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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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in der That ist der Bruch mit der bisherigen Kuiistcinffassnng zu Beginn des
elften Jahrhunderts ein so tiefgehender, daß ihm gegenüber die ottonische Periode
nnr als Ausläufer und Schlußglied der karolingischen Entwicklung erscheint.

Mit Recht weist dagegen Ueber die Bedeutung der islamitischen Kunst für
die Schicksale der abendländischen in ihre Schranken zurück. Die Vermittlung
ornamentaler Motive durch Textilmnster ist die einzige Leistung dieses eigen¬
artigen -Kunststiles, welche über lokale Grenzen hinaus wirkte.

So hatte sich also die abendländische Kunst im wesentlichen unberührt von
orientalischen Einflüssen bis in das elfte Jahrhundert auf vorwiegend altchrist¬
lichen Grundlagen entwickelt. Einen Umschwung dieser Entwicklung bringt erst
die auffallend düstere und phantastische Geistesrichtung hervor, welche im elften
Jahrhundert durch die kultivirte Welt geht. Das Auftreten der Katharer, die
verschiednen Refvriuvcrsuchc auf dem Gebiete klösterlicher Sitte, der Kampf
zwischen Kaiser und Papst, der um die Mitte des Jahrhunderts seinen Wende¬
punkt erreichte, daS alles sind nur einzelne Erscheinungsformen der gewaltig
gährenden Unruhe, welche sich der Gemüter bemächtigt hatte. Auch die künstlerische
Phantasie spiegelt dieselbe wieder: die Kruzifix- und Passionsdarstellnngen werden
häufiger, die ikvnischen Kapitälstnlpturen ergehen sich in rätselhaften Kcnnpf-
darstcllnngeu zwischen Tier und Mensch, hie und da tauchen Erinnerungen an
die altgermanischen Mythen und Sagen auf. Solche Monstrositäten waren es,
die früher den Beobachter veranlaßten, von dem finstern und formlosen Mittel-
alter zu sprechen.

Auf dem Gebiete der Architektur regt sich, nachdem das Jahr 1000 glücklich
vorübergegangen war, ohne das Weltende zu bringen, hie und da frisches
Lebe", wenn auch in strengen Formen; insbesondre tritt Deutschland an die
Spitze der Entwicklung und spielt eine Rolle, die es erst um die Mitte des
zwölften Jahrhunderts an Frankreich abtritt, nachdem der romanische Stil sich
in den dekorativ malerischen Bauten der Rheinlands ausgelebt hatte. Schon
erfolgen neue gothische Impulse aus dem nordöstlichen Frankreich (um 1140)
und zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ist die Hegemonie dieses Staates
fast auf allen Knlturgcbieten gesichert. Nur Italien bewahrt sich einige, allerdings
mehr negative Selbständigkeit, indem es nur einzelne gothische Elemente auf¬
nimmt, ohne sich doch den damit verbundnen Konsequenzen zu unterziehen.
Weniger schnell als auf dem Gebiete der Architektur folgt Deutschland den
französischen Anregungen in der Plastik, zumal in Mitteldeutschland, wo wir in
den Wechselburger und Freiberger Skulpturen ein letztes Aufleben der romanischen
Tradition wahrnehmen, während die Rheinlande bereits früh in das nachbarliche
gothische Lager übergehen. In Italien erhebt sich in der ersten Hälfte des
dreizehnten Jahrhunderts die Schule der Pisani, deren süditalischer Ursprung
Ueber nicht erwiesen zu sein scheint (S. 665) und die er als eine isolirte Er¬
scheinung betrachtet, welche durchaus nicht geeignet sei, den Beginn einer


Grenzboten II. 1886. 73

in der That ist der Bruch mit der bisherigen Kuiistcinffassnng zu Beginn des
elften Jahrhunderts ein so tiefgehender, daß ihm gegenüber die ottonische Periode
nnr als Ausläufer und Schlußglied der karolingischen Entwicklung erscheint.

Mit Recht weist dagegen Ueber die Bedeutung der islamitischen Kunst für
die Schicksale der abendländischen in ihre Schranken zurück. Die Vermittlung
ornamentaler Motive durch Textilmnster ist die einzige Leistung dieses eigen¬
artigen -Kunststiles, welche über lokale Grenzen hinaus wirkte.

So hatte sich also die abendländische Kunst im wesentlichen unberührt von
orientalischen Einflüssen bis in das elfte Jahrhundert auf vorwiegend altchrist¬
lichen Grundlagen entwickelt. Einen Umschwung dieser Entwicklung bringt erst
die auffallend düstere und phantastische Geistesrichtung hervor, welche im elften
Jahrhundert durch die kultivirte Welt geht. Das Auftreten der Katharer, die
verschiednen Refvriuvcrsuchc auf dem Gebiete klösterlicher Sitte, der Kampf
zwischen Kaiser und Papst, der um die Mitte des Jahrhunderts seinen Wende¬
punkt erreichte, daS alles sind nur einzelne Erscheinungsformen der gewaltig
gährenden Unruhe, welche sich der Gemüter bemächtigt hatte. Auch die künstlerische
Phantasie spiegelt dieselbe wieder: die Kruzifix- und Passionsdarstellnngen werden
häufiger, die ikvnischen Kapitälstnlpturen ergehen sich in rätselhaften Kcnnpf-
darstcllnngeu zwischen Tier und Mensch, hie und da tauchen Erinnerungen an
die altgermanischen Mythen und Sagen auf. Solche Monstrositäten waren es,
die früher den Beobachter veranlaßten, von dem finstern und formlosen Mittel-
alter zu sprechen.

Auf dem Gebiete der Architektur regt sich, nachdem das Jahr 1000 glücklich
vorübergegangen war, ohne das Weltende zu bringen, hie und da frisches
Lebe», wenn auch in strengen Formen; insbesondre tritt Deutschland an die
Spitze der Entwicklung und spielt eine Rolle, die es erst um die Mitte des
zwölften Jahrhunderts an Frankreich abtritt, nachdem der romanische Stil sich
in den dekorativ malerischen Bauten der Rheinlands ausgelebt hatte. Schon
erfolgen neue gothische Impulse aus dem nordöstlichen Frankreich (um 1140)
und zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ist die Hegemonie dieses Staates
fast auf allen Knlturgcbieten gesichert. Nur Italien bewahrt sich einige, allerdings
mehr negative Selbständigkeit, indem es nur einzelne gothische Elemente auf¬
nimmt, ohne sich doch den damit verbundnen Konsequenzen zu unterziehen.
Weniger schnell als auf dem Gebiete der Architektur folgt Deutschland den
französischen Anregungen in der Plastik, zumal in Mitteldeutschland, wo wir in
den Wechselburger und Freiberger Skulpturen ein letztes Aufleben der romanischen
Tradition wahrnehmen, während die Rheinlande bereits früh in das nachbarliche
gothische Lager übergehen. In Italien erhebt sich in der ersten Hälfte des
dreizehnten Jahrhunderts die Schule der Pisani, deren süditalischer Ursprung
Ueber nicht erwiesen zu sein scheint (S. 665) und die er als eine isolirte Er¬
scheinung betrachtet, welche durchaus nicht geeignet sei, den Beginn einer


Grenzboten II. 1886. 73
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[0625] in der That ist der Bruch mit der bisherigen Kuiistcinffassnng zu Beginn des elften Jahrhunderts ein so tiefgehender, daß ihm gegenüber die ottonische Periode nnr als Ausläufer und Schlußglied der karolingischen Entwicklung erscheint. Mit Recht weist dagegen Ueber die Bedeutung der islamitischen Kunst für die Schicksale der abendländischen in ihre Schranken zurück. Die Vermittlung ornamentaler Motive durch Textilmnster ist die einzige Leistung dieses eigen¬ artigen -Kunststiles, welche über lokale Grenzen hinaus wirkte. So hatte sich also die abendländische Kunst im wesentlichen unberührt von orientalischen Einflüssen bis in das elfte Jahrhundert auf vorwiegend altchrist¬ lichen Grundlagen entwickelt. Einen Umschwung dieser Entwicklung bringt erst die auffallend düstere und phantastische Geistesrichtung hervor, welche im elften Jahrhundert durch die kultivirte Welt geht. Das Auftreten der Katharer, die verschiednen Refvriuvcrsuchc auf dem Gebiete klösterlicher Sitte, der Kampf zwischen Kaiser und Papst, der um die Mitte des Jahrhunderts seinen Wende¬ punkt erreichte, daS alles sind nur einzelne Erscheinungsformen der gewaltig gährenden Unruhe, welche sich der Gemüter bemächtigt hatte. Auch die künstlerische Phantasie spiegelt dieselbe wieder: die Kruzifix- und Passionsdarstellnngen werden häufiger, die ikvnischen Kapitälstnlpturen ergehen sich in rätselhaften Kcnnpf- darstcllnngeu zwischen Tier und Mensch, hie und da tauchen Erinnerungen an die altgermanischen Mythen und Sagen auf. Solche Monstrositäten waren es, die früher den Beobachter veranlaßten, von dem finstern und formlosen Mittel- alter zu sprechen. Auf dem Gebiete der Architektur regt sich, nachdem das Jahr 1000 glücklich vorübergegangen war, ohne das Weltende zu bringen, hie und da frisches Lebe», wenn auch in strengen Formen; insbesondre tritt Deutschland an die Spitze der Entwicklung und spielt eine Rolle, die es erst um die Mitte des zwölften Jahrhunderts an Frankreich abtritt, nachdem der romanische Stil sich in den dekorativ malerischen Bauten der Rheinlands ausgelebt hatte. Schon erfolgen neue gothische Impulse aus dem nordöstlichen Frankreich (um 1140) und zu Beginn des dreizehnten Jahrhunderts ist die Hegemonie dieses Staates fast auf allen Knlturgcbieten gesichert. Nur Italien bewahrt sich einige, allerdings mehr negative Selbständigkeit, indem es nur einzelne gothische Elemente auf¬ nimmt, ohne sich doch den damit verbundnen Konsequenzen zu unterziehen. Weniger schnell als auf dem Gebiete der Architektur folgt Deutschland den französischen Anregungen in der Plastik, zumal in Mitteldeutschland, wo wir in den Wechselburger und Freiberger Skulpturen ein letztes Aufleben der romanischen Tradition wahrnehmen, während die Rheinlande bereits früh in das nachbarliche gothische Lager übergehen. In Italien erhebt sich in der ersten Hälfte des dreizehnten Jahrhunderts die Schule der Pisani, deren süditalischer Ursprung Ueber nicht erwiesen zu sein scheint (S. 665) und die er als eine isolirte Er¬ scheinung betrachtet, welche durchaus nicht geeignet sei, den Beginn einer Grenzboten II. 1886. 73

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/625>, abgerufen am 26.08.2024.