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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Englische Gpor in Berlin.

Wahrlich, den Strauß in allen Ehren und seine clektrisircndcn Tanzweiscn,
die mit ihrer süßen Geistcsnarkose den Körper zu Lust und beschwingter Be¬
wegung förmlich zwingen. Aber der Musik, zu deren Triumphe" auch sie
zählen, hat er einen schlechten Dienst erwiesen dadurch, d^ß er sie ans die Bühne
verpflanzte und ihnen da zu ausschließlicher Herrschaft verhalf. Da kamen sie
in Schaaren, die Dntzcndtnlente lind Dilettanten, die früher ihr Licht in kleinen
Kreisen leuchten lassen mußten, da kamen sie mit ihren am Klavier zusammen¬
gestoppelten Polka- und Walzerkctten, piepsende Klippschüler mit darunter, und
machten Operetten daraus und waren nun "dramatische Komponisten," Es
scheint ihm nachgerade schwül zu werden, er wird schon überschrieen, der gute
Strauß, Denn ist dein Triviale" irgendwo nur das Thor geöffnet, so über¬
schwemmt es bald alles, und nur das Trivialste schwimmt oben auf. Es scheint
ihm schwül zu werden, und mit seinem neuesten Werke möchte er sie gern bannen,
die Geister, die er rief. Wünschen wir, daß er sie bald los werde! Die Über¬
sättigung, die stete Helferin des Edeln gegen das Gemeine, wird ihm bald
tüchtig seknndiren.

Da hat uns die englische Oper plötzlich mitten in die nachgerade abgc-
klagte Operetteumiscre hineingeführt. Doch nicht so zufällig. Ich möchte zwar,
an die obige Einteilung anknüpfend, nicht gerade behaupten, daß im Gegensatz
zu ihr die englische Oper im Wallnerthcater die Operette wäre, "wie sie sein
könnte," Dazu ist der Text Gilberts doch zu wenig zwingend, im einzelnen
zu flüchtig, im ganzen zu improvisatorisch, dazu ist vor allem Arthur Sullivans
Musik zu landläufig und -- was hier noch schlimmer ist -- zu sehr Selbst¬
zweck, um als mustergiltig und epochemachend hingestellt werden zu können.
Aber sie ist ein willkommener Anlaß, auf jenen Gegensatz hinzudeuten, denn sie
verfolgt in Text und Musik diejenigen Absichten, welche nach den obigen Aus¬
führungen die moderne Operette nicht verfolgt. Allerdings in so kindlich-un¬
schuldiger Weise, daß eben nur der Gegensatz sie auffällig macht. Die Musik
parodirt auch, aber in jener harmlosen, flotten Weise wie das Bnrschenlied,
sie ist fidel, aber nicht komisch. Alles ist so glatt, so geschmackvoll, so gut
gearbeitet. Man merkt, daß dieser Operettcnkompvnist Symphonien und Quar¬
tette geschrieben hat. Eingestreute lyrische Snchelchen zeigen den feinsinnigen
Komponisten, ein vanxella-Madrigal mit Nitornellen, so schmucklos, kunstvoll
und hübsch, daß man im historischen Konzert einem Orlando und Schütz zu
lausche" glaubt, zeigt zugleich den feinsinnigste" Keuler, A"f den Gilbertschen
Text nimmt sich das nun allerdings ans, wie Pfirsichzweige auf eine stachliche
Kiefer gepfropft. Aber was diese Musik doch in dem obigen Sinne bedeutsam
macht, das ist ihre Gesundheit und, Reinheit, ihre diskrete Jnstrumentation und
-- primum öl snmnrv.ni se non 8ceti8 llmclanclnin -- das gänzliche Fehlen
jener beiden teuflischen Tanzrhythmen, auf denen, wenn das so weiter geht,
nächstens unsre ganze Musik zur Hölle fährt, der Polka und des Walzers.


Englische Gpor in Berlin.

Wahrlich, den Strauß in allen Ehren und seine clektrisircndcn Tanzweiscn,
die mit ihrer süßen Geistcsnarkose den Körper zu Lust und beschwingter Be¬
wegung förmlich zwingen. Aber der Musik, zu deren Triumphe» auch sie
zählen, hat er einen schlechten Dienst erwiesen dadurch, d^ß er sie ans die Bühne
verpflanzte und ihnen da zu ausschließlicher Herrschaft verhalf. Da kamen sie
in Schaaren, die Dntzcndtnlente lind Dilettanten, die früher ihr Licht in kleinen
Kreisen leuchten lassen mußten, da kamen sie mit ihren am Klavier zusammen¬
gestoppelten Polka- und Walzerkctten, piepsende Klippschüler mit darunter, und
machten Operetten daraus und waren nun „dramatische Komponisten," Es
scheint ihm nachgerade schwül zu werden, er wird schon überschrieen, der gute
Strauß, Denn ist dein Triviale» irgendwo nur das Thor geöffnet, so über¬
schwemmt es bald alles, und nur das Trivialste schwimmt oben auf. Es scheint
ihm schwül zu werden, und mit seinem neuesten Werke möchte er sie gern bannen,
die Geister, die er rief. Wünschen wir, daß er sie bald los werde! Die Über¬
sättigung, die stete Helferin des Edeln gegen das Gemeine, wird ihm bald
tüchtig seknndiren.

Da hat uns die englische Oper plötzlich mitten in die nachgerade abgc-
klagte Operetteumiscre hineingeführt. Doch nicht so zufällig. Ich möchte zwar,
an die obige Einteilung anknüpfend, nicht gerade behaupten, daß im Gegensatz
zu ihr die englische Oper im Wallnerthcater die Operette wäre, „wie sie sein
könnte," Dazu ist der Text Gilberts doch zu wenig zwingend, im einzelnen
zu flüchtig, im ganzen zu improvisatorisch, dazu ist vor allem Arthur Sullivans
Musik zu landläufig und — was hier noch schlimmer ist — zu sehr Selbst¬
zweck, um als mustergiltig und epochemachend hingestellt werden zu können.
Aber sie ist ein willkommener Anlaß, auf jenen Gegensatz hinzudeuten, denn sie
verfolgt in Text und Musik diejenigen Absichten, welche nach den obigen Aus¬
führungen die moderne Operette nicht verfolgt. Allerdings in so kindlich-un¬
schuldiger Weise, daß eben nur der Gegensatz sie auffällig macht. Die Musik
parodirt auch, aber in jener harmlosen, flotten Weise wie das Bnrschenlied,
sie ist fidel, aber nicht komisch. Alles ist so glatt, so geschmackvoll, so gut
gearbeitet. Man merkt, daß dieser Operettcnkompvnist Symphonien und Quar¬
tette geschrieben hat. Eingestreute lyrische Snchelchen zeigen den feinsinnigen
Komponisten, ein vanxella-Madrigal mit Nitornellen, so schmucklos, kunstvoll
und hübsch, daß man im historischen Konzert einem Orlando und Schütz zu
lausche» glaubt, zeigt zugleich den feinsinnigste» Keuler, A»f den Gilbertschen
Text nimmt sich das nun allerdings ans, wie Pfirsichzweige auf eine stachliche
Kiefer gepfropft. Aber was diese Musik doch in dem obigen Sinne bedeutsam
macht, das ist ihre Gesundheit und, Reinheit, ihre diskrete Jnstrumentation und
— primum öl snmnrv.ni se non 8ceti8 llmclanclnin — das gänzliche Fehlen
jener beiden teuflischen Tanzrhythmen, auf denen, wenn das so weiter geht,
nächstens unsre ganze Musik zur Hölle fährt, der Polka und des Walzers.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/632>, abgerufen am 25.08.2024.