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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Friede mit Rom.

haben. Wer dergleichen behauptet, der muß den Krieg für den befriedigendsten
Zustand erklären. Denn jene Gesetze sind in der Zeit des Kampfes entstanden.
Der deutsche protestantische Geist war durch die Verkündigung des Unfehlbar¬
keitsdogmas in eine tiefe Erregung geraten, die Bundesgenossenschaft des Papstes
mit den Urhebern des deutsch-französischen Krieges hatte in weiten Schichten
eine zornige Bewegung gegen Rom hervorgerufen, die durch feindselige Äuße¬
rungen Papst Pius' IX. gegen das neuerstandne Reich und durch offene Begün¬
stigung der innern Feinde desselben genährt und verstärkt wurde, In manchen
phantastischen Köpfen mochte sich vielleicht auch die Vorstellung regen, als ob
nach der in so wunderbarer Weise in Erfüllung gegaugnen politischen Einheit
dem seit Jahrhunderten durch die Koufcssionsspaltung zerrissenen Vaterlande auch
die kirchliche Einigkeit zurückgewonnen werden könnte. In dieser lutherischen
Kampfcsstimmung sind die Maigesetze entstanden. Es soll hier nicht untersucht
werden, ob dieselben dahin hätten führen können, daß die katholische Kirche in
Deutschland sich den Forderungen des Staates unterwarf. Ich glaube es nicht,
denn 1loin0 us rsouls xW, und vom Staudpunkte der katholischen Universalität
würde eher die größte Gewissensnot der Gemeinden und einzelner Seelen als eine
Nachgiebigkeit geduldet worden sein. Jedenfalls aber mußte der Staat, wenn er
einen solchen Sieg hätte erreichen wollen, mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln kämpfen, alle seine Kräfte zusammen nehmen und auf das eine Ziel
richten. Statt dessen führte der deutsche Fraktionsgeist und die Zersplitterung
der Parteien zu einer Schwächung des Staates; die Kirche führte den Kampf
nach einem Willen und mit ganzer Macht, der Staat mußte bald bei dieser,
bald bei jener Partei um die Mittel für seine notwendige Existenz betteln und
sich auf diesem Bettelwege bald mit dieser, bald mit jener Doktrin abfinden.
Wenn also auch der Luther vorhanden gewesen wäre, so fehlte doch den Parteien
die hohe Opferfreudigkeit und der große Blick, wie er uns im Zeitalter der
Reformation zu Tage tritt.

Aber wir stehen keineswegs auf dem Standpunkte, daß wir einen solchen
Sieg für erwünscht bezeichnen könnten. In unsrer heutigen Zeit darf es keine
Vergewaltigung auf dem Gebiete religiöser Anschauung mehr geben. Je mehr
wir die Überzeugung haben, daß innerhalb des Bereiches staatlicher Macht die
gegenwärtige Gesellschaftsordnung dem Einzelnen zu seinem und des Ganzen
Schaden eine viel zu große Freiheit gewähre, umsomehr meinen wir, daß inner¬
halb des GeWissensgebietes diese Freiheit nicht groß genug sein kann. Wenn
aber nach den Falkschen Kirchengesetzen die Vornahme gottesdienstlicher Hand¬
lungen durch einen kirchlich geweihten Priester mit Gefängnisstrafe bedroht wird,
so erscheint uns dies in der That als eine Vergewaltigung, deren sich der Staat
nicht mehr schuldig machen sollte. Es war dies ein Mißgriff, der nur dazu
diente, die Verfolgten mit der Märtyrerkrone zu schmücken und das Ansehen
des Staates in den weitesten Kreisen zu erschüttern. Der einzige Weg kann


Der Friede mit Rom.

haben. Wer dergleichen behauptet, der muß den Krieg für den befriedigendsten
Zustand erklären. Denn jene Gesetze sind in der Zeit des Kampfes entstanden.
Der deutsche protestantische Geist war durch die Verkündigung des Unfehlbar¬
keitsdogmas in eine tiefe Erregung geraten, die Bundesgenossenschaft des Papstes
mit den Urhebern des deutsch-französischen Krieges hatte in weiten Schichten
eine zornige Bewegung gegen Rom hervorgerufen, die durch feindselige Äuße¬
rungen Papst Pius' IX. gegen das neuerstandne Reich und durch offene Begün¬
stigung der innern Feinde desselben genährt und verstärkt wurde, In manchen
phantastischen Köpfen mochte sich vielleicht auch die Vorstellung regen, als ob
nach der in so wunderbarer Weise in Erfüllung gegaugnen politischen Einheit
dem seit Jahrhunderten durch die Koufcssionsspaltung zerrissenen Vaterlande auch
die kirchliche Einigkeit zurückgewonnen werden könnte. In dieser lutherischen
Kampfcsstimmung sind die Maigesetze entstanden. Es soll hier nicht untersucht
werden, ob dieselben dahin hätten führen können, daß die katholische Kirche in
Deutschland sich den Forderungen des Staates unterwarf. Ich glaube es nicht,
denn 1loin0 us rsouls xW, und vom Staudpunkte der katholischen Universalität
würde eher die größte Gewissensnot der Gemeinden und einzelner Seelen als eine
Nachgiebigkeit geduldet worden sein. Jedenfalls aber mußte der Staat, wenn er
einen solchen Sieg hätte erreichen wollen, mit allen ihm zu Gebote stehenden
Mitteln kämpfen, alle seine Kräfte zusammen nehmen und auf das eine Ziel
richten. Statt dessen führte der deutsche Fraktionsgeist und die Zersplitterung
der Parteien zu einer Schwächung des Staates; die Kirche führte den Kampf
nach einem Willen und mit ganzer Macht, der Staat mußte bald bei dieser,
bald bei jener Partei um die Mittel für seine notwendige Existenz betteln und
sich auf diesem Bettelwege bald mit dieser, bald mit jener Doktrin abfinden.
Wenn also auch der Luther vorhanden gewesen wäre, so fehlte doch den Parteien
die hohe Opferfreudigkeit und der große Blick, wie er uns im Zeitalter der
Reformation zu Tage tritt.

Aber wir stehen keineswegs auf dem Standpunkte, daß wir einen solchen
Sieg für erwünscht bezeichnen könnten. In unsrer heutigen Zeit darf es keine
Vergewaltigung auf dem Gebiete religiöser Anschauung mehr geben. Je mehr
wir die Überzeugung haben, daß innerhalb des Bereiches staatlicher Macht die
gegenwärtige Gesellschaftsordnung dem Einzelnen zu seinem und des Ganzen
Schaden eine viel zu große Freiheit gewähre, umsomehr meinen wir, daß inner¬
halb des GeWissensgebietes diese Freiheit nicht groß genug sein kann. Wenn
aber nach den Falkschen Kirchengesetzen die Vornahme gottesdienstlicher Hand¬
lungen durch einen kirchlich geweihten Priester mit Gefängnisstrafe bedroht wird,
so erscheint uns dies in der That als eine Vergewaltigung, deren sich der Staat
nicht mehr schuldig machen sollte. Es war dies ein Mißgriff, der nur dazu
diente, die Verfolgten mit der Märtyrerkrone zu schmücken und das Ansehen
des Staates in den weitesten Kreisen zu erschüttern. Der einzige Weg kann


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[0556] Der Friede mit Rom. haben. Wer dergleichen behauptet, der muß den Krieg für den befriedigendsten Zustand erklären. Denn jene Gesetze sind in der Zeit des Kampfes entstanden. Der deutsche protestantische Geist war durch die Verkündigung des Unfehlbar¬ keitsdogmas in eine tiefe Erregung geraten, die Bundesgenossenschaft des Papstes mit den Urhebern des deutsch-französischen Krieges hatte in weiten Schichten eine zornige Bewegung gegen Rom hervorgerufen, die durch feindselige Äuße¬ rungen Papst Pius' IX. gegen das neuerstandne Reich und durch offene Begün¬ stigung der innern Feinde desselben genährt und verstärkt wurde, In manchen phantastischen Köpfen mochte sich vielleicht auch die Vorstellung regen, als ob nach der in so wunderbarer Weise in Erfüllung gegaugnen politischen Einheit dem seit Jahrhunderten durch die Koufcssionsspaltung zerrissenen Vaterlande auch die kirchliche Einigkeit zurückgewonnen werden könnte. In dieser lutherischen Kampfcsstimmung sind die Maigesetze entstanden. Es soll hier nicht untersucht werden, ob dieselben dahin hätten führen können, daß die katholische Kirche in Deutschland sich den Forderungen des Staates unterwarf. Ich glaube es nicht, denn 1loin0 us rsouls xW, und vom Staudpunkte der katholischen Universalität würde eher die größte Gewissensnot der Gemeinden und einzelner Seelen als eine Nachgiebigkeit geduldet worden sein. Jedenfalls aber mußte der Staat, wenn er einen solchen Sieg hätte erreichen wollen, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln kämpfen, alle seine Kräfte zusammen nehmen und auf das eine Ziel richten. Statt dessen führte der deutsche Fraktionsgeist und die Zersplitterung der Parteien zu einer Schwächung des Staates; die Kirche führte den Kampf nach einem Willen und mit ganzer Macht, der Staat mußte bald bei dieser, bald bei jener Partei um die Mittel für seine notwendige Existenz betteln und sich auf diesem Bettelwege bald mit dieser, bald mit jener Doktrin abfinden. Wenn also auch der Luther vorhanden gewesen wäre, so fehlte doch den Parteien die hohe Opferfreudigkeit und der große Blick, wie er uns im Zeitalter der Reformation zu Tage tritt. Aber wir stehen keineswegs auf dem Standpunkte, daß wir einen solchen Sieg für erwünscht bezeichnen könnten. In unsrer heutigen Zeit darf es keine Vergewaltigung auf dem Gebiete religiöser Anschauung mehr geben. Je mehr wir die Überzeugung haben, daß innerhalb des Bereiches staatlicher Macht die gegenwärtige Gesellschaftsordnung dem Einzelnen zu seinem und des Ganzen Schaden eine viel zu große Freiheit gewähre, umsomehr meinen wir, daß inner¬ halb des GeWissensgebietes diese Freiheit nicht groß genug sein kann. Wenn aber nach den Falkschen Kirchengesetzen die Vornahme gottesdienstlicher Hand¬ lungen durch einen kirchlich geweihten Priester mit Gefängnisstrafe bedroht wird, so erscheint uns dies in der That als eine Vergewaltigung, deren sich der Staat nicht mehr schuldig machen sollte. Es war dies ein Mißgriff, der nur dazu diente, die Verfolgten mit der Märtyrerkrone zu schmücken und das Ansehen des Staates in den weitesten Kreisen zu erschüttern. Der einzige Weg kann

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/556>, abgerufen am 04.07.2024.