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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die religiöse Malerei der Gegenwart.

der Passion, das Lamm, welches der Welt Sünde trägt. Keiner von den mo¬
dernen Naturalisten hat es bisher versucht, uus nach dem Vorgange Michel¬
angelos den Helden, den Triumphcttor über Tod und Hölle zu zeigen. Auf
E. von Gebhardts "Himmelfahrt" in der Berliner Nationalgalcrie steigt nicht
der Sieger, sondern der an Leib und Seele Gebrochene zur himmlischen Glorie
empor. So erscheint er selbst in der glänzenden Versammlung, welche A, Wolff
in der Vorhalle des Tempels um ihn und die Ehebrecherin vereinigt hat. Ans
diesem Bilde, dessen Autor der reichen Palette Munkaesys eine etwas schwächere
Wiederholung abgewonnen hat, tritt der Aufwand von Kostümen, von farbig
schillernden Stoffen bereits so sehr in den Vordergrund, daß man durch eiuen
orientalischen Teppichbazar in Tunis oder Marokko zu schreiten glaubt.

Hat sich die Muukaesysche Richtung hier zu einem Streben nach koloristisch-
dekorativer Wirkung verflacht, so fand sie auf der andern Seite dnrch einen
direkten Schüler Muukaeshs, den aus Sachsen gebürtigen Fritz von Abbe, eine
wesentliche Vertiefung und zugleich eine weitere Ausbildung, die dem reinen
Histvriengemäldc wieder die Rückkehr zum Andachtsbilde, freilich in vollständig
rationalistischen Sinne, möglich macht. Eduard vou Gebhardt läßt die Vor¬
gänge der biblischen Geschichte durch und vor Personen in der Tracht des fünf¬
zehnten und sechzehnten Jahrhunderts sich abspielen. Der Leichnam Christi
wird betrauert, vou den Frauen gewaschen, gesalbt und bekleidet in einer alt¬
deutschen Bürgerstube, in welche sich außer den traditionellen Zeugen noch teil¬
nehmende Nachbarn gedrängt haben, die in ehrfurchtsvoller Entfernung der er¬
greifenden Zeremonie zusehen. Abbe hat noch einen starken Schritt weiter
gethan, um uns die Gestalten der heiligen Geschichte noch näher zu bringen.
Er versetzt den Stifter der christlichen Religion unmittelbar in die Gegenwart
und giebt ihm dabei ein Gepräge, welches man kaum anders als sozialistisch
bezeichnen kann. Biblische oder Gebetsworte bieten ihm die Motive. "Lasset
die Kindlein zu mir kommen!" verkörperter so, daß er den Heiland als müden,
bestaubten Wanderer von der Landstraße in eine Dorfschule eintreten und auf
einem mit Stroh beflvchtenen Holzstuhlc Platz nehmen läßt. Er trägt das
traditionelle Gewand, die schmntzigblauc hemdartige Tunika, verrät aber im
übrigen durch nichts seine Mission oder seine überlegne Stellung. Die Kinder,
die sich ihm teils zutraulich, teils furchtsam nahen, tragen die Kleidung unsrer
Zeit ebenso wie die Lehrer und die Eltern, welche bescheiden an der Thür stehen,
um Lehramt und moralische Fürsorge einem Höhern zu überlassen. Wer diese
seltsame Komposition mit künstlerisch gebildetem Auge betrachtete, der wurde durch
den heiligen Ernst und die vollendete Wirklichkeit der Darstellung entwaffnet.
Man war versucht, zu glauben, daß der Fundamentalsatz des Descartes:
Log'lo, srg'o "um! durch einen Maler eine neue Erklärung und Begründung
erfahren hatte. Wer vermag es, in unsrer zu allerhand Ketzereien geneigten,
jedem dogmatischen Zwange abholden Zeit einem selbständigen Denken die Existenz-


Die religiöse Malerei der Gegenwart.

der Passion, das Lamm, welches der Welt Sünde trägt. Keiner von den mo¬
dernen Naturalisten hat es bisher versucht, uus nach dem Vorgange Michel¬
angelos den Helden, den Triumphcttor über Tod und Hölle zu zeigen. Auf
E. von Gebhardts „Himmelfahrt" in der Berliner Nationalgalcrie steigt nicht
der Sieger, sondern der an Leib und Seele Gebrochene zur himmlischen Glorie
empor. So erscheint er selbst in der glänzenden Versammlung, welche A, Wolff
in der Vorhalle des Tempels um ihn und die Ehebrecherin vereinigt hat. Ans
diesem Bilde, dessen Autor der reichen Palette Munkaesys eine etwas schwächere
Wiederholung abgewonnen hat, tritt der Aufwand von Kostümen, von farbig
schillernden Stoffen bereits so sehr in den Vordergrund, daß man durch eiuen
orientalischen Teppichbazar in Tunis oder Marokko zu schreiten glaubt.

Hat sich die Muukaesysche Richtung hier zu einem Streben nach koloristisch-
dekorativer Wirkung verflacht, so fand sie auf der andern Seite dnrch einen
direkten Schüler Muukaeshs, den aus Sachsen gebürtigen Fritz von Abbe, eine
wesentliche Vertiefung und zugleich eine weitere Ausbildung, die dem reinen
Histvriengemäldc wieder die Rückkehr zum Andachtsbilde, freilich in vollständig
rationalistischen Sinne, möglich macht. Eduard vou Gebhardt läßt die Vor¬
gänge der biblischen Geschichte durch und vor Personen in der Tracht des fünf¬
zehnten und sechzehnten Jahrhunderts sich abspielen. Der Leichnam Christi
wird betrauert, vou den Frauen gewaschen, gesalbt und bekleidet in einer alt¬
deutschen Bürgerstube, in welche sich außer den traditionellen Zeugen noch teil¬
nehmende Nachbarn gedrängt haben, die in ehrfurchtsvoller Entfernung der er¬
greifenden Zeremonie zusehen. Abbe hat noch einen starken Schritt weiter
gethan, um uns die Gestalten der heiligen Geschichte noch näher zu bringen.
Er versetzt den Stifter der christlichen Religion unmittelbar in die Gegenwart
und giebt ihm dabei ein Gepräge, welches man kaum anders als sozialistisch
bezeichnen kann. Biblische oder Gebetsworte bieten ihm die Motive. „Lasset
die Kindlein zu mir kommen!" verkörperter so, daß er den Heiland als müden,
bestaubten Wanderer von der Landstraße in eine Dorfschule eintreten und auf
einem mit Stroh beflvchtenen Holzstuhlc Platz nehmen läßt. Er trägt das
traditionelle Gewand, die schmntzigblauc hemdartige Tunika, verrät aber im
übrigen durch nichts seine Mission oder seine überlegne Stellung. Die Kinder,
die sich ihm teils zutraulich, teils furchtsam nahen, tragen die Kleidung unsrer
Zeit ebenso wie die Lehrer und die Eltern, welche bescheiden an der Thür stehen,
um Lehramt und moralische Fürsorge einem Höhern zu überlassen. Wer diese
seltsame Komposition mit künstlerisch gebildetem Auge betrachtete, der wurde durch
den heiligen Ernst und die vollendete Wirklichkeit der Darstellung entwaffnet.
Man war versucht, zu glauben, daß der Fundamentalsatz des Descartes:
Log'lo, srg'o «um! durch einen Maler eine neue Erklärung und Begründung
erfahren hatte. Wer vermag es, in unsrer zu allerhand Ketzereien geneigten,
jedem dogmatischen Zwange abholden Zeit einem selbständigen Denken die Existenz-


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[0570] Die religiöse Malerei der Gegenwart. der Passion, das Lamm, welches der Welt Sünde trägt. Keiner von den mo¬ dernen Naturalisten hat es bisher versucht, uus nach dem Vorgange Michel¬ angelos den Helden, den Triumphcttor über Tod und Hölle zu zeigen. Auf E. von Gebhardts „Himmelfahrt" in der Berliner Nationalgalcrie steigt nicht der Sieger, sondern der an Leib und Seele Gebrochene zur himmlischen Glorie empor. So erscheint er selbst in der glänzenden Versammlung, welche A, Wolff in der Vorhalle des Tempels um ihn und die Ehebrecherin vereinigt hat. Ans diesem Bilde, dessen Autor der reichen Palette Munkaesys eine etwas schwächere Wiederholung abgewonnen hat, tritt der Aufwand von Kostümen, von farbig schillernden Stoffen bereits so sehr in den Vordergrund, daß man durch eiuen orientalischen Teppichbazar in Tunis oder Marokko zu schreiten glaubt. Hat sich die Muukaesysche Richtung hier zu einem Streben nach koloristisch- dekorativer Wirkung verflacht, so fand sie auf der andern Seite dnrch einen direkten Schüler Muukaeshs, den aus Sachsen gebürtigen Fritz von Abbe, eine wesentliche Vertiefung und zugleich eine weitere Ausbildung, die dem reinen Histvriengemäldc wieder die Rückkehr zum Andachtsbilde, freilich in vollständig rationalistischen Sinne, möglich macht. Eduard vou Gebhardt läßt die Vor¬ gänge der biblischen Geschichte durch und vor Personen in der Tracht des fünf¬ zehnten und sechzehnten Jahrhunderts sich abspielen. Der Leichnam Christi wird betrauert, vou den Frauen gewaschen, gesalbt und bekleidet in einer alt¬ deutschen Bürgerstube, in welche sich außer den traditionellen Zeugen noch teil¬ nehmende Nachbarn gedrängt haben, die in ehrfurchtsvoller Entfernung der er¬ greifenden Zeremonie zusehen. Abbe hat noch einen starken Schritt weiter gethan, um uns die Gestalten der heiligen Geschichte noch näher zu bringen. Er versetzt den Stifter der christlichen Religion unmittelbar in die Gegenwart und giebt ihm dabei ein Gepräge, welches man kaum anders als sozialistisch bezeichnen kann. Biblische oder Gebetsworte bieten ihm die Motive. „Lasset die Kindlein zu mir kommen!" verkörperter so, daß er den Heiland als müden, bestaubten Wanderer von der Landstraße in eine Dorfschule eintreten und auf einem mit Stroh beflvchtenen Holzstuhlc Platz nehmen läßt. Er trägt das traditionelle Gewand, die schmntzigblauc hemdartige Tunika, verrät aber im übrigen durch nichts seine Mission oder seine überlegne Stellung. Die Kinder, die sich ihm teils zutraulich, teils furchtsam nahen, tragen die Kleidung unsrer Zeit ebenso wie die Lehrer und die Eltern, welche bescheiden an der Thür stehen, um Lehramt und moralische Fürsorge einem Höhern zu überlassen. Wer diese seltsame Komposition mit künstlerisch gebildetem Auge betrachtete, der wurde durch den heiligen Ernst und die vollendete Wirklichkeit der Darstellung entwaffnet. Man war versucht, zu glauben, daß der Fundamentalsatz des Descartes: Log'lo, srg'o «um! durch einen Maler eine neue Erklärung und Begründung erfahren hatte. Wer vermag es, in unsrer zu allerhand Ketzereien geneigten, jedem dogmatischen Zwange abholden Zeit einem selbständigen Denken die Existenz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/570>, abgerufen am 04.07.2024.