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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die deutschen Schulen in Ungarn.

geboten werde", der Zwang wird geleugnet in dem Motivenberichte zu dem¬
selben Gesetze, das den schwersten Zwang verhängt!

Aber ärger war noch, was nachkam. Kaum war das Gesetz geschaffen, so
erließ der Minister unter dem 29. Juni 1879 einen "Lehrplan für die Volks¬
schulen mit nichtmagyarischer Unterrichtssprache," der dem ganzen Gesetze sofort
eine andre Deutung und Bedeutung gab. Es ist das überhaupt in Ungarn
etwas ganz Gewöhnliches, daß die Verordnungen den Gesetzen schnurstracks ent¬
gegenstehen. Das Gesetz ist Schein, die Ausführung enthält erst die wahren
Gedanken. Der achtunddreißigste Gesctzartikel von 1868 giebt (Z 11) den Kon¬
fessionen das Recht. Schulen zu errichten und das Lehrsystem festzustellen; es
ist eine der Grundbestimmungen, durch welche auch die nationale Bildung ge¬
währleistet ist, da nationale Schulen in Ungarn bloß von den Konfessionen er¬
halten werden. Im Handumdrehen wird also -- ohne daß man es ausdrücklich
sagt -- eine solche grundlegende gesetzliche Anordnung abgeschafft. Jener Lehr¬
plan vom 29. Juni bestimmt wörtlich: "Als Mittelpunkt des Elementar¬
unterrichts dient die Muttersprache, mit welcher in Verbindung die magyarische
Sprache gelehrt werden muß____ Sowohl in dem Unterrichte der Muttersprache
als der in Verbindung mit dieser zu lehrenden magyarischen Sprache müssen
die Schüler in solcher Art geleitet werden, daß das Kind in denselben sowohl
seine eignen Gedanken als auch seine im Wege der Anleitung erworbenen Kennt¬
nisse deutlich ausdrücken" u. s. s. kann. Wenige Stunden ausgenommen sollen
Muttersprache und magyarische Sprache sofort kombinirt, gleichzeitig und gleich¬
mäßig getrieben werden, wie denn für beide Sprachen dasselbe Ziel festge¬
setzt ist.

So hatte denn das Gesetz, das die Aufnahme des Magyarischen unter die
Zwnngslehrgegenstände anordnete, eine überraschende Auslegung gefunden. Alle
Vorstellungen dagegen haben natürlich nichts gefruchtet. Und die Folgen? Die
"Neue ungarische Schulzcitung" schildert sie (Ur. 14 vom 2. April 1885)
traurig: "Der Erfolg ist, daß Kinder nichtmagyarischen Stammes, welche eine
Schule mit gemischter Sprache bis zum vollendeten zwölften Lebensjahre besucht
haben, nicht in eiuer einzigen Sprache erklecklich lesen, noch viel weniger schreiben
können, ja im Erkennen und Benennen der Buchstaben noch Schwierigkeiten
finden, das aus den Schulbüchern gelesene nicht verstehen, einfach erweiterte
Sätze nicht fehlerlos auszusprechen imstande sind, ja nicht einmal den Artikel
ihrer Muttersprache richtig gebrauchen können und die magyarische Sprache
noch unvollkommener als ihre Muttersprache sprechen." In der That: Loli-
tucliirsm ks,oiunt>, xg-osur g,WSl1g,ut,.

Aber die eine Ungerechtigkeit gebiert sofort eine zweite. Es mußte nun
von selbst die Frage entstehen: Wie soll der Unterricht in den vielen Schulen
erteilt werden, wo die Lehrer nicht magyarisch können? Das Gesetz giebt sichere
Antwort; K 4 des achtzehnten Gesetzartikels von 1879 sagt: "Bis dahin


Die deutschen Schulen in Ungarn.

geboten werde», der Zwang wird geleugnet in dem Motivenberichte zu dem¬
selben Gesetze, das den schwersten Zwang verhängt!

Aber ärger war noch, was nachkam. Kaum war das Gesetz geschaffen, so
erließ der Minister unter dem 29. Juni 1879 einen „Lehrplan für die Volks¬
schulen mit nichtmagyarischer Unterrichtssprache," der dem ganzen Gesetze sofort
eine andre Deutung und Bedeutung gab. Es ist das überhaupt in Ungarn
etwas ganz Gewöhnliches, daß die Verordnungen den Gesetzen schnurstracks ent¬
gegenstehen. Das Gesetz ist Schein, die Ausführung enthält erst die wahren
Gedanken. Der achtunddreißigste Gesctzartikel von 1868 giebt (Z 11) den Kon¬
fessionen das Recht. Schulen zu errichten und das Lehrsystem festzustellen; es
ist eine der Grundbestimmungen, durch welche auch die nationale Bildung ge¬
währleistet ist, da nationale Schulen in Ungarn bloß von den Konfessionen er¬
halten werden. Im Handumdrehen wird also — ohne daß man es ausdrücklich
sagt — eine solche grundlegende gesetzliche Anordnung abgeschafft. Jener Lehr¬
plan vom 29. Juni bestimmt wörtlich: „Als Mittelpunkt des Elementar¬
unterrichts dient die Muttersprache, mit welcher in Verbindung die magyarische
Sprache gelehrt werden muß____ Sowohl in dem Unterrichte der Muttersprache
als der in Verbindung mit dieser zu lehrenden magyarischen Sprache müssen
die Schüler in solcher Art geleitet werden, daß das Kind in denselben sowohl
seine eignen Gedanken als auch seine im Wege der Anleitung erworbenen Kennt¬
nisse deutlich ausdrücken" u. s. s. kann. Wenige Stunden ausgenommen sollen
Muttersprache und magyarische Sprache sofort kombinirt, gleichzeitig und gleich¬
mäßig getrieben werden, wie denn für beide Sprachen dasselbe Ziel festge¬
setzt ist.

So hatte denn das Gesetz, das die Aufnahme des Magyarischen unter die
Zwnngslehrgegenstände anordnete, eine überraschende Auslegung gefunden. Alle
Vorstellungen dagegen haben natürlich nichts gefruchtet. Und die Folgen? Die
„Neue ungarische Schulzcitung" schildert sie (Ur. 14 vom 2. April 1885)
traurig: „Der Erfolg ist, daß Kinder nichtmagyarischen Stammes, welche eine
Schule mit gemischter Sprache bis zum vollendeten zwölften Lebensjahre besucht
haben, nicht in eiuer einzigen Sprache erklecklich lesen, noch viel weniger schreiben
können, ja im Erkennen und Benennen der Buchstaben noch Schwierigkeiten
finden, das aus den Schulbüchern gelesene nicht verstehen, einfach erweiterte
Sätze nicht fehlerlos auszusprechen imstande sind, ja nicht einmal den Artikel
ihrer Muttersprache richtig gebrauchen können und die magyarische Sprache
noch unvollkommener als ihre Muttersprache sprechen." In der That: Loli-
tucliirsm ks,oiunt>, xg-osur g,WSl1g,ut,.

Aber die eine Ungerechtigkeit gebiert sofort eine zweite. Es mußte nun
von selbst die Frage entstehen: Wie soll der Unterricht in den vielen Schulen
erteilt werden, wo die Lehrer nicht magyarisch können? Das Gesetz giebt sichere
Antwort; K 4 des achtzehnten Gesetzartikels von 1879 sagt: „Bis dahin


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[0061] Die deutschen Schulen in Ungarn. geboten werde», der Zwang wird geleugnet in dem Motivenberichte zu dem¬ selben Gesetze, das den schwersten Zwang verhängt! Aber ärger war noch, was nachkam. Kaum war das Gesetz geschaffen, so erließ der Minister unter dem 29. Juni 1879 einen „Lehrplan für die Volks¬ schulen mit nichtmagyarischer Unterrichtssprache," der dem ganzen Gesetze sofort eine andre Deutung und Bedeutung gab. Es ist das überhaupt in Ungarn etwas ganz Gewöhnliches, daß die Verordnungen den Gesetzen schnurstracks ent¬ gegenstehen. Das Gesetz ist Schein, die Ausführung enthält erst die wahren Gedanken. Der achtunddreißigste Gesctzartikel von 1868 giebt (Z 11) den Kon¬ fessionen das Recht. Schulen zu errichten und das Lehrsystem festzustellen; es ist eine der Grundbestimmungen, durch welche auch die nationale Bildung ge¬ währleistet ist, da nationale Schulen in Ungarn bloß von den Konfessionen er¬ halten werden. Im Handumdrehen wird also — ohne daß man es ausdrücklich sagt — eine solche grundlegende gesetzliche Anordnung abgeschafft. Jener Lehr¬ plan vom 29. Juni bestimmt wörtlich: „Als Mittelpunkt des Elementar¬ unterrichts dient die Muttersprache, mit welcher in Verbindung die magyarische Sprache gelehrt werden muß____ Sowohl in dem Unterrichte der Muttersprache als der in Verbindung mit dieser zu lehrenden magyarischen Sprache müssen die Schüler in solcher Art geleitet werden, daß das Kind in denselben sowohl seine eignen Gedanken als auch seine im Wege der Anleitung erworbenen Kennt¬ nisse deutlich ausdrücken" u. s. s. kann. Wenige Stunden ausgenommen sollen Muttersprache und magyarische Sprache sofort kombinirt, gleichzeitig und gleich¬ mäßig getrieben werden, wie denn für beide Sprachen dasselbe Ziel festge¬ setzt ist. So hatte denn das Gesetz, das die Aufnahme des Magyarischen unter die Zwnngslehrgegenstände anordnete, eine überraschende Auslegung gefunden. Alle Vorstellungen dagegen haben natürlich nichts gefruchtet. Und die Folgen? Die „Neue ungarische Schulzcitung" schildert sie (Ur. 14 vom 2. April 1885) traurig: „Der Erfolg ist, daß Kinder nichtmagyarischen Stammes, welche eine Schule mit gemischter Sprache bis zum vollendeten zwölften Lebensjahre besucht haben, nicht in eiuer einzigen Sprache erklecklich lesen, noch viel weniger schreiben können, ja im Erkennen und Benennen der Buchstaben noch Schwierigkeiten finden, das aus den Schulbüchern gelesene nicht verstehen, einfach erweiterte Sätze nicht fehlerlos auszusprechen imstande sind, ja nicht einmal den Artikel ihrer Muttersprache richtig gebrauchen können und die magyarische Sprache noch unvollkommener als ihre Muttersprache sprechen." In der That: Loli- tucliirsm ks,oiunt>, xg-osur g,WSl1g,ut,. Aber die eine Ungerechtigkeit gebiert sofort eine zweite. Es mußte nun von selbst die Frage entstehen: Wie soll der Unterricht in den vielen Schulen erteilt werden, wo die Lehrer nicht magyarisch können? Das Gesetz giebt sichere Antwort; K 4 des achtzehnten Gesetzartikels von 1879 sagt: „Bis dahin

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/61>, abgerufen am 24.07.2024.