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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die deutschen Schulen in Ungarn.

und des öffentlichen Wohles das höchste Ziel des Staates ist, so ist der
Minister für öffentlichen Unterricht verpflichtet, in den Staatslehraustalten
möglichst dafür zu sorgen, daß die Bürger einer jeden Nationalität des Landes,
wenn sie in größern Massen zusammenleben, in der Nähe der von ihnen be¬
wohnten Gegend sich in ihrer Muttersprache bilden können bis dahin, wo die
höhere akademische Bildung beginnt/' Wie dies gehalten wird, das beweisen
auch die oben mitgeteilten Zahlen,

Die Bedrückung der deutschen Schulen in Ungarn stützt sich aber vor allein
auf den 18. Gesetzartikcl von 1879 "über den Unterricht der magyarischen
Sprache in den Volksunterrichtslehranstalten." An seine Spitze stellt das Gesetz
eine Unwahrheit: "Damit jedem Staatsbürger Gelegenheit zur Aneignung der
magyarischen Sprache als der Staatssprache geboten werde," verfügt es
folgenden Zwang: Jeder Volksschullehrer, der von 1872 an bis 1881 ein
Seminar durchgemacht hat, muß binnen vier Jahren, sowie jeder, der es
von 1882 an durchmacht, die magyarische Sprache sich so angeeignet haben,
daß er sie "in Wort und Schrift" beherrscht, und seit dem 30. Juni 1882
darf niemand angestellt werden, der diese Forderung nicht erfüllt. Der
staatliche Schulinspektor hat die Zeugnisse der aus nichtmagyarischen Lehr¬
anstalten austretenden Schullehrcrkandidaten zu unterschreiben. I" sämtlichen
Volksschulen wird die magyarische Sprache als Zwangsunterrichtsgegenstand
gelehrt.

Es war nur natürlich, wenn gegen dieses Gesetz alle nichtmagyarischen
Völker Ungarns -- und das sind zwei Drittel der Gesamtbewohner -- sich
entschieden wehrten. Von den Magyaren hatte ein einziger, Mocsary, den
Mut, seine Überzeugung dahin auszusprechen, daß es unwahr sei, zu behaupten,
das Gesetz bezwecke die Förderung der Kultur: "Ich muß es aussprechen, daß
ich einen solchen Mangel an Aufrichtigkeit weder der magyarischen Rasse noch
des Staates würdig halte. Denn es ist uns allen sehr wohl bekannt, daß wir
unter der Ausbreitung der magyarischen Sprache nichts andres verstehen als
die thmilichste Beseitigung des großen Übelstandes, daß nämlich jene fünfzehn
Millionen Menschen, die dieses Vaterland bewohnen, nicht sämtlich ihrem Ur-
stamm nach Magyaren sind."

Genug, das Gesetz wurde angenommen. Es muß dabei besonders betont
werden, und der Motivenbericht sagt es ausdrücklich: "daß es nie die Absicht
des Staates oder der Gesetzgebung war und auch jetzt nicht ist, die Nationali¬
täten ihrer eignen Muttersprache zu berauben oder auch nur darin einzuschränken.
Die anderssprachigen^) Staatsbürger dazu zu zwingen, daß sie außer ihrer
Muttersprache auch noch die Staatssprache sich aneigneten, wäre ein zweckloses
Bestreben. Aber jedermann die Möglichkeit zu bieten, daß er dieselbe schon im
Kindesalter sich aneigne, ist eine solches!) Wohlthat, wofür(!) dem Staate nur
Dank gezollt werden kann." Man sieht die Gleißnerei! Die Möglichkeit soll


Die deutschen Schulen in Ungarn.

und des öffentlichen Wohles das höchste Ziel des Staates ist, so ist der
Minister für öffentlichen Unterricht verpflichtet, in den Staatslehraustalten
möglichst dafür zu sorgen, daß die Bürger einer jeden Nationalität des Landes,
wenn sie in größern Massen zusammenleben, in der Nähe der von ihnen be¬
wohnten Gegend sich in ihrer Muttersprache bilden können bis dahin, wo die
höhere akademische Bildung beginnt/' Wie dies gehalten wird, das beweisen
auch die oben mitgeteilten Zahlen,

Die Bedrückung der deutschen Schulen in Ungarn stützt sich aber vor allein
auf den 18. Gesetzartikcl von 1879 „über den Unterricht der magyarischen
Sprache in den Volksunterrichtslehranstalten." An seine Spitze stellt das Gesetz
eine Unwahrheit: „Damit jedem Staatsbürger Gelegenheit zur Aneignung der
magyarischen Sprache als der Staatssprache geboten werde," verfügt es
folgenden Zwang: Jeder Volksschullehrer, der von 1872 an bis 1881 ein
Seminar durchgemacht hat, muß binnen vier Jahren, sowie jeder, der es
von 1882 an durchmacht, die magyarische Sprache sich so angeeignet haben,
daß er sie „in Wort und Schrift" beherrscht, und seit dem 30. Juni 1882
darf niemand angestellt werden, der diese Forderung nicht erfüllt. Der
staatliche Schulinspektor hat die Zeugnisse der aus nichtmagyarischen Lehr¬
anstalten austretenden Schullehrcrkandidaten zu unterschreiben. I» sämtlichen
Volksschulen wird die magyarische Sprache als Zwangsunterrichtsgegenstand
gelehrt.

Es war nur natürlich, wenn gegen dieses Gesetz alle nichtmagyarischen
Völker Ungarns — und das sind zwei Drittel der Gesamtbewohner — sich
entschieden wehrten. Von den Magyaren hatte ein einziger, Mocsary, den
Mut, seine Überzeugung dahin auszusprechen, daß es unwahr sei, zu behaupten,
das Gesetz bezwecke die Förderung der Kultur: „Ich muß es aussprechen, daß
ich einen solchen Mangel an Aufrichtigkeit weder der magyarischen Rasse noch
des Staates würdig halte. Denn es ist uns allen sehr wohl bekannt, daß wir
unter der Ausbreitung der magyarischen Sprache nichts andres verstehen als
die thmilichste Beseitigung des großen Übelstandes, daß nämlich jene fünfzehn
Millionen Menschen, die dieses Vaterland bewohnen, nicht sämtlich ihrem Ur-
stamm nach Magyaren sind."

Genug, das Gesetz wurde angenommen. Es muß dabei besonders betont
werden, und der Motivenbericht sagt es ausdrücklich: „daß es nie die Absicht
des Staates oder der Gesetzgebung war und auch jetzt nicht ist, die Nationali¬
täten ihrer eignen Muttersprache zu berauben oder auch nur darin einzuschränken.
Die anderssprachigen^) Staatsbürger dazu zu zwingen, daß sie außer ihrer
Muttersprache auch noch die Staatssprache sich aneigneten, wäre ein zweckloses
Bestreben. Aber jedermann die Möglichkeit zu bieten, daß er dieselbe schon im
Kindesalter sich aneigne, ist eine solches!) Wohlthat, wofür(!) dem Staate nur
Dank gezollt werden kann." Man sieht die Gleißnerei! Die Möglichkeit soll


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[0060] Die deutschen Schulen in Ungarn. und des öffentlichen Wohles das höchste Ziel des Staates ist, so ist der Minister für öffentlichen Unterricht verpflichtet, in den Staatslehraustalten möglichst dafür zu sorgen, daß die Bürger einer jeden Nationalität des Landes, wenn sie in größern Massen zusammenleben, in der Nähe der von ihnen be¬ wohnten Gegend sich in ihrer Muttersprache bilden können bis dahin, wo die höhere akademische Bildung beginnt/' Wie dies gehalten wird, das beweisen auch die oben mitgeteilten Zahlen, Die Bedrückung der deutschen Schulen in Ungarn stützt sich aber vor allein auf den 18. Gesetzartikcl von 1879 „über den Unterricht der magyarischen Sprache in den Volksunterrichtslehranstalten." An seine Spitze stellt das Gesetz eine Unwahrheit: „Damit jedem Staatsbürger Gelegenheit zur Aneignung der magyarischen Sprache als der Staatssprache geboten werde," verfügt es folgenden Zwang: Jeder Volksschullehrer, der von 1872 an bis 1881 ein Seminar durchgemacht hat, muß binnen vier Jahren, sowie jeder, der es von 1882 an durchmacht, die magyarische Sprache sich so angeeignet haben, daß er sie „in Wort und Schrift" beherrscht, und seit dem 30. Juni 1882 darf niemand angestellt werden, der diese Forderung nicht erfüllt. Der staatliche Schulinspektor hat die Zeugnisse der aus nichtmagyarischen Lehr¬ anstalten austretenden Schullehrcrkandidaten zu unterschreiben. I» sämtlichen Volksschulen wird die magyarische Sprache als Zwangsunterrichtsgegenstand gelehrt. Es war nur natürlich, wenn gegen dieses Gesetz alle nichtmagyarischen Völker Ungarns — und das sind zwei Drittel der Gesamtbewohner — sich entschieden wehrten. Von den Magyaren hatte ein einziger, Mocsary, den Mut, seine Überzeugung dahin auszusprechen, daß es unwahr sei, zu behaupten, das Gesetz bezwecke die Förderung der Kultur: „Ich muß es aussprechen, daß ich einen solchen Mangel an Aufrichtigkeit weder der magyarischen Rasse noch des Staates würdig halte. Denn es ist uns allen sehr wohl bekannt, daß wir unter der Ausbreitung der magyarischen Sprache nichts andres verstehen als die thmilichste Beseitigung des großen Übelstandes, daß nämlich jene fünfzehn Millionen Menschen, die dieses Vaterland bewohnen, nicht sämtlich ihrem Ur- stamm nach Magyaren sind." Genug, das Gesetz wurde angenommen. Es muß dabei besonders betont werden, und der Motivenbericht sagt es ausdrücklich: „daß es nie die Absicht des Staates oder der Gesetzgebung war und auch jetzt nicht ist, die Nationali¬ täten ihrer eignen Muttersprache zu berauben oder auch nur darin einzuschränken. Die anderssprachigen^) Staatsbürger dazu zu zwingen, daß sie außer ihrer Muttersprache auch noch die Staatssprache sich aneigneten, wäre ein zweckloses Bestreben. Aber jedermann die Möglichkeit zu bieten, daß er dieselbe schon im Kindesalter sich aneigne, ist eine solches!) Wohlthat, wofür(!) dem Staate nur Dank gezollt werden kann." Man sieht die Gleißnerei! Die Möglichkeit soll

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/60>, abgerufen am 04.07.2024.