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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Entscheidung und die Ankunft der Parteien in England.

mente im politischen Leben, even sie unvergänglichen Tendenzen in der Menschen¬
natur entsprechen. Es giebt aber Momente in der Geschichte der Nationen,
wo Neuwahlen die Bedeutung eines französischen Plebiszits haben. Die eng¬
lischen Wähler haben sich bei den bevorstehenden Parlamentswahlen als zur
Entscheidung der Frage berufen anzusehen: Soll das Reich zerteilt werden?
die durch jedes Votum für einen Unionisten verneint, durch jeden für einen
Separatisten abgegebenen Stimmzettel bejaht wird. Bei dieser Auffassung des
Abstimmungsaktes ist es wichtig, daß auch in solchen Wählerschaften, wo ein
unionistischer Kandidat keinerlei Aussicht hat, gewählt zu werden, jeder Freund
der Reichseinheit an der Urne erscheint, um für einen solchen zu stimmen. Nur
so wird klar werden, wie viele Engländer, Schotten und Jrländer die Union
erhalten, wie viele sie getrennt sehen wollen. Über diese große Entscheidungs¬
stunde hinaus würde eine Partei, die nur die Union auf ihr Banner schriebe,
nicht Bestand haben, denn die Frage, welche jetzt zu beantworten ist, wird von
der Tagesordnung verschwinden, während gewisse Reformbedürfnisse fortleben
werden. Indes hat die Haltung Hartingtons, Chamberlains und andrer libe¬
ralen Führer in dieser Sache und die Unterstützung, die ihnen vonseiten der
Konservativen zuteil wurde, bewiesen, daß in der jetzigen Opposition die Ele¬
mente zu einer neuen Partei vorhanden sind, die sich nach der Krisis bilden
könnte. Die eigentliche Opposition, die zwischen den Bezeichnungen Tories, Kon¬
servative und Konstitutionelle schwankt, besteht in Wahrheit aus gemäßigt Libe¬
ralen, welche die öffentlichen Angelegenheiten vom nationalen Standpunkte aus
beurteilt und behandelt wissen wollen. Sie ist in ihrer Mehrzahl mit dem ver¬
nünftigen Liberalismus vom heutigen Tage näher verwandt als mit dem alten
Tvryismus. Als "Unionisten" im bevorstehenden Wahlkampfc, als "National-
liberale" in der Zeit nach dessen Entscheidung könnten sie Tausende mit sich
vereinigen, welche sich weigern würden, sich "Tories" oder "Konservative" zu
nennen, während sie durch Annahme eines neuen Parteinamcns gewinnen würden.
Denn in England haben solche Namen wie überall nud vielleicht mehr als
anderwärts ihre Kraft und Wirkung, und mancher, der sich rühmt, sein Leben
lang für keinen Tory gestimmt zu haben, wird geneigt sein, bei der nächsten
Parlamentswahl für einen Konservativen, der sich ihm als Unionist, als Ver¬
teidiger der Reichseinheit vorstellt, seinen Zettel in die Urne zu werfen. Auch
giebt es nichts, was in Zukunft die bleibende Verschmelzung aller patriotischen
Gegner des irischen Repeal zu einer neuen nativnallibernlen Partei verhindern
könnte.




Die Entscheidung und die Ankunft der Parteien in England.

mente im politischen Leben, even sie unvergänglichen Tendenzen in der Menschen¬
natur entsprechen. Es giebt aber Momente in der Geschichte der Nationen,
wo Neuwahlen die Bedeutung eines französischen Plebiszits haben. Die eng¬
lischen Wähler haben sich bei den bevorstehenden Parlamentswahlen als zur
Entscheidung der Frage berufen anzusehen: Soll das Reich zerteilt werden?
die durch jedes Votum für einen Unionisten verneint, durch jeden für einen
Separatisten abgegebenen Stimmzettel bejaht wird. Bei dieser Auffassung des
Abstimmungsaktes ist es wichtig, daß auch in solchen Wählerschaften, wo ein
unionistischer Kandidat keinerlei Aussicht hat, gewählt zu werden, jeder Freund
der Reichseinheit an der Urne erscheint, um für einen solchen zu stimmen. Nur
so wird klar werden, wie viele Engländer, Schotten und Jrländer die Union
erhalten, wie viele sie getrennt sehen wollen. Über diese große Entscheidungs¬
stunde hinaus würde eine Partei, die nur die Union auf ihr Banner schriebe,
nicht Bestand haben, denn die Frage, welche jetzt zu beantworten ist, wird von
der Tagesordnung verschwinden, während gewisse Reformbedürfnisse fortleben
werden. Indes hat die Haltung Hartingtons, Chamberlains und andrer libe¬
ralen Führer in dieser Sache und die Unterstützung, die ihnen vonseiten der
Konservativen zuteil wurde, bewiesen, daß in der jetzigen Opposition die Ele¬
mente zu einer neuen Partei vorhanden sind, die sich nach der Krisis bilden
könnte. Die eigentliche Opposition, die zwischen den Bezeichnungen Tories, Kon¬
servative und Konstitutionelle schwankt, besteht in Wahrheit aus gemäßigt Libe¬
ralen, welche die öffentlichen Angelegenheiten vom nationalen Standpunkte aus
beurteilt und behandelt wissen wollen. Sie ist in ihrer Mehrzahl mit dem ver¬
nünftigen Liberalismus vom heutigen Tage näher verwandt als mit dem alten
Tvryismus. Als „Unionisten" im bevorstehenden Wahlkampfc, als „National-
liberale" in der Zeit nach dessen Entscheidung könnten sie Tausende mit sich
vereinigen, welche sich weigern würden, sich „Tories" oder „Konservative" zu
nennen, während sie durch Annahme eines neuen Parteinamcns gewinnen würden.
Denn in England haben solche Namen wie überall nud vielleicht mehr als
anderwärts ihre Kraft und Wirkung, und mancher, der sich rühmt, sein Leben
lang für keinen Tory gestimmt zu haben, wird geneigt sein, bei der nächsten
Parlamentswahl für einen Konservativen, der sich ihm als Unionist, als Ver¬
teidiger der Reichseinheit vorstellt, seinen Zettel in die Urne zu werfen. Auch
giebt es nichts, was in Zukunft die bleibende Verschmelzung aller patriotischen
Gegner des irischen Repeal zu einer neuen nativnallibernlen Partei verhindern
könnte.




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[0589] Die Entscheidung und die Ankunft der Parteien in England. mente im politischen Leben, even sie unvergänglichen Tendenzen in der Menschen¬ natur entsprechen. Es giebt aber Momente in der Geschichte der Nationen, wo Neuwahlen die Bedeutung eines französischen Plebiszits haben. Die eng¬ lischen Wähler haben sich bei den bevorstehenden Parlamentswahlen als zur Entscheidung der Frage berufen anzusehen: Soll das Reich zerteilt werden? die durch jedes Votum für einen Unionisten verneint, durch jeden für einen Separatisten abgegebenen Stimmzettel bejaht wird. Bei dieser Auffassung des Abstimmungsaktes ist es wichtig, daß auch in solchen Wählerschaften, wo ein unionistischer Kandidat keinerlei Aussicht hat, gewählt zu werden, jeder Freund der Reichseinheit an der Urne erscheint, um für einen solchen zu stimmen. Nur so wird klar werden, wie viele Engländer, Schotten und Jrländer die Union erhalten, wie viele sie getrennt sehen wollen. Über diese große Entscheidungs¬ stunde hinaus würde eine Partei, die nur die Union auf ihr Banner schriebe, nicht Bestand haben, denn die Frage, welche jetzt zu beantworten ist, wird von der Tagesordnung verschwinden, während gewisse Reformbedürfnisse fortleben werden. Indes hat die Haltung Hartingtons, Chamberlains und andrer libe¬ ralen Führer in dieser Sache und die Unterstützung, die ihnen vonseiten der Konservativen zuteil wurde, bewiesen, daß in der jetzigen Opposition die Ele¬ mente zu einer neuen Partei vorhanden sind, die sich nach der Krisis bilden könnte. Die eigentliche Opposition, die zwischen den Bezeichnungen Tories, Kon¬ servative und Konstitutionelle schwankt, besteht in Wahrheit aus gemäßigt Libe¬ ralen, welche die öffentlichen Angelegenheiten vom nationalen Standpunkte aus beurteilt und behandelt wissen wollen. Sie ist in ihrer Mehrzahl mit dem ver¬ nünftigen Liberalismus vom heutigen Tage näher verwandt als mit dem alten Tvryismus. Als „Unionisten" im bevorstehenden Wahlkampfc, als „National- liberale" in der Zeit nach dessen Entscheidung könnten sie Tausende mit sich vereinigen, welche sich weigern würden, sich „Tories" oder „Konservative" zu nennen, während sie durch Annahme eines neuen Parteinamcns gewinnen würden. Denn in England haben solche Namen wie überall nud vielleicht mehr als anderwärts ihre Kraft und Wirkung, und mancher, der sich rühmt, sein Leben lang für keinen Tory gestimmt zu haben, wird geneigt sein, bei der nächsten Parlamentswahl für einen Konservativen, der sich ihm als Unionist, als Ver¬ teidiger der Reichseinheit vorstellt, seinen Zettel in die Urne zu werfen. Auch giebt es nichts, was in Zukunft die bleibende Verschmelzung aller patriotischen Gegner des irischen Repeal zu einer neuen nativnallibernlen Partei verhindern könnte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/589>, abgerufen am 28.12.2024.