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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Friede mit Rom,

hier nur der sein, einem Geistlichen, welcher sich den Geboten des Staates nicht
sügt, die staatliche Anerkennung und den Bezug seiner Einkünfte zu verweigern.

Die andern Grundzüge der Falkschen Gesetzgebung lassen sich vom theo¬
retischen Standpunkte weit eher vertreten; sie betreffen namentlich die Erziehung,
Vorbildung und Disziplin des Klerus, Um wirksam zu sein, sind diese Gesetze
mindestens dreißig Jahre zu spät gekommen. Als man die Verfassung beriet,
Hütte man sich klar werden sollen, in welcher Weise die katholische Kirche von
der ihr gewährten Freiheit Gebrauch machen würde. Auch hätte man nicht
vergessen sollen, wie in dem letzten Menschenalter die Kirche ihre Glieder sest
und unzertrennlich an sich gekettet hat. Erziehung und Vorbildung stellen in
dieser Kette nur einen Ring dar. MM mag die Jugend auch noch so sehr
mit staatlichen Grundsätzen tränken; nach Absolviruug der theoretischen Vor¬
studien wird man den jungen Kandidaten doch dem Priesterseminar überlassen
müssen. Dann ist er noch so bildungsfähig und biegsam, daß der kirch¬
liche Einfluß ihn doch völlig ergreift. Deshalb ist alles, was der Staat
vorher thut, um später diesen kirchlichen Einfluß auszuschließen, vergeblich.
Die weltliche Erziehung der jungen Leute kaun nur dazu führen, daß sie ihrem
Vorsatz, Priester werden zu Wollen, wieder untren werden -- und dann treten
an ihre Stelle andre --, nie aber dazu, daß, obwohl sie Priester werden wollen,
sie mehr dem Staate als der Kirche dienen. Denn die ganze kirchliche Or¬
ganisation des Katholizismus beruht darauf, daß der einmal als Priester ge¬
weihte alles nur vou seinen kirchlichen Obern zu erwarten hat. Der Kirche
gehört er mit Leib und Seele an, in ihr fühlt er sich als mächtiges Glied,
und jede Stärkung ihrer Macht strahlt auch auf ihn zurück. Von demselben
Gesichtspunkte ist auch die Disziplin zu beurteilen. Es ist staatsrechtlich ein
gewiß nnanfechtbnrcr Grundsatz, daß der Staatsbürger von keiner fremden
Macht zur Rechenschaft gezogen werden darf. Aber die Kirche hat bereits um
diese Exemtion von der weltlichen Gewalt mit den römischen Imperatoren
und den fränkischen Königen gekämpft und sich trotz allen Widerstreites in einer
unabhängigen Lage zu erbeuten gewußt. Und so stark ist ihre Gewalt über
ihre Priester, daß keiner gegen die Strafe des Obern den weltlichen Arm an¬
zurufen wagt. Abgesehen von Küstern hat eine Berufung an den kirchlichen
Gerichtshof Vonseiten eines katholischen Priesters unsers Wissens niemals statt¬
gefunden.

Diese Macht der katholischen Kirche hat die Fallsche Gesetzgebung verkannt
und für zu gering angeschlagen. In dieser Hinsicht wird sich die Kirche aus ihrer
Stellung nimmer verdrängen lassen, oder sie wird das aufhöre" zu sein, was sie
ist. Der konstitutionelle Staat kaun seinerseits nur gewisse Normativbestimmnngen
durchsetzen, die eine völlige Loslösung der Kirchendiener von der staatlichen
Gemeinschaft, in welcher sie leben, verhindern. Diese Gefahr ist bei uns umso
großer, als der Deutsche überhaupt zur Ausländerei hinneigt, und sicherlich


Der Friede mit Rom,

hier nur der sein, einem Geistlichen, welcher sich den Geboten des Staates nicht
sügt, die staatliche Anerkennung und den Bezug seiner Einkünfte zu verweigern.

Die andern Grundzüge der Falkschen Gesetzgebung lassen sich vom theo¬
retischen Standpunkte weit eher vertreten; sie betreffen namentlich die Erziehung,
Vorbildung und Disziplin des Klerus, Um wirksam zu sein, sind diese Gesetze
mindestens dreißig Jahre zu spät gekommen. Als man die Verfassung beriet,
Hütte man sich klar werden sollen, in welcher Weise die katholische Kirche von
der ihr gewährten Freiheit Gebrauch machen würde. Auch hätte man nicht
vergessen sollen, wie in dem letzten Menschenalter die Kirche ihre Glieder sest
und unzertrennlich an sich gekettet hat. Erziehung und Vorbildung stellen in
dieser Kette nur einen Ring dar. MM mag die Jugend auch noch so sehr
mit staatlichen Grundsätzen tränken; nach Absolviruug der theoretischen Vor¬
studien wird man den jungen Kandidaten doch dem Priesterseminar überlassen
müssen. Dann ist er noch so bildungsfähig und biegsam, daß der kirch¬
liche Einfluß ihn doch völlig ergreift. Deshalb ist alles, was der Staat
vorher thut, um später diesen kirchlichen Einfluß auszuschließen, vergeblich.
Die weltliche Erziehung der jungen Leute kaun nur dazu führen, daß sie ihrem
Vorsatz, Priester werden zu Wollen, wieder untren werden — und dann treten
an ihre Stelle andre —, nie aber dazu, daß, obwohl sie Priester werden wollen,
sie mehr dem Staate als der Kirche dienen. Denn die ganze kirchliche Or¬
ganisation des Katholizismus beruht darauf, daß der einmal als Priester ge¬
weihte alles nur vou seinen kirchlichen Obern zu erwarten hat. Der Kirche
gehört er mit Leib und Seele an, in ihr fühlt er sich als mächtiges Glied,
und jede Stärkung ihrer Macht strahlt auch auf ihn zurück. Von demselben
Gesichtspunkte ist auch die Disziplin zu beurteilen. Es ist staatsrechtlich ein
gewiß nnanfechtbnrcr Grundsatz, daß der Staatsbürger von keiner fremden
Macht zur Rechenschaft gezogen werden darf. Aber die Kirche hat bereits um
diese Exemtion von der weltlichen Gewalt mit den römischen Imperatoren
und den fränkischen Königen gekämpft und sich trotz allen Widerstreites in einer
unabhängigen Lage zu erbeuten gewußt. Und so stark ist ihre Gewalt über
ihre Priester, daß keiner gegen die Strafe des Obern den weltlichen Arm an¬
zurufen wagt. Abgesehen von Küstern hat eine Berufung an den kirchlichen
Gerichtshof Vonseiten eines katholischen Priesters unsers Wissens niemals statt¬
gefunden.

Diese Macht der katholischen Kirche hat die Fallsche Gesetzgebung verkannt
und für zu gering angeschlagen. In dieser Hinsicht wird sich die Kirche aus ihrer
Stellung nimmer verdrängen lassen, oder sie wird das aufhöre» zu sein, was sie
ist. Der konstitutionelle Staat kaun seinerseits nur gewisse Normativbestimmnngen
durchsetzen, die eine völlige Loslösung der Kirchendiener von der staatlichen
Gemeinschaft, in welcher sie leben, verhindern. Diese Gefahr ist bei uns umso
großer, als der Deutsche überhaupt zur Ausländerei hinneigt, und sicherlich


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[0557] Der Friede mit Rom, hier nur der sein, einem Geistlichen, welcher sich den Geboten des Staates nicht sügt, die staatliche Anerkennung und den Bezug seiner Einkünfte zu verweigern. Die andern Grundzüge der Falkschen Gesetzgebung lassen sich vom theo¬ retischen Standpunkte weit eher vertreten; sie betreffen namentlich die Erziehung, Vorbildung und Disziplin des Klerus, Um wirksam zu sein, sind diese Gesetze mindestens dreißig Jahre zu spät gekommen. Als man die Verfassung beriet, Hütte man sich klar werden sollen, in welcher Weise die katholische Kirche von der ihr gewährten Freiheit Gebrauch machen würde. Auch hätte man nicht vergessen sollen, wie in dem letzten Menschenalter die Kirche ihre Glieder sest und unzertrennlich an sich gekettet hat. Erziehung und Vorbildung stellen in dieser Kette nur einen Ring dar. MM mag die Jugend auch noch so sehr mit staatlichen Grundsätzen tränken; nach Absolviruug der theoretischen Vor¬ studien wird man den jungen Kandidaten doch dem Priesterseminar überlassen müssen. Dann ist er noch so bildungsfähig und biegsam, daß der kirch¬ liche Einfluß ihn doch völlig ergreift. Deshalb ist alles, was der Staat vorher thut, um später diesen kirchlichen Einfluß auszuschließen, vergeblich. Die weltliche Erziehung der jungen Leute kaun nur dazu führen, daß sie ihrem Vorsatz, Priester werden zu Wollen, wieder untren werden — und dann treten an ihre Stelle andre —, nie aber dazu, daß, obwohl sie Priester werden wollen, sie mehr dem Staate als der Kirche dienen. Denn die ganze kirchliche Or¬ ganisation des Katholizismus beruht darauf, daß der einmal als Priester ge¬ weihte alles nur vou seinen kirchlichen Obern zu erwarten hat. Der Kirche gehört er mit Leib und Seele an, in ihr fühlt er sich als mächtiges Glied, und jede Stärkung ihrer Macht strahlt auch auf ihn zurück. Von demselben Gesichtspunkte ist auch die Disziplin zu beurteilen. Es ist staatsrechtlich ein gewiß nnanfechtbnrcr Grundsatz, daß der Staatsbürger von keiner fremden Macht zur Rechenschaft gezogen werden darf. Aber die Kirche hat bereits um diese Exemtion von der weltlichen Gewalt mit den römischen Imperatoren und den fränkischen Königen gekämpft und sich trotz allen Widerstreites in einer unabhängigen Lage zu erbeuten gewußt. Und so stark ist ihre Gewalt über ihre Priester, daß keiner gegen die Strafe des Obern den weltlichen Arm an¬ zurufen wagt. Abgesehen von Küstern hat eine Berufung an den kirchlichen Gerichtshof Vonseiten eines katholischen Priesters unsers Wissens niemals statt¬ gefunden. Diese Macht der katholischen Kirche hat die Fallsche Gesetzgebung verkannt und für zu gering angeschlagen. In dieser Hinsicht wird sich die Kirche aus ihrer Stellung nimmer verdrängen lassen, oder sie wird das aufhöre» zu sein, was sie ist. Der konstitutionelle Staat kaun seinerseits nur gewisse Normativbestimmnngen durchsetzen, die eine völlige Loslösung der Kirchendiener von der staatlichen Gemeinschaft, in welcher sie leben, verhindern. Diese Gefahr ist bei uns umso großer, als der Deutsche überhaupt zur Ausländerei hinneigt, und sicherlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/557>, abgerufen am 04.07.2024.