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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die deutschen Schulen in Ungarn.

Von einer andern Seite begonnen. Der oben schon berührte § 11 des 38. Gesetz¬
artikels von 1868 läßt den "Konfessionen" das alte Recht, über das "Leyr-
shstem" in ihren Schulen zu verfügen; die zu Recht bestehenden siebenbürgischen
Religionsgesetze gewährleisten den siebenbürgischen Konfessionen dieses Recht
"och ganz besonders. So hat denn die evangelische Landeskirche Augsburgischen
Bekenntnisses in Siebenbürgen die Schulpflicht ihrer Angehörigen aus acht Jahre
für die Mädchen, auf nenn für die Knaben festgestellt. Es ist bezeichnend, in
welcher Weise nun hier der Kampf aufgenommen wird. Der Obergespau, wieder
der von Bistritz, B. Banffh, hält sich durch jene Bestimmung des Gesetzes nicht
gebunden und wendet die vom Gesetz für Staats- und Gemeindeschulen gegebne
Vorschrift, die für diese bloß eine sechsjährige Alltagsschulc festsetzt, auch auf
die evangelisch-sächsische an, indem er verfügt, daß auch die evangelischen Schul¬
kinder zum Besuche ihrer evangelischen Schule über das sechste Schuljahr, d. i.
das zwölfte ihres Lebens, nicht verpflichtet seien und eine Strafe für un¬
gerechtfertigte Versäumnisse nicht auferlegt werden dürfe.

Der Zweck dieser Maßregel liegt auf der Hand: auf diefem Umwege soll
die längere Schulpflicht der Deutschen, deren Bildungsziel so wie so durch Ein¬
führung des magyarischen Unterrichts hcrabgeorückt worden ist, unmöglich
gemacht, ihre Bildung noch mehr gemindert und sie selbst damit weniger wider¬
standsfähig gegen die Magyarisirung gemacht werden. Vor zweihundert Jahren
stellten die Jesuiten in Ungarn einen ähnlichen Grundsatz auf, uur einem andern
Ziel zuliebe: erst machen wir sie ungebildet, dann zu Magyaren. Daß unter
solchen Umständen der "Besitzstand der Deutschen" in Ungarn auf das schwerste
gefährdet und in dem eigentlichen Ungarn in der That auf dem Gebiete des
Unterrichts und der Erziehung traurig zurückgegangen, in Siebenbürgen auf das
schwerste bedroht ist, ist unzweifelhaft.

Natürlich haben auch die Gymnasien unter diesem System zu leiden. Für
sie ist maßgebend der dreißigste Gcsetzartikel von 1883 des sogenannten Mittel-
schulgesetzcs. Es hat insbesondre die sächsischen Gymnasien in Siebenbürgen,
und das sind die einzigen deutschen in Ungarn, schwer geschädigt, unter anderm
dadurch, daß das Griechische in jenen Gymnasien nur in den vier letzten Klassen,
statt wie früher in sechs Klassen Unterrichtsgegenstand ist, eine tiefe Scheidung
vom Lehrsystem der deutschen Gymnasien. Insbesondre wird die Zukunft dieser
Anstalten dadurch schwer bedroht, daß alle Lehramtskandidaten, auch die sich
bloß an deutscheu Gymnasien wollen anstellen lassen, die Lehramtsprüfung vor
magyarisch-staatlichen Kommissionen ablegen müssen, statt vor der Kommission
der eignen Landeskirche, die jene Anstalten erhält und die jenes Recht nach dem
geltenden Kirchenstaatsrecht Siebenbürgens stets ausgeübt hat, nicht zum Schaden
der Bildung und des Landes. Vom Jahre 1893 an darf diese Prüfung nur in
magyarischer Sprache abgelegt werden, wie auch bis dahin von jedem Kandidaten
ein großes Maß magyarischer Sprach- und Literaturkenntnis verlangt wird. Das


Die deutschen Schulen in Ungarn.

Von einer andern Seite begonnen. Der oben schon berührte § 11 des 38. Gesetz¬
artikels von 1868 läßt den „Konfessionen" das alte Recht, über das „Leyr-
shstem" in ihren Schulen zu verfügen; die zu Recht bestehenden siebenbürgischen
Religionsgesetze gewährleisten den siebenbürgischen Konfessionen dieses Recht
»och ganz besonders. So hat denn die evangelische Landeskirche Augsburgischen
Bekenntnisses in Siebenbürgen die Schulpflicht ihrer Angehörigen aus acht Jahre
für die Mädchen, auf nenn für die Knaben festgestellt. Es ist bezeichnend, in
welcher Weise nun hier der Kampf aufgenommen wird. Der Obergespau, wieder
der von Bistritz, B. Banffh, hält sich durch jene Bestimmung des Gesetzes nicht
gebunden und wendet die vom Gesetz für Staats- und Gemeindeschulen gegebne
Vorschrift, die für diese bloß eine sechsjährige Alltagsschulc festsetzt, auch auf
die evangelisch-sächsische an, indem er verfügt, daß auch die evangelischen Schul¬
kinder zum Besuche ihrer evangelischen Schule über das sechste Schuljahr, d. i.
das zwölfte ihres Lebens, nicht verpflichtet seien und eine Strafe für un¬
gerechtfertigte Versäumnisse nicht auferlegt werden dürfe.

Der Zweck dieser Maßregel liegt auf der Hand: auf diefem Umwege soll
die längere Schulpflicht der Deutschen, deren Bildungsziel so wie so durch Ein¬
führung des magyarischen Unterrichts hcrabgeorückt worden ist, unmöglich
gemacht, ihre Bildung noch mehr gemindert und sie selbst damit weniger wider¬
standsfähig gegen die Magyarisirung gemacht werden. Vor zweihundert Jahren
stellten die Jesuiten in Ungarn einen ähnlichen Grundsatz auf, uur einem andern
Ziel zuliebe: erst machen wir sie ungebildet, dann zu Magyaren. Daß unter
solchen Umständen der „Besitzstand der Deutschen" in Ungarn auf das schwerste
gefährdet und in dem eigentlichen Ungarn in der That auf dem Gebiete des
Unterrichts und der Erziehung traurig zurückgegangen, in Siebenbürgen auf das
schwerste bedroht ist, ist unzweifelhaft.

Natürlich haben auch die Gymnasien unter diesem System zu leiden. Für
sie ist maßgebend der dreißigste Gcsetzartikel von 1883 des sogenannten Mittel-
schulgesetzcs. Es hat insbesondre die sächsischen Gymnasien in Siebenbürgen,
und das sind die einzigen deutschen in Ungarn, schwer geschädigt, unter anderm
dadurch, daß das Griechische in jenen Gymnasien nur in den vier letzten Klassen,
statt wie früher in sechs Klassen Unterrichtsgegenstand ist, eine tiefe Scheidung
vom Lehrsystem der deutschen Gymnasien. Insbesondre wird die Zukunft dieser
Anstalten dadurch schwer bedroht, daß alle Lehramtskandidaten, auch die sich
bloß an deutscheu Gymnasien wollen anstellen lassen, die Lehramtsprüfung vor
magyarisch-staatlichen Kommissionen ablegen müssen, statt vor der Kommission
der eignen Landeskirche, die jene Anstalten erhält und die jenes Recht nach dem
geltenden Kirchenstaatsrecht Siebenbürgens stets ausgeübt hat, nicht zum Schaden
der Bildung und des Landes. Vom Jahre 1893 an darf diese Prüfung nur in
magyarischer Sprache abgelegt werden, wie auch bis dahin von jedem Kandidaten
ein großes Maß magyarischer Sprach- und Literaturkenntnis verlangt wird. Das


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[0063] Die deutschen Schulen in Ungarn. Von einer andern Seite begonnen. Der oben schon berührte § 11 des 38. Gesetz¬ artikels von 1868 läßt den „Konfessionen" das alte Recht, über das „Leyr- shstem" in ihren Schulen zu verfügen; die zu Recht bestehenden siebenbürgischen Religionsgesetze gewährleisten den siebenbürgischen Konfessionen dieses Recht »och ganz besonders. So hat denn die evangelische Landeskirche Augsburgischen Bekenntnisses in Siebenbürgen die Schulpflicht ihrer Angehörigen aus acht Jahre für die Mädchen, auf nenn für die Knaben festgestellt. Es ist bezeichnend, in welcher Weise nun hier der Kampf aufgenommen wird. Der Obergespau, wieder der von Bistritz, B. Banffh, hält sich durch jene Bestimmung des Gesetzes nicht gebunden und wendet die vom Gesetz für Staats- und Gemeindeschulen gegebne Vorschrift, die für diese bloß eine sechsjährige Alltagsschulc festsetzt, auch auf die evangelisch-sächsische an, indem er verfügt, daß auch die evangelischen Schul¬ kinder zum Besuche ihrer evangelischen Schule über das sechste Schuljahr, d. i. das zwölfte ihres Lebens, nicht verpflichtet seien und eine Strafe für un¬ gerechtfertigte Versäumnisse nicht auferlegt werden dürfe. Der Zweck dieser Maßregel liegt auf der Hand: auf diefem Umwege soll die längere Schulpflicht der Deutschen, deren Bildungsziel so wie so durch Ein¬ führung des magyarischen Unterrichts hcrabgeorückt worden ist, unmöglich gemacht, ihre Bildung noch mehr gemindert und sie selbst damit weniger wider¬ standsfähig gegen die Magyarisirung gemacht werden. Vor zweihundert Jahren stellten die Jesuiten in Ungarn einen ähnlichen Grundsatz auf, uur einem andern Ziel zuliebe: erst machen wir sie ungebildet, dann zu Magyaren. Daß unter solchen Umständen der „Besitzstand der Deutschen" in Ungarn auf das schwerste gefährdet und in dem eigentlichen Ungarn in der That auf dem Gebiete des Unterrichts und der Erziehung traurig zurückgegangen, in Siebenbürgen auf das schwerste bedroht ist, ist unzweifelhaft. Natürlich haben auch die Gymnasien unter diesem System zu leiden. Für sie ist maßgebend der dreißigste Gcsetzartikel von 1883 des sogenannten Mittel- schulgesetzcs. Es hat insbesondre die sächsischen Gymnasien in Siebenbürgen, und das sind die einzigen deutschen in Ungarn, schwer geschädigt, unter anderm dadurch, daß das Griechische in jenen Gymnasien nur in den vier letzten Klassen, statt wie früher in sechs Klassen Unterrichtsgegenstand ist, eine tiefe Scheidung vom Lehrsystem der deutschen Gymnasien. Insbesondre wird die Zukunft dieser Anstalten dadurch schwer bedroht, daß alle Lehramtskandidaten, auch die sich bloß an deutscheu Gymnasien wollen anstellen lassen, die Lehramtsprüfung vor magyarisch-staatlichen Kommissionen ablegen müssen, statt vor der Kommission der eignen Landeskirche, die jene Anstalten erhält und die jenes Recht nach dem geltenden Kirchenstaatsrecht Siebenbürgens stets ausgeübt hat, nicht zum Schaden der Bildung und des Landes. Vom Jahre 1893 an darf diese Prüfung nur in magyarischer Sprache abgelegt werden, wie auch bis dahin von jedem Kandidaten ein großes Maß magyarischer Sprach- und Literaturkenntnis verlangt wird. Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/63>, abgerufen am 24.07.2024.