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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Gefahr. Mehr als all sein bisheriges Reden und Thun muß dasselbe allen
denkenden Liberalen in England zeigen, daß es sich bei den kommenden Wahlen
darum handeln wird, ob Gladstone zum Rucktritte vom Staatsruder genötigt
werden oder das britische Reich eines seiner Glieder verlieren soll. Es giebt,
wie Gladstone selbst erklärt, keinen Mittelweg zwischen dieser Alternative. Er¬
langt er an den Stimmurnen eine Mehrheit für sich, so wird er sie halsstarrig
und rücksichtslos benutzen und den Führern der irischen Separatisten alles zu¬
gestehen, was er ihnen versprochen hat, Ulster wie das übrige Irland und
alles, was nach seinem Plane von der bisherigen Union verbleiben soll, aber
bei dem Charakter der Homernlcr sicher nur kurze Zeit Bestand haben würde.

Wie kommt min Gladstone zu so starrem Festhalten an seinem Plane, zu
so verhängnisvoller Nachgiebigkeit? Sein Manifest läßt schließen, daß er einem
Irrtume verfallen ist, der in Überschätzung der irischen Bewegnngspartei besteht.
Dasselbe beruht wesentlich auf der Annahme, daß man es mit einem Volke zu
thun habe, welches vou der Idee der irischen Nationalität so durch und durch
erfüllt und entzündet sei, daß keinerlei Maß materieller Zugeständnisse und
keinerlei Verwaltung, denke man sie sich auch uoch so entschlossen und kraftvoll,
es bewegen könnte, seinen Anspruch auf Unabhängigkeit aufzugeben. Die ge¬
schichtlichen Thatsachen bestätigen diese Ansicht nicht oder wenigstens nicht hin¬
reichend. Die nationale Sache hat während der letzten Jahrzehnte in Irland
immer eine gewisse Anzahl von Anhängern gezählt, welche ihr Haß gegen Eng¬
land und die Engländer zur Auflehnung und geheimer Verschwörung bewog,
aber die Äußerungen dieser Bewegung waren nur krankhafte Stöße und Krämpfe,.
und die Beteiligung an ihr war verhältnismäßig gering. Von Emmetts ver¬
unglücktem Versuche an bis zu O'Connells Forderung nach Ncpeal im Jahre
1833 war die Idee der Trennung von England nicht viel mehr als ein Flacker¬
feuer, das bis 1841 völlig erlosch. Während dieser ganzen Zeit erlangte die
öffentliche Meinung in Irland religiöse Gleichberechtigung, munizipale Reformen
und Verbesserung des Looses der Pächter und sah von der größern Frage der
Nationalität gänzlich ab. Als O'Connell die Nepealbewegung in Szene setzte,
nannte er seine Genossenschaft den "Loyalen Nationalvcrein für prompte Ge¬
rechtigkeit gegen Irland," und 1841 war er so wenig ein Gegner Englands,
daß er zum Kandidaten für Dublin einen englischen Whig vorschlug. Die ersten
wirklichen Nationalisten nach Emmett waren die Mitglieder des "Jungen Ir¬
lands," aber ihr Einfluß auf das Volk war ein beschränkter. Als John Mitchell,
weil er Hochverrat gepredigt hatte, fortgebracht wurde, freute sich die Bevölkerung
Dublins über eine Revue der Notröcke Ihrer Majestät im Phönixpark. Später
organisirten James Stephens und andre ans Amerika zurückgekehrte Irländer
die serische Bewegung, die aber bald zusammenfiel, weil sie nur wenig Halt in
der Masse des Volkes gefunden hatte. Seitdem hat es mancherlei Anzeichen
eines gleichsam unterirdisch geführten Krieges gegen England gegeben. Alles


Gefahr. Mehr als all sein bisheriges Reden und Thun muß dasselbe allen
denkenden Liberalen in England zeigen, daß es sich bei den kommenden Wahlen
darum handeln wird, ob Gladstone zum Rucktritte vom Staatsruder genötigt
werden oder das britische Reich eines seiner Glieder verlieren soll. Es giebt,
wie Gladstone selbst erklärt, keinen Mittelweg zwischen dieser Alternative. Er¬
langt er an den Stimmurnen eine Mehrheit für sich, so wird er sie halsstarrig
und rücksichtslos benutzen und den Führern der irischen Separatisten alles zu¬
gestehen, was er ihnen versprochen hat, Ulster wie das übrige Irland und
alles, was nach seinem Plane von der bisherigen Union verbleiben soll, aber
bei dem Charakter der Homernlcr sicher nur kurze Zeit Bestand haben würde.

Wie kommt min Gladstone zu so starrem Festhalten an seinem Plane, zu
so verhängnisvoller Nachgiebigkeit? Sein Manifest läßt schließen, daß er einem
Irrtume verfallen ist, der in Überschätzung der irischen Bewegnngspartei besteht.
Dasselbe beruht wesentlich auf der Annahme, daß man es mit einem Volke zu
thun habe, welches vou der Idee der irischen Nationalität so durch und durch
erfüllt und entzündet sei, daß keinerlei Maß materieller Zugeständnisse und
keinerlei Verwaltung, denke man sie sich auch uoch so entschlossen und kraftvoll,
es bewegen könnte, seinen Anspruch auf Unabhängigkeit aufzugeben. Die ge¬
schichtlichen Thatsachen bestätigen diese Ansicht nicht oder wenigstens nicht hin¬
reichend. Die nationale Sache hat während der letzten Jahrzehnte in Irland
immer eine gewisse Anzahl von Anhängern gezählt, welche ihr Haß gegen Eng¬
land und die Engländer zur Auflehnung und geheimer Verschwörung bewog,
aber die Äußerungen dieser Bewegung waren nur krankhafte Stöße und Krämpfe,.
und die Beteiligung an ihr war verhältnismäßig gering. Von Emmetts ver¬
unglücktem Versuche an bis zu O'Connells Forderung nach Ncpeal im Jahre
1833 war die Idee der Trennung von England nicht viel mehr als ein Flacker¬
feuer, das bis 1841 völlig erlosch. Während dieser ganzen Zeit erlangte die
öffentliche Meinung in Irland religiöse Gleichberechtigung, munizipale Reformen
und Verbesserung des Looses der Pächter und sah von der größern Frage der
Nationalität gänzlich ab. Als O'Connell die Nepealbewegung in Szene setzte,
nannte er seine Genossenschaft den „Loyalen Nationalvcrein für prompte Ge¬
rechtigkeit gegen Irland," und 1841 war er so wenig ein Gegner Englands,
daß er zum Kandidaten für Dublin einen englischen Whig vorschlug. Die ersten
wirklichen Nationalisten nach Emmett waren die Mitglieder des „Jungen Ir¬
lands," aber ihr Einfluß auf das Volk war ein beschränkter. Als John Mitchell,
weil er Hochverrat gepredigt hatte, fortgebracht wurde, freute sich die Bevölkerung
Dublins über eine Revue der Notröcke Ihrer Majestät im Phönixpark. Später
organisirten James Stephens und andre ans Amerika zurückgekehrte Irländer
die serische Bewegung, die aber bald zusammenfiel, weil sie nur wenig Halt in
der Masse des Volkes gefunden hatte. Seitdem hat es mancherlei Anzeichen
eines gleichsam unterirdisch geführten Krieges gegen England gegeben. Alles


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/603>, abgerufen am 24.07.2024.