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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Berechtigung abzusprechen? Hätte uns Fritz von Abbe seine Absicht zuvor
theoretisch entwickelt, so würden wir ihm wahrscheinlich ins Gesicht gelacht haben.
Aber vor seiner praktische" Demonstration muß der Spott schweigen. Wenn
er auch anfangs mit ängstlicher Sorgfalt auf Muukacshs Bahnen schritt, so
steht er doch heute bereits so selbständig da, daß die Erinnerung an die
Schulzeit nur noch den Wert eines biographischen Moments besitzt. Er hat
mit offnen Augen und klugem Kopf alles aufgenommen, was die französischen
Naturalisten der Kunst als sichern Besitz erobert haben. Er hat, um nur eines
hervorzuheben, ein Geheimnis enthüllt, welches Munlaesy, vielleicht infolge seiner
Herkunft ans der Schwarzmalerei, bisher verborgen geblieben ist: er kann einen
Innenraum so darstellen, daß das Auge des Architekten wirklich einen Raum
und nicht perspektivisch unwahr aneinander geschvbne Wandflächen findet, und
er kann einen solchen Runen durch Figuren beleben, welche nicht an den Wänden,
an den Geräten, an dem Hintergrunde wie Silhouetten kleben, sondern milde"
im Raume von Licht, Luft, Dunst umflossen als leibhaftige Wesen stehen und
sich zu bewegen scheinen. Wer das zustande bringen kann, ist ein ganzer
Maler. Und wir können noch mehr sagen, ein Maler, der kein Nachahmer ist,
sondern ein Maler, dem wir die Bedeutung eines Bahnbrechers zuerkennen
müssen. Wie mau auch über die französischen Naturalisten, über Abbe und seine
Nachahmer, über Skarbina, Firle u. s. w. in spätern Zeiten urteilen mag -- so
viel steht fest, daß ihnen das Verdienst gebührt, unsre Malerei aus ihrer trüben
Kclleratmosphärc an das helle Licht des Tages in jeglicher Nüance empor¬
geführt, unsern Malern die Augen für das Licht geöffnet zu haben. Daß
vielen der Operirten die Augen über der ungewohnten Lichtfülle schmerzen, ist
natürlich. Jede Revolution verlangt ihre Opfer, und zwar ebensowohl aus den
Reihen derer, welche sie machen, als aus der Mitte der Angegriffenen. Die
Naturalisten werden noch viele verfehlte Bilder malen, bis es ihnen gelingen
wird, sich zu völliger Klarheit, zu einem Stile durchzuarbeiten. So lassen sich
auch gegen ein zweites religiöses Bild Fritz von Abtes: "Komm, Herr Jesu, sei
unser Gast!" mancherlei Einwendungen erheben. Die Voraussetzung ist eine
ähnliche wie bei dem vorher erwähnten Gemälde. Christus ist beständig inmitten
seiner Gemeinde oder nach den Worten des Evangeliums: "Wo zween oder drei
versammelt sind in meinem Namen, va bin ich mitten unter ihnen." In der
niedern Stube eines Bauern oder ländlichen Arbeiters will sich die Familie
eben zum Mittagsmahle niedersetzen. Der Hausvater hat das Tischgebet ge¬
sprochen, und die symbolische Einladung hat sich verwirklicht. Mit demütiger
Geberde heißt das Familienhaupt den leibhaftig erschienenen Heiland willkommen,
und die übrigen blicken mit staunender Audacht zu ihm empor. Die malerische
Behandlung ist trotz einiger Neigung zur Stizzenhaftigkeit auch hier wieder von
großem Reiz. Wie das von außen durch die trüben, kleinen Fensterscheiben ein¬
dringende Sonnenlicht mit der schweren Atmosphäre, dem Halbdunkel der Stube


Die religiöse Malerei der Gegenwart.

Berechtigung abzusprechen? Hätte uns Fritz von Abbe seine Absicht zuvor
theoretisch entwickelt, so würden wir ihm wahrscheinlich ins Gesicht gelacht haben.
Aber vor seiner praktische» Demonstration muß der Spott schweigen. Wenn
er auch anfangs mit ängstlicher Sorgfalt auf Muukacshs Bahnen schritt, so
steht er doch heute bereits so selbständig da, daß die Erinnerung an die
Schulzeit nur noch den Wert eines biographischen Moments besitzt. Er hat
mit offnen Augen und klugem Kopf alles aufgenommen, was die französischen
Naturalisten der Kunst als sichern Besitz erobert haben. Er hat, um nur eines
hervorzuheben, ein Geheimnis enthüllt, welches Munlaesy, vielleicht infolge seiner
Herkunft ans der Schwarzmalerei, bisher verborgen geblieben ist: er kann einen
Innenraum so darstellen, daß das Auge des Architekten wirklich einen Raum
und nicht perspektivisch unwahr aneinander geschvbne Wandflächen findet, und
er kann einen solchen Runen durch Figuren beleben, welche nicht an den Wänden,
an den Geräten, an dem Hintergrunde wie Silhouetten kleben, sondern milde«
im Raume von Licht, Luft, Dunst umflossen als leibhaftige Wesen stehen und
sich zu bewegen scheinen. Wer das zustande bringen kann, ist ein ganzer
Maler. Und wir können noch mehr sagen, ein Maler, der kein Nachahmer ist,
sondern ein Maler, dem wir die Bedeutung eines Bahnbrechers zuerkennen
müssen. Wie mau auch über die französischen Naturalisten, über Abbe und seine
Nachahmer, über Skarbina, Firle u. s. w. in spätern Zeiten urteilen mag — so
viel steht fest, daß ihnen das Verdienst gebührt, unsre Malerei aus ihrer trüben
Kclleratmosphärc an das helle Licht des Tages in jeglicher Nüance empor¬
geführt, unsern Malern die Augen für das Licht geöffnet zu haben. Daß
vielen der Operirten die Augen über der ungewohnten Lichtfülle schmerzen, ist
natürlich. Jede Revolution verlangt ihre Opfer, und zwar ebensowohl aus den
Reihen derer, welche sie machen, als aus der Mitte der Angegriffenen. Die
Naturalisten werden noch viele verfehlte Bilder malen, bis es ihnen gelingen
wird, sich zu völliger Klarheit, zu einem Stile durchzuarbeiten. So lassen sich
auch gegen ein zweites religiöses Bild Fritz von Abtes: „Komm, Herr Jesu, sei
unser Gast!" mancherlei Einwendungen erheben. Die Voraussetzung ist eine
ähnliche wie bei dem vorher erwähnten Gemälde. Christus ist beständig inmitten
seiner Gemeinde oder nach den Worten des Evangeliums: „Wo zween oder drei
versammelt sind in meinem Namen, va bin ich mitten unter ihnen." In der
niedern Stube eines Bauern oder ländlichen Arbeiters will sich die Familie
eben zum Mittagsmahle niedersetzen. Der Hausvater hat das Tischgebet ge¬
sprochen, und die symbolische Einladung hat sich verwirklicht. Mit demütiger
Geberde heißt das Familienhaupt den leibhaftig erschienenen Heiland willkommen,
und die übrigen blicken mit staunender Audacht zu ihm empor. Die malerische
Behandlung ist trotz einiger Neigung zur Stizzenhaftigkeit auch hier wieder von
großem Reiz. Wie das von außen durch die trüben, kleinen Fensterscheiben ein¬
dringende Sonnenlicht mit der schweren Atmosphäre, dem Halbdunkel der Stube


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[0571] Die religiöse Malerei der Gegenwart. Berechtigung abzusprechen? Hätte uns Fritz von Abbe seine Absicht zuvor theoretisch entwickelt, so würden wir ihm wahrscheinlich ins Gesicht gelacht haben. Aber vor seiner praktische» Demonstration muß der Spott schweigen. Wenn er auch anfangs mit ängstlicher Sorgfalt auf Muukacshs Bahnen schritt, so steht er doch heute bereits so selbständig da, daß die Erinnerung an die Schulzeit nur noch den Wert eines biographischen Moments besitzt. Er hat mit offnen Augen und klugem Kopf alles aufgenommen, was die französischen Naturalisten der Kunst als sichern Besitz erobert haben. Er hat, um nur eines hervorzuheben, ein Geheimnis enthüllt, welches Munlaesy, vielleicht infolge seiner Herkunft ans der Schwarzmalerei, bisher verborgen geblieben ist: er kann einen Innenraum so darstellen, daß das Auge des Architekten wirklich einen Raum und nicht perspektivisch unwahr aneinander geschvbne Wandflächen findet, und er kann einen solchen Runen durch Figuren beleben, welche nicht an den Wänden, an den Geräten, an dem Hintergrunde wie Silhouetten kleben, sondern milde« im Raume von Licht, Luft, Dunst umflossen als leibhaftige Wesen stehen und sich zu bewegen scheinen. Wer das zustande bringen kann, ist ein ganzer Maler. Und wir können noch mehr sagen, ein Maler, der kein Nachahmer ist, sondern ein Maler, dem wir die Bedeutung eines Bahnbrechers zuerkennen müssen. Wie mau auch über die französischen Naturalisten, über Abbe und seine Nachahmer, über Skarbina, Firle u. s. w. in spätern Zeiten urteilen mag — so viel steht fest, daß ihnen das Verdienst gebührt, unsre Malerei aus ihrer trüben Kclleratmosphärc an das helle Licht des Tages in jeglicher Nüance empor¬ geführt, unsern Malern die Augen für das Licht geöffnet zu haben. Daß vielen der Operirten die Augen über der ungewohnten Lichtfülle schmerzen, ist natürlich. Jede Revolution verlangt ihre Opfer, und zwar ebensowohl aus den Reihen derer, welche sie machen, als aus der Mitte der Angegriffenen. Die Naturalisten werden noch viele verfehlte Bilder malen, bis es ihnen gelingen wird, sich zu völliger Klarheit, zu einem Stile durchzuarbeiten. So lassen sich auch gegen ein zweites religiöses Bild Fritz von Abtes: „Komm, Herr Jesu, sei unser Gast!" mancherlei Einwendungen erheben. Die Voraussetzung ist eine ähnliche wie bei dem vorher erwähnten Gemälde. Christus ist beständig inmitten seiner Gemeinde oder nach den Worten des Evangeliums: „Wo zween oder drei versammelt sind in meinem Namen, va bin ich mitten unter ihnen." In der niedern Stube eines Bauern oder ländlichen Arbeiters will sich die Familie eben zum Mittagsmahle niedersetzen. Der Hausvater hat das Tischgebet ge¬ sprochen, und die symbolische Einladung hat sich verwirklicht. Mit demütiger Geberde heißt das Familienhaupt den leibhaftig erschienenen Heiland willkommen, und die übrigen blicken mit staunender Audacht zu ihm empor. Die malerische Behandlung ist trotz einiger Neigung zur Stizzenhaftigkeit auch hier wieder von großem Reiz. Wie das von außen durch die trüben, kleinen Fensterscheiben ein¬ dringende Sonnenlicht mit der schweren Atmosphäre, dem Halbdunkel der Stube

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/571>, abgerufen am 24.07.2024.