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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die evangelische Kirche und der Staat,

Solche Fülle kommen vor. Aber wer ist so naiv, zu meinen, bei kirchlichen
Personen käme ein ähnlicher Wechsel der Ansicht nicht vor? Sollten wir nötig
haben, an Namen zu erinnern? Auch in der römischen Kirche sind ja die
Jesuiten von drei Unfehlbarer einmal genehmigt, dann aufgehoben und endlich
wieder eingesetzt worden. Wir gestehen übrigens, das; wir gern der evangelischen
Kirche Gelegenheit gäben, an jeder theologischen Fakultät zu den staatlichen
Professoren der Theologie auch zwei rein kirchliche hinzuzufügen. Da die Kirche
auf alle Fälle die Kandidaten für den Kirchendienst amtlich prüft, so hat sie
doch eine ganz bedeutende Einwirkung auf die Studenten schon jetzt. Nicht
bloß die Mittclpartei, die, wie gesagt, neulich in der sächsischen Versammlung
durch Professor Beyschlag zu Worte gekommen ist, hält die Freiheit der Wissen¬
schaft für ein Recht, das der Staat auch in der Theologie zu schützen habe;
große, sehr große Kreise werden mit ihm gleicher Meinung sein. Eine Kirche,
"deren Professoren nach kirchlich approbirten Heften lesen und von einem Priester
entlassen werden können," würde bei evangelischen Christen keinen Kredit ge¬
nießen. Eine Agitation für solche Abhängigkeit der Universitätsprofessoren von
der Kirche wird nicht für eine nützliche Freiheit der Kirche gehalten werde",
sondern nur für eine Verstärkung einer unevangelischen Hierarchie. Auch sind
wir überzeugt, daß selbst Herr von Hammerstein und seiue Verehrer die Anstellung
der Theologieprofessorcn nicht dem Staatsminister ganz entziehen wollen, sondern
nur einen Beirat der Synode verlangen, wie er faktisch ja oft genug eingeholt
wird. Kurz, man darf den Antragstellern keine katholisirende Tendenzen unter¬
schieben, wenn nicht ganz andre Erklärungen von ihnen über ihre speziellen
Absichten erfolgen, die diese Tendenzen ausdrücklich bekunden.

Wir sind im ganzen mit der durch die Gesetze von 1876 erlangten Kirchen-
ordnung zufrieden, insbesondre mit der Bemerkung: "Der Bekenutnisstaud und die
Union in den genannten Provinzen und deu dazu gehörenden Gemeinden werden
durch dieses Verfnssungsgesetz nicht berührt." Das Maß der dem Könige in
seinem staatliche!? Beruf und so dem Staate selbst zukommenden Rechte ist dem
Herrn von Hammerstein zu groß. Unter andern Verhältnisse" dächten wir viel¬
leicht anch so, wenn nämlich eine Synvdalorganisativn und eine Konsistorial-
richtung bei uns bestünde, die an einer freien, presbyterialen und liberalen Ent¬
wicklung der evangelischen Kirche Freude hätte. In solchen Fällen würden nur
einige Schutzwehren des Staates für unnötig bezeichnen, namentlich die enge
Begrenzung der kirchlichen Steuern, die man den Kirchengemeinden zu allge¬
meinen kirchlichen Zwecke" auflegen darf. Auch ist der Wunsch der General-
synode in? Prinzip zu billigen, daß man bei der Besetzung kirchlicher Ämter dem
Staat nicht mehr zugestehen möge, als ein Einspruchsrecht gegen die kirchen-
regimentlichen Vorschläge. Für die Gegenwart aber und die nächste Zukunft
möchten wir den Befugnissen, die der Staat nach dem gütige" Reglement ans
dem evangelischen Kirchengebiete hat, nichts entziehen. Denn seit vielen Jahren


Die evangelische Kirche und der Staat,

Solche Fülle kommen vor. Aber wer ist so naiv, zu meinen, bei kirchlichen
Personen käme ein ähnlicher Wechsel der Ansicht nicht vor? Sollten wir nötig
haben, an Namen zu erinnern? Auch in der römischen Kirche sind ja die
Jesuiten von drei Unfehlbarer einmal genehmigt, dann aufgehoben und endlich
wieder eingesetzt worden. Wir gestehen übrigens, das; wir gern der evangelischen
Kirche Gelegenheit gäben, an jeder theologischen Fakultät zu den staatlichen
Professoren der Theologie auch zwei rein kirchliche hinzuzufügen. Da die Kirche
auf alle Fälle die Kandidaten für den Kirchendienst amtlich prüft, so hat sie
doch eine ganz bedeutende Einwirkung auf die Studenten schon jetzt. Nicht
bloß die Mittclpartei, die, wie gesagt, neulich in der sächsischen Versammlung
durch Professor Beyschlag zu Worte gekommen ist, hält die Freiheit der Wissen¬
schaft für ein Recht, das der Staat auch in der Theologie zu schützen habe;
große, sehr große Kreise werden mit ihm gleicher Meinung sein. Eine Kirche,
„deren Professoren nach kirchlich approbirten Heften lesen und von einem Priester
entlassen werden können," würde bei evangelischen Christen keinen Kredit ge¬
nießen. Eine Agitation für solche Abhängigkeit der Universitätsprofessoren von
der Kirche wird nicht für eine nützliche Freiheit der Kirche gehalten werde»,
sondern nur für eine Verstärkung einer unevangelischen Hierarchie. Auch sind
wir überzeugt, daß selbst Herr von Hammerstein und seiue Verehrer die Anstellung
der Theologieprofessorcn nicht dem Staatsminister ganz entziehen wollen, sondern
nur einen Beirat der Synode verlangen, wie er faktisch ja oft genug eingeholt
wird. Kurz, man darf den Antragstellern keine katholisirende Tendenzen unter¬
schieben, wenn nicht ganz andre Erklärungen von ihnen über ihre speziellen
Absichten erfolgen, die diese Tendenzen ausdrücklich bekunden.

Wir sind im ganzen mit der durch die Gesetze von 1876 erlangten Kirchen-
ordnung zufrieden, insbesondre mit der Bemerkung: „Der Bekenutnisstaud und die
Union in den genannten Provinzen und deu dazu gehörenden Gemeinden werden
durch dieses Verfnssungsgesetz nicht berührt." Das Maß der dem Könige in
seinem staatliche!? Beruf und so dem Staate selbst zukommenden Rechte ist dem
Herrn von Hammerstein zu groß. Unter andern Verhältnisse» dächten wir viel¬
leicht anch so, wenn nämlich eine Synvdalorganisativn und eine Konsistorial-
richtung bei uns bestünde, die an einer freien, presbyterialen und liberalen Ent¬
wicklung der evangelischen Kirche Freude hätte. In solchen Fällen würden nur
einige Schutzwehren des Staates für unnötig bezeichnen, namentlich die enge
Begrenzung der kirchlichen Steuern, die man den Kirchengemeinden zu allge¬
meinen kirchlichen Zwecke» auflegen darf. Auch ist der Wunsch der General-
synode in? Prinzip zu billigen, daß man bei der Besetzung kirchlicher Ämter dem
Staat nicht mehr zugestehen möge, als ein Einspruchsrecht gegen die kirchen-
regimentlichen Vorschläge. Für die Gegenwart aber und die nächste Zukunft
möchten wir den Befugnissen, die der Staat nach dem gütige» Reglement ans
dem evangelischen Kirchengebiete hat, nichts entziehen. Denn seit vielen Jahren


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[0614] Die evangelische Kirche und der Staat, Solche Fülle kommen vor. Aber wer ist so naiv, zu meinen, bei kirchlichen Personen käme ein ähnlicher Wechsel der Ansicht nicht vor? Sollten wir nötig haben, an Namen zu erinnern? Auch in der römischen Kirche sind ja die Jesuiten von drei Unfehlbarer einmal genehmigt, dann aufgehoben und endlich wieder eingesetzt worden. Wir gestehen übrigens, das; wir gern der evangelischen Kirche Gelegenheit gäben, an jeder theologischen Fakultät zu den staatlichen Professoren der Theologie auch zwei rein kirchliche hinzuzufügen. Da die Kirche auf alle Fälle die Kandidaten für den Kirchendienst amtlich prüft, so hat sie doch eine ganz bedeutende Einwirkung auf die Studenten schon jetzt. Nicht bloß die Mittclpartei, die, wie gesagt, neulich in der sächsischen Versammlung durch Professor Beyschlag zu Worte gekommen ist, hält die Freiheit der Wissen¬ schaft für ein Recht, das der Staat auch in der Theologie zu schützen habe; große, sehr große Kreise werden mit ihm gleicher Meinung sein. Eine Kirche, „deren Professoren nach kirchlich approbirten Heften lesen und von einem Priester entlassen werden können," würde bei evangelischen Christen keinen Kredit ge¬ nießen. Eine Agitation für solche Abhängigkeit der Universitätsprofessoren von der Kirche wird nicht für eine nützliche Freiheit der Kirche gehalten werde», sondern nur für eine Verstärkung einer unevangelischen Hierarchie. Auch sind wir überzeugt, daß selbst Herr von Hammerstein und seiue Verehrer die Anstellung der Theologieprofessorcn nicht dem Staatsminister ganz entziehen wollen, sondern nur einen Beirat der Synode verlangen, wie er faktisch ja oft genug eingeholt wird. Kurz, man darf den Antragstellern keine katholisirende Tendenzen unter¬ schieben, wenn nicht ganz andre Erklärungen von ihnen über ihre speziellen Absichten erfolgen, die diese Tendenzen ausdrücklich bekunden. Wir sind im ganzen mit der durch die Gesetze von 1876 erlangten Kirchen- ordnung zufrieden, insbesondre mit der Bemerkung: „Der Bekenutnisstaud und die Union in den genannten Provinzen und deu dazu gehörenden Gemeinden werden durch dieses Verfnssungsgesetz nicht berührt." Das Maß der dem Könige in seinem staatliche!? Beruf und so dem Staate selbst zukommenden Rechte ist dem Herrn von Hammerstein zu groß. Unter andern Verhältnisse» dächten wir viel¬ leicht anch so, wenn nämlich eine Synvdalorganisativn und eine Konsistorial- richtung bei uns bestünde, die an einer freien, presbyterialen und liberalen Ent¬ wicklung der evangelischen Kirche Freude hätte. In solchen Fällen würden nur einige Schutzwehren des Staates für unnötig bezeichnen, namentlich die enge Begrenzung der kirchlichen Steuern, die man den Kirchengemeinden zu allge¬ meinen kirchlichen Zwecke» auflegen darf. Auch ist der Wunsch der General- synode in? Prinzip zu billigen, daß man bei der Besetzung kirchlicher Ämter dem Staat nicht mehr zugestehen möge, als ein Einspruchsrecht gegen die kirchen- regimentlichen Vorschläge. Für die Gegenwart aber und die nächste Zukunft möchten wir den Befugnissen, die der Staat nach dem gütige» Reglement ans dem evangelischen Kirchengebiete hat, nichts entziehen. Denn seit vielen Jahren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/614>, abgerufen am 28.12.2024.