über diese Angelegenheit zu beantworten.

Auch das Publikum scheint diese skandalösen Vorgänge über den parallelen
in Budapest vergessen zu haben. Dort nahm die Geschichte ebenso albern
ihren Anfang. Ein General der dortigen Garnison, Jansky, erlaubt sich das
Grab seines bei der Verteidigung Ofens gegen die Magyaren am 21. Mai 1849
gefallenen Kameraden Hentzi an dessen Todestage zu bekränzen. Darin findet
die studirende Jugend eine Beschimpfung des Magyarorszag, sie rottet sich zu¬
sammen und verlangt drohend den „Abzug" des Generals Jansky. Der Landes-
kommandirende General Edelsheim sucht den aufgeregten Jünglingen begreiflich
zu machen, daß eine „ritterliche" Nation auch den tapfern Feind ehre, aber
so weit geht die Ritterlichkeit der magyarischen Studenten nicht. Daß Hentzi
im Dienste desselben Kaisers sein Blut verspritzt hat, welcher heute König von
Ungarn ist, und daß so wenig dieser König als die Offiziere, welche vor vierzig
Jahren in Ungarn auf kaiserlicher Seite gekämpft haben, in den Denkmälern
und der sonstigen Verherrlichung der Honveds und ihrer Führer eine Be¬
leidigung erblicken, das wagte ohnehin niemand auszusprechen. Im Gegenteil,
die gesamte politische Welt macht Chorus mit der lärmenden Jugend, Jansky
erhält Urlaub, die Polizei, welche den Spektakel nicht dulden wollte, wird ge¬
schmäht, und angeklagt, ein höherer Beamter, welcher den Studenten mit ernsten
Maßregeln droht, wird desavouirt, und der Ministerpräsident nennt den Akt
kameradschaftlicher Pietät eine Taktlosigkeit, findet aber kein Wort des Tadels
für die Lärmmacher. Natürlich wird weiter randcilirt fürs Vaterland, die
Studenten finden dort so gut begeisterte Mitschreier wie in Laibach, und keinem
Menschen fällt es ein, dnrch einige Feuerspritzen den Mut der Helden abzu¬
kühlen. Abermals im Gegenteil. Der „Pester Lloyd," das Organ der Börse und
des Ministers Tisza, putscht noch gegen die Armee, weil der Erzherzog Albrecht
es gewagt hat, in einem Toast von der Armee des Kaisers anstatt von der
österreichisch-ungarischen zu sprechen. Entsetzlich! Graf Belcredi findet im öster¬
reichischen Herrenhause Gelegenheit, das Heer gegen Verunglimpfung in Schutz
zu nehmen. Noch entsetzlicher! Was in Ungarn geschieht, darf von niemand kriti-
sirt werden. Und hier zeigt sich auch der österreichische Liberalismus wieder im
schönsten Lichte. Graf Belcredi, der verhaßte Sistirungsminister, darf nicht etwas
richtiges gethan haben, von ihm brauchen sich die Ungarn nichts gefallen zu lassen,
er trägt die Schuld, wenn der Konflikt einen Übeln Ausgang nehmen sollte.

Allein irgendjemcmd muß sich doch befugt geglaubt haben, die Thaten
und Reden in Ungarn zu kritisiren. Was hinter den Coulissen vorgegangen
sein mag, wird wohl unbekannt bleiben, aber die Wirkungen wurden sichtbar.
Minister Tisza kam nach Wien, und gleich darauf fühlte der Redakteur des


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0636" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198702"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus (Österreich.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1848" prev="#ID_1847"> Und diese ganze Gesellschaft wird mit Sammethandschuhen angefaßt, die Kom¬<lb/>
munalvertretung, welche einen solchen Mißbrauch von ihrem Amte macht, fungirt,<lb/>
soviel bekannt, unangefochten weiter, der Minister hat noch keine Zeit gefunden,<lb/>
eine Jnterpellation über diese Angelegenheit zu beantworten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1849"> Auch das Publikum scheint diese skandalösen Vorgänge über den parallelen<lb/>
in Budapest vergessen zu haben. Dort nahm die Geschichte ebenso albern<lb/>
ihren Anfang. Ein General der dortigen Garnison, Jansky, erlaubt sich das<lb/>
Grab seines bei der Verteidigung Ofens gegen die Magyaren am 21. Mai 1849<lb/>
gefallenen Kameraden Hentzi an dessen Todestage zu bekränzen. Darin findet<lb/>
die studirende Jugend eine Beschimpfung des Magyarorszag, sie rottet sich zu¬<lb/>
sammen und verlangt drohend den &#x201E;Abzug" des Generals Jansky. Der Landes-<lb/>
kommandirende General Edelsheim sucht den aufgeregten Jünglingen begreiflich<lb/>
zu machen, daß eine &#x201E;ritterliche" Nation auch den tapfern Feind ehre, aber<lb/>
so weit geht die Ritterlichkeit der magyarischen Studenten nicht. Daß Hentzi<lb/>
im Dienste desselben Kaisers sein Blut verspritzt hat, welcher heute König von<lb/>
Ungarn ist, und daß so wenig dieser König als die Offiziere, welche vor vierzig<lb/>
Jahren in Ungarn auf kaiserlicher Seite gekämpft haben, in den Denkmälern<lb/>
und der sonstigen Verherrlichung der Honveds und ihrer Führer eine Be¬<lb/>
leidigung erblicken, das wagte ohnehin niemand auszusprechen. Im Gegenteil,<lb/>
die gesamte politische Welt macht Chorus mit der lärmenden Jugend, Jansky<lb/>
erhält Urlaub, die Polizei, welche den Spektakel nicht dulden wollte, wird ge¬<lb/>
schmäht, und angeklagt, ein höherer Beamter, welcher den Studenten mit ernsten<lb/>
Maßregeln droht, wird desavouirt, und der Ministerpräsident nennt den Akt<lb/>
kameradschaftlicher Pietät eine Taktlosigkeit, findet aber kein Wort des Tadels<lb/>
für die Lärmmacher. Natürlich wird weiter randcilirt fürs Vaterland, die<lb/>
Studenten finden dort so gut begeisterte Mitschreier wie in Laibach, und keinem<lb/>
Menschen fällt es ein, dnrch einige Feuerspritzen den Mut der Helden abzu¬<lb/>
kühlen. Abermals im Gegenteil. Der &#x201E;Pester Lloyd," das Organ der Börse und<lb/>
des Ministers Tisza, putscht noch gegen die Armee, weil der Erzherzog Albrecht<lb/>
es gewagt hat, in einem Toast von der Armee des Kaisers anstatt von der<lb/>
österreichisch-ungarischen zu sprechen. Entsetzlich! Graf Belcredi findet im öster¬<lb/>
reichischen Herrenhause Gelegenheit, das Heer gegen Verunglimpfung in Schutz<lb/>
zu nehmen. Noch entsetzlicher! Was in Ungarn geschieht, darf von niemand kriti-<lb/>
sirt werden. Und hier zeigt sich auch der österreichische Liberalismus wieder im<lb/>
schönsten Lichte. Graf Belcredi, der verhaßte Sistirungsminister, darf nicht etwas<lb/>
richtiges gethan haben, von ihm brauchen sich die Ungarn nichts gefallen zu lassen,<lb/>
er trägt die Schuld, wenn der Konflikt einen Übeln Ausgang nehmen sollte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1850" next="#ID_1851"> Allein irgendjemcmd muß sich doch befugt geglaubt haben, die Thaten<lb/>
und Reden in Ungarn zu kritisiren. Was hinter den Coulissen vorgegangen<lb/>
sein mag, wird wohl unbekannt bleiben, aber die Wirkungen wurden sichtbar.<lb/>
Minister Tisza kam nach Wien, und gleich darauf fühlte der Redakteur des</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0636] Aus (Österreich. Und diese ganze Gesellschaft wird mit Sammethandschuhen angefaßt, die Kom¬ munalvertretung, welche einen solchen Mißbrauch von ihrem Amte macht, fungirt, soviel bekannt, unangefochten weiter, der Minister hat noch keine Zeit gefunden, eine Jnterpellation über diese Angelegenheit zu beantworten. Auch das Publikum scheint diese skandalösen Vorgänge über den parallelen in Budapest vergessen zu haben. Dort nahm die Geschichte ebenso albern ihren Anfang. Ein General der dortigen Garnison, Jansky, erlaubt sich das Grab seines bei der Verteidigung Ofens gegen die Magyaren am 21. Mai 1849 gefallenen Kameraden Hentzi an dessen Todestage zu bekränzen. Darin findet die studirende Jugend eine Beschimpfung des Magyarorszag, sie rottet sich zu¬ sammen und verlangt drohend den „Abzug" des Generals Jansky. Der Landes- kommandirende General Edelsheim sucht den aufgeregten Jünglingen begreiflich zu machen, daß eine „ritterliche" Nation auch den tapfern Feind ehre, aber so weit geht die Ritterlichkeit der magyarischen Studenten nicht. Daß Hentzi im Dienste desselben Kaisers sein Blut verspritzt hat, welcher heute König von Ungarn ist, und daß so wenig dieser König als die Offiziere, welche vor vierzig Jahren in Ungarn auf kaiserlicher Seite gekämpft haben, in den Denkmälern und der sonstigen Verherrlichung der Honveds und ihrer Führer eine Be¬ leidigung erblicken, das wagte ohnehin niemand auszusprechen. Im Gegenteil, die gesamte politische Welt macht Chorus mit der lärmenden Jugend, Jansky erhält Urlaub, die Polizei, welche den Spektakel nicht dulden wollte, wird ge¬ schmäht, und angeklagt, ein höherer Beamter, welcher den Studenten mit ernsten Maßregeln droht, wird desavouirt, und der Ministerpräsident nennt den Akt kameradschaftlicher Pietät eine Taktlosigkeit, findet aber kein Wort des Tadels für die Lärmmacher. Natürlich wird weiter randcilirt fürs Vaterland, die Studenten finden dort so gut begeisterte Mitschreier wie in Laibach, und keinem Menschen fällt es ein, dnrch einige Feuerspritzen den Mut der Helden abzu¬ kühlen. Abermals im Gegenteil. Der „Pester Lloyd," das Organ der Börse und des Ministers Tisza, putscht noch gegen die Armee, weil der Erzherzog Albrecht es gewagt hat, in einem Toast von der Armee des Kaisers anstatt von der österreichisch-ungarischen zu sprechen. Entsetzlich! Graf Belcredi findet im öster¬ reichischen Herrenhause Gelegenheit, das Heer gegen Verunglimpfung in Schutz zu nehmen. Noch entsetzlicher! Was in Ungarn geschieht, darf von niemand kriti- sirt werden. Und hier zeigt sich auch der österreichische Liberalismus wieder im schönsten Lichte. Graf Belcredi, der verhaßte Sistirungsminister, darf nicht etwas richtiges gethan haben, von ihm brauchen sich die Ungarn nichts gefallen zu lassen, er trägt die Schuld, wenn der Konflikt einen Übeln Ausgang nehmen sollte. Allein irgendjemcmd muß sich doch befugt geglaubt haben, die Thaten und Reden in Ungarn zu kritisiren. Was hinter den Coulissen vorgegangen sein mag, wird wohl unbekannt bleiben, aber die Wirkungen wurden sichtbar. Minister Tisza kam nach Wien, und gleich darauf fühlte der Redakteur des

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/636
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/636>, abgerufen am 25.08.2024.