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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Unehe und der Staat.

Der Staat hat -- vornehmlich in der Ära Falk der evangelischen
Kirche auch große Dienste erwiesen durch Gewährung der Kirchengemeinde- und
Shnodalordnung und Aufbesserung des Miuimaleinkommens der Geistlichen.
Was aber das erstere betrifft, so haben sich die Erwartungen, welche sich an
die neue Organisation knüpften, bis jetzt nur wenig erfüllt. Die Synoden tagen
jahraus jahrein; was sie an Kosten und Arbeit verursachen, ist nicht unerheb¬
lich, was dabei herauskommt, ist sehr unerheblich. Die Vorsitzenden der Ge-
meindekirchcnräte haben sich mit den kirchlichen Kollegien herumzudisvutiren, man
faßt Beschlüsse, aber die Arbeit hat nach wie vor der Pastor fast allein. Die
in der Gemeindeordnung vorgesehene Selbstverwaltung innerhalb der Kirche ist
nur in geringem Maße zur Ausführung gekommen, da die Konsistorien, von
oben in ihrer Kompetenz beschränkt, ihren Einfluß nach unten zu erweitern
streben und ein ans das Kleinste ausgedehntes Regiment führen. Da, wo
Pfarreien fiskalischen Patronates vorhanden sind, kommt die königliche Negierung
noch hinzu, welche unter dem Titel der Patronatsaufsicht über die kirchlichen
Mittel verfügt, als wären es Staatsfonds.

Durch die Entwicklung der Gegenwart ist die Kirche vor neue große Auf¬
gaben gestellt worden, welche die Zusammenfassung aller Kräfte fordern; diese
ist jedoch nicht möglich, da es nach der rechtlichen Auffassung des Staates
keine Kirche, sondern nur eine Anzahl einzelner Kirchengemeinden giebt. Eine
über sechs Prozent des Einkommens hinausgehende Besteuerung der Gemeinde-
glieder unterliegt der Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses, ist also selbst in
dringenden Fällen so leicht nicht zu erreichen. Man ist also auf die Kollekte
und die freiwillige Vereinsthätigkeit angewiesen. Beide Mittel erweisen sich als
unzureichend. Die Kollekten haben sich so gehäuft, daß eine Vermehrung der¬
selben nicht angeht, und die Vereinsthätigkeit hat eine Vielgeschäftigkeit ins Leben
gerufen, die mehr zu leisten scheint, als sie wirklich leistet. Die alten großen
Kirchenvermögen sind noch vorhanden, aber sie werden zu Dotationen für ver¬
diente Generale verwendet, während dringend nötige kirchliche Bedürfnisse, wie
die Vermehrung der Kirchen in Berlin, die Anstellung neuer Hilfskräfte fiir die
Konsistorien durch Ablehnung der Mittel im Abgeordnetenhaus unerfüllt bleiben.

Das eben gezeichnete Bild ist nicht frei von Einseitigkeiten; aber so, wie
wir sie gezeichnet haben, stellt sich die Lage einem großen Teile der Geistlichen und
Laien innerhalb der evangelischen Kirche dar. Wir begreifen es, wenn der Wunsch
laut wird: Los vom Staate, der uns nicht hilft, wo wir ihn brauchen, und uns
die Hände bindet, wo wir uns felbst helfen könnten. Unter Berücksichtigung der eben
gezeichneten Verhältnisse verstehen wir die Zielpunkte des Hammersteinschcn An¬
trages, welcher für die evangelische Kirche freie Bewegung und finanzielle Selbstän¬
digkeit fordert, zwei Wünsche, die nicht als ungerechtfertigt angesehen werden können.

Doch begegnet es auch den gerechtfertigtsten Wünschen, daß sie nicht durch¬
führbar sind. Wie denkt man sich die größere Freiheit der evangelischen Kirche?


Die evangelische Unehe und der Staat.

Der Staat hat — vornehmlich in der Ära Falk der evangelischen
Kirche auch große Dienste erwiesen durch Gewährung der Kirchengemeinde- und
Shnodalordnung und Aufbesserung des Miuimaleinkommens der Geistlichen.
Was aber das erstere betrifft, so haben sich die Erwartungen, welche sich an
die neue Organisation knüpften, bis jetzt nur wenig erfüllt. Die Synoden tagen
jahraus jahrein; was sie an Kosten und Arbeit verursachen, ist nicht unerheb¬
lich, was dabei herauskommt, ist sehr unerheblich. Die Vorsitzenden der Ge-
meindekirchcnräte haben sich mit den kirchlichen Kollegien herumzudisvutiren, man
faßt Beschlüsse, aber die Arbeit hat nach wie vor der Pastor fast allein. Die
in der Gemeindeordnung vorgesehene Selbstverwaltung innerhalb der Kirche ist
nur in geringem Maße zur Ausführung gekommen, da die Konsistorien, von
oben in ihrer Kompetenz beschränkt, ihren Einfluß nach unten zu erweitern
streben und ein ans das Kleinste ausgedehntes Regiment führen. Da, wo
Pfarreien fiskalischen Patronates vorhanden sind, kommt die königliche Negierung
noch hinzu, welche unter dem Titel der Patronatsaufsicht über die kirchlichen
Mittel verfügt, als wären es Staatsfonds.

Durch die Entwicklung der Gegenwart ist die Kirche vor neue große Auf¬
gaben gestellt worden, welche die Zusammenfassung aller Kräfte fordern; diese
ist jedoch nicht möglich, da es nach der rechtlichen Auffassung des Staates
keine Kirche, sondern nur eine Anzahl einzelner Kirchengemeinden giebt. Eine
über sechs Prozent des Einkommens hinausgehende Besteuerung der Gemeinde-
glieder unterliegt der Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses, ist also selbst in
dringenden Fällen so leicht nicht zu erreichen. Man ist also auf die Kollekte
und die freiwillige Vereinsthätigkeit angewiesen. Beide Mittel erweisen sich als
unzureichend. Die Kollekten haben sich so gehäuft, daß eine Vermehrung der¬
selben nicht angeht, und die Vereinsthätigkeit hat eine Vielgeschäftigkeit ins Leben
gerufen, die mehr zu leisten scheint, als sie wirklich leistet. Die alten großen
Kirchenvermögen sind noch vorhanden, aber sie werden zu Dotationen für ver¬
diente Generale verwendet, während dringend nötige kirchliche Bedürfnisse, wie
die Vermehrung der Kirchen in Berlin, die Anstellung neuer Hilfskräfte fiir die
Konsistorien durch Ablehnung der Mittel im Abgeordnetenhaus unerfüllt bleiben.

Das eben gezeichnete Bild ist nicht frei von Einseitigkeiten; aber so, wie
wir sie gezeichnet haben, stellt sich die Lage einem großen Teile der Geistlichen und
Laien innerhalb der evangelischen Kirche dar. Wir begreifen es, wenn der Wunsch
laut wird: Los vom Staate, der uns nicht hilft, wo wir ihn brauchen, und uns
die Hände bindet, wo wir uns felbst helfen könnten. Unter Berücksichtigung der eben
gezeichneten Verhältnisse verstehen wir die Zielpunkte des Hammersteinschcn An¬
trages, welcher für die evangelische Kirche freie Bewegung und finanzielle Selbstän¬
digkeit fordert, zwei Wünsche, die nicht als ungerechtfertigt angesehen werden können.

Doch begegnet es auch den gerechtfertigtsten Wünschen, daß sie nicht durch¬
führbar sind. Wie denkt man sich die größere Freiheit der evangelischen Kirche?


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[0618] Die evangelische Unehe und der Staat. Der Staat hat — vornehmlich in der Ära Falk der evangelischen Kirche auch große Dienste erwiesen durch Gewährung der Kirchengemeinde- und Shnodalordnung und Aufbesserung des Miuimaleinkommens der Geistlichen. Was aber das erstere betrifft, so haben sich die Erwartungen, welche sich an die neue Organisation knüpften, bis jetzt nur wenig erfüllt. Die Synoden tagen jahraus jahrein; was sie an Kosten und Arbeit verursachen, ist nicht unerheb¬ lich, was dabei herauskommt, ist sehr unerheblich. Die Vorsitzenden der Ge- meindekirchcnräte haben sich mit den kirchlichen Kollegien herumzudisvutiren, man faßt Beschlüsse, aber die Arbeit hat nach wie vor der Pastor fast allein. Die in der Gemeindeordnung vorgesehene Selbstverwaltung innerhalb der Kirche ist nur in geringem Maße zur Ausführung gekommen, da die Konsistorien, von oben in ihrer Kompetenz beschränkt, ihren Einfluß nach unten zu erweitern streben und ein ans das Kleinste ausgedehntes Regiment führen. Da, wo Pfarreien fiskalischen Patronates vorhanden sind, kommt die königliche Negierung noch hinzu, welche unter dem Titel der Patronatsaufsicht über die kirchlichen Mittel verfügt, als wären es Staatsfonds. Durch die Entwicklung der Gegenwart ist die Kirche vor neue große Auf¬ gaben gestellt worden, welche die Zusammenfassung aller Kräfte fordern; diese ist jedoch nicht möglich, da es nach der rechtlichen Auffassung des Staates keine Kirche, sondern nur eine Anzahl einzelner Kirchengemeinden giebt. Eine über sechs Prozent des Einkommens hinausgehende Besteuerung der Gemeinde- glieder unterliegt der Beschlußfassung des Abgeordnetenhauses, ist also selbst in dringenden Fällen so leicht nicht zu erreichen. Man ist also auf die Kollekte und die freiwillige Vereinsthätigkeit angewiesen. Beide Mittel erweisen sich als unzureichend. Die Kollekten haben sich so gehäuft, daß eine Vermehrung der¬ selben nicht angeht, und die Vereinsthätigkeit hat eine Vielgeschäftigkeit ins Leben gerufen, die mehr zu leisten scheint, als sie wirklich leistet. Die alten großen Kirchenvermögen sind noch vorhanden, aber sie werden zu Dotationen für ver¬ diente Generale verwendet, während dringend nötige kirchliche Bedürfnisse, wie die Vermehrung der Kirchen in Berlin, die Anstellung neuer Hilfskräfte fiir die Konsistorien durch Ablehnung der Mittel im Abgeordnetenhaus unerfüllt bleiben. Das eben gezeichnete Bild ist nicht frei von Einseitigkeiten; aber so, wie wir sie gezeichnet haben, stellt sich die Lage einem großen Teile der Geistlichen und Laien innerhalb der evangelischen Kirche dar. Wir begreifen es, wenn der Wunsch laut wird: Los vom Staate, der uns nicht hilft, wo wir ihn brauchen, und uns die Hände bindet, wo wir uns felbst helfen könnten. Unter Berücksichtigung der eben gezeichneten Verhältnisse verstehen wir die Zielpunkte des Hammersteinschcn An¬ trages, welcher für die evangelische Kirche freie Bewegung und finanzielle Selbstän¬ digkeit fordert, zwei Wünsche, die nicht als ungerechtfertigt angesehen werden können. Doch begegnet es auch den gerechtfertigtsten Wünschen, daß sie nicht durch¬ führbar sind. Wie denkt man sich die größere Freiheit der evangelischen Kirche?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/618>, abgerufen am 26.08.2024.