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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ans Spanien.

Wirtschaftlichen, die sittlichen und religiösen Zustände Spaniens ein Licht wirft,
und wenn in diesen Richtungen sein Buch eine unvergleichlich reichere Ausbeute
gewährt, so begegnen sich doch Monarchist und Republikaner in der Unbefangen¬
heit der Betrachtung.

Bernhardts Aufenthalt im Lande fällt in die Zeit nach der Vertreibung
Jsabellens, der Regentschaft Prius, der Wahl des Prinzen Leopold von Hohen-
zollern und des großen Krieges, der, wegen jener Wahl vom Zaun gebrochen,
die Einigung Deutschlands herbeiführte. Je näher augenscheinlich die Thätigkeit
des deutschen Diplomaten mit den Weltcreiguisscn in Zusammenhang gestanden
hat, desto vorsichtiger weicht seine Erzählung der unmittelbaren Berührung der¬
selben aus; nur die Eindrücke, welche er in dem amtlichen oder zufällige!?
Verkehr mit politischen Personen von dem Charakter der Spanier, den Nach¬
wirkungen der Vergangenheit, der Stimmung der Nationalitäten und der Parteien
empfangen hat, werden wiedergegeben. Im großen und ganzen gestaltet sich
daraus ein recht unerfreuliches Bild, und mehr als ein Staat und mehr als
eine Partei könnten aus dieser Darstellung der unseligen Folgen einer jahrhunderte¬
langen verkehrten Wirtschaft in Staat und Kirche heilsame Lehren ziehen. Es
ist nicht notwendig, an die verhängnisvollen Fehler der Ausrottung der Mauren,
der Zerstörung des Gewerbefleißes und Wohlstandes im Süden, der Inqui¬
sition u. s. w. zu erinnern. Aber mancher Vorgang erscheint in neuem Lichte,
wenn uns vergegenwärtigt wird, daß der Gegensatz zwischen Kastilien und
Arrcigonien noch heute, wie in allen Bürgerkriegen, schwer in die Wagschale
fällt. Dieser Gegensatz drängte sich unserm Reisenden überall auf, in Tarragona,
Valencia. Barcelona n. s. in. Als im Herbst des Jahres 1869 ein karlistischer
Aufstand und eine republikanische Bewegung ausbrachen -- beide vom Auslande
her geschürt und unterstützt --. fand der erstere nur in Arrcigonien, die letztere
nur in kastilischen Provinzen, namentlich Andalusien und Granada, offnen Anhang,
obwohl es auch dort Republikaner, anch hier Karlisten gab. "Immer war es
so gewesen, wenn Kastilien in einer Frage, die zum Bürgerkriege führen konnte,
die eine Partei ergriff, erhob sich Arrcigonien für die andre." So erklärte sich
zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Kastilien für den Enkel Ludwigs XIV.,
und Arragonien nahm die Partei des Habsburgischen Erben. "Arragonien hat
andre Traditionen als Kastilien, andre Erinnerungen, einen andern Ursprung.
Das Reich ist nicht von Don Pclayo gegründet und nicht von Cnevadonga ans
wie Kastilien. Sobrarbe im Grenzgebirge in den Pyrenäen ist der Ausgangs¬
punkt." Vollends scharf prägt sich die Verschiedenheit in Katalonien aus, welches
überhaupt nicht spanischen Ursprungs, sondern den Franken und Arabern
abgewonnen ist, nach der Ablösung vom Reiche der Karolinger lange Zeit als
Grafschaft Barcelona selbständig war, und in der Verbindung mit Arragonien
nicht nur selbständig, sondern vielfach maßgebend blieb. Daher wurde dort die
Verbindung mit Kastilien, in welcher die Selbständigkeit verloren ging, als


Grenzboten II. 1886. 66
Ans Spanien.

Wirtschaftlichen, die sittlichen und religiösen Zustände Spaniens ein Licht wirft,
und wenn in diesen Richtungen sein Buch eine unvergleichlich reichere Ausbeute
gewährt, so begegnen sich doch Monarchist und Republikaner in der Unbefangen¬
heit der Betrachtung.

Bernhardts Aufenthalt im Lande fällt in die Zeit nach der Vertreibung
Jsabellens, der Regentschaft Prius, der Wahl des Prinzen Leopold von Hohen-
zollern und des großen Krieges, der, wegen jener Wahl vom Zaun gebrochen,
die Einigung Deutschlands herbeiführte. Je näher augenscheinlich die Thätigkeit
des deutschen Diplomaten mit den Weltcreiguisscn in Zusammenhang gestanden
hat, desto vorsichtiger weicht seine Erzählung der unmittelbaren Berührung der¬
selben aus; nur die Eindrücke, welche er in dem amtlichen oder zufällige!?
Verkehr mit politischen Personen von dem Charakter der Spanier, den Nach¬
wirkungen der Vergangenheit, der Stimmung der Nationalitäten und der Parteien
empfangen hat, werden wiedergegeben. Im großen und ganzen gestaltet sich
daraus ein recht unerfreuliches Bild, und mehr als ein Staat und mehr als
eine Partei könnten aus dieser Darstellung der unseligen Folgen einer jahrhunderte¬
langen verkehrten Wirtschaft in Staat und Kirche heilsame Lehren ziehen. Es
ist nicht notwendig, an die verhängnisvollen Fehler der Ausrottung der Mauren,
der Zerstörung des Gewerbefleißes und Wohlstandes im Süden, der Inqui¬
sition u. s. w. zu erinnern. Aber mancher Vorgang erscheint in neuem Lichte,
wenn uns vergegenwärtigt wird, daß der Gegensatz zwischen Kastilien und
Arrcigonien noch heute, wie in allen Bürgerkriegen, schwer in die Wagschale
fällt. Dieser Gegensatz drängte sich unserm Reisenden überall auf, in Tarragona,
Valencia. Barcelona n. s. in. Als im Herbst des Jahres 1869 ein karlistischer
Aufstand und eine republikanische Bewegung ausbrachen — beide vom Auslande
her geschürt und unterstützt —. fand der erstere nur in Arrcigonien, die letztere
nur in kastilischen Provinzen, namentlich Andalusien und Granada, offnen Anhang,
obwohl es auch dort Republikaner, anch hier Karlisten gab. „Immer war es
so gewesen, wenn Kastilien in einer Frage, die zum Bürgerkriege führen konnte,
die eine Partei ergriff, erhob sich Arrcigonien für die andre." So erklärte sich
zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Kastilien für den Enkel Ludwigs XIV.,
und Arragonien nahm die Partei des Habsburgischen Erben. „Arragonien hat
andre Traditionen als Kastilien, andre Erinnerungen, einen andern Ursprung.
Das Reich ist nicht von Don Pclayo gegründet und nicht von Cnevadonga ans
wie Kastilien. Sobrarbe im Grenzgebirge in den Pyrenäen ist der Ausgangs¬
punkt." Vollends scharf prägt sich die Verschiedenheit in Katalonien aus, welches
überhaupt nicht spanischen Ursprungs, sondern den Franken und Arabern
abgewonnen ist, nach der Ablösung vom Reiche der Karolinger lange Zeit als
Grafschaft Barcelona selbständig war, und in der Verbindung mit Arragonien
nicht nur selbständig, sondern vielfach maßgebend blieb. Daher wurde dort die
Verbindung mit Kastilien, in welcher die Selbständigkeit verloren ging, als


Grenzboten II. 1886. 66
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[0529] Ans Spanien. Wirtschaftlichen, die sittlichen und religiösen Zustände Spaniens ein Licht wirft, und wenn in diesen Richtungen sein Buch eine unvergleichlich reichere Ausbeute gewährt, so begegnen sich doch Monarchist und Republikaner in der Unbefangen¬ heit der Betrachtung. Bernhardts Aufenthalt im Lande fällt in die Zeit nach der Vertreibung Jsabellens, der Regentschaft Prius, der Wahl des Prinzen Leopold von Hohen- zollern und des großen Krieges, der, wegen jener Wahl vom Zaun gebrochen, die Einigung Deutschlands herbeiführte. Je näher augenscheinlich die Thätigkeit des deutschen Diplomaten mit den Weltcreiguisscn in Zusammenhang gestanden hat, desto vorsichtiger weicht seine Erzählung der unmittelbaren Berührung der¬ selben aus; nur die Eindrücke, welche er in dem amtlichen oder zufällige!? Verkehr mit politischen Personen von dem Charakter der Spanier, den Nach¬ wirkungen der Vergangenheit, der Stimmung der Nationalitäten und der Parteien empfangen hat, werden wiedergegeben. Im großen und ganzen gestaltet sich daraus ein recht unerfreuliches Bild, und mehr als ein Staat und mehr als eine Partei könnten aus dieser Darstellung der unseligen Folgen einer jahrhunderte¬ langen verkehrten Wirtschaft in Staat und Kirche heilsame Lehren ziehen. Es ist nicht notwendig, an die verhängnisvollen Fehler der Ausrottung der Mauren, der Zerstörung des Gewerbefleißes und Wohlstandes im Süden, der Inqui¬ sition u. s. w. zu erinnern. Aber mancher Vorgang erscheint in neuem Lichte, wenn uns vergegenwärtigt wird, daß der Gegensatz zwischen Kastilien und Arrcigonien noch heute, wie in allen Bürgerkriegen, schwer in die Wagschale fällt. Dieser Gegensatz drängte sich unserm Reisenden überall auf, in Tarragona, Valencia. Barcelona n. s. in. Als im Herbst des Jahres 1869 ein karlistischer Aufstand und eine republikanische Bewegung ausbrachen — beide vom Auslande her geschürt und unterstützt —. fand der erstere nur in Arrcigonien, die letztere nur in kastilischen Provinzen, namentlich Andalusien und Granada, offnen Anhang, obwohl es auch dort Republikaner, anch hier Karlisten gab. „Immer war es so gewesen, wenn Kastilien in einer Frage, die zum Bürgerkriege führen konnte, die eine Partei ergriff, erhob sich Arrcigonien für die andre." So erklärte sich zu Anfang des achtzehnten Jahrhunderts Kastilien für den Enkel Ludwigs XIV., und Arragonien nahm die Partei des Habsburgischen Erben. „Arragonien hat andre Traditionen als Kastilien, andre Erinnerungen, einen andern Ursprung. Das Reich ist nicht von Don Pclayo gegründet und nicht von Cnevadonga ans wie Kastilien. Sobrarbe im Grenzgebirge in den Pyrenäen ist der Ausgangs¬ punkt." Vollends scharf prägt sich die Verschiedenheit in Katalonien aus, welches überhaupt nicht spanischen Ursprungs, sondern den Franken und Arabern abgewonnen ist, nach der Ablösung vom Reiche der Karolinger lange Zeit als Grafschaft Barcelona selbständig war, und in der Verbindung mit Arragonien nicht nur selbständig, sondern vielfach maßgebend blieb. Daher wurde dort die Verbindung mit Kastilien, in welcher die Selbständigkeit verloren ging, als Grenzboten II. 1886. 66

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/529>, abgerufen am 25.07.2024.