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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten.

Auch diese haben ähnliche Unternehmungen ins Leben gerufen. Einige dieser
Unternehmungen verzinsen sich sogar ganz gut.

Auch bei uus herrscht ja in vielen unsrer Großstädte Wohlhabenheit genug,
daß sich solche Einrichtungen schaffen ließen. Es gehört mir dazu eine gewisse
Thatkraft und Opferwilligkeit. Ob aber z. B. in Frankfurt a. M., wohl der
relativ reichsten Stadt Deutschlands, ein Pcnbodh sich finden wird? -- wir
lassen die Frage dahingestellt.

Wir können nicht umhin, hier noch eine weitere Frage zu erörtern. Würde
denn durch Schöpfungen der gedachten Art die Wohnungsnot, d. h. die Über-
füllung der schlechten Wohnungen, wirklich beseitigt werden? Es hängt die
Beantwortung dieser Frage mit der ander"? Frage zusammen, ob man den An¬
drang nach den Großstädten, wie er seit einer Reihe von Jahren bestanden
hat. jetzt als erschöpft oder wenigstens in Kürze sich erschöpfend ansehen könne
oder nicht? Zur Zeit bildet ohne Zweifel die Wohnnngsnot eine Art Korrektiv
gegen diesen ungesunden Zudrang. Wird nun nicht jeder Versuch der Beseitigung
dieser Wvhuuugsuvt durch den umso stärker werdenden Zudrang wieder paralysirt
werden? Werden nicht die neugeschaffnem Wohnungen wie eine Art Einladung
wirken, der Stadt umso eifriger zuzuziehen? -- ähnlich, wie die verbesserten
Armeneinrichtnngen vieler Städte dahin gewirkt haben, daß man sich dorthin
drängt, nur um den Unterstützungswohnsitz und demnächst die bessere Armen-
vcrsorgnng zu erwerben? Wenn heute 10 000 Menschen in neuen, für sie ge¬
schaffnen bessern Wohnungen untergebracht werden, und sofort 10 000 Menschen
von außen wieder in die alten, schlechten Wohnungen sich hineindrängen, so ist
natürlich die "Wohuuugsuot" uicht beseitigt, sondern es hat sich nur ein neues
Stück Bevölkerung in sie hineingeschoben. Und wäre darin wohl ein Glück zu
finden? Auch diese Frage" dürften zu erwägen sein, wenn man daran denkt,
in großem Maßstabe Einrichtungen zu treffen, um der Wohnungsnot abzuhelfen.

Wenn nur in dieser Ausführung, die wir hiermit schließen, mehrfach unsre
Bedenken gegen die von Dr. Miguel gemachten Vorschläge ausgesprochen haben,
so müssen wir doch, gerade wegen der Bedeutung Miguels, noch hervorheben,
daß er selbst seine Vorschläge nur "mit aller Reserve" und unter ausdrücklicher
Anerkennung, daß sich manches dagegen einwenden lasse, gemacht hat. Seine
Ausführungen nehmen hiernach mehr die Bedeutung einer beabsichtigten An¬
regung, als einer Entscheidung der besprochnen Fragen an. Es ist ja ohne
Zweifel subjektiv weit befriedigender, wenn man dahin gelangt, Mittel befür¬
worten zu können, durch welche der leidenden Menschheit geholfen werden
soll. Und die Schriften unsrer Sozialpvlitiler wimmeln von Vorschlägen dieser
Art. Auch wir hegen von ganzem Herzen den Wunsch, daß Mittel gesunden
werden mögen, um die sozialen Gegensätze möglichst auszugleichen. Das Man-
chestertum findet in uns keine Anhänger. Aber wir halten es doch nicht für
ganz ungefährlich, Gedanken in die Welt zu setzen, die vielleicht begierig auf-


Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten.

Auch diese haben ähnliche Unternehmungen ins Leben gerufen. Einige dieser
Unternehmungen verzinsen sich sogar ganz gut.

Auch bei uus herrscht ja in vielen unsrer Großstädte Wohlhabenheit genug,
daß sich solche Einrichtungen schaffen ließen. Es gehört mir dazu eine gewisse
Thatkraft und Opferwilligkeit. Ob aber z. B. in Frankfurt a. M., wohl der
relativ reichsten Stadt Deutschlands, ein Pcnbodh sich finden wird? — wir
lassen die Frage dahingestellt.

Wir können nicht umhin, hier noch eine weitere Frage zu erörtern. Würde
denn durch Schöpfungen der gedachten Art die Wohnungsnot, d. h. die Über-
füllung der schlechten Wohnungen, wirklich beseitigt werden? Es hängt die
Beantwortung dieser Frage mit der ander«? Frage zusammen, ob man den An¬
drang nach den Großstädten, wie er seit einer Reihe von Jahren bestanden
hat. jetzt als erschöpft oder wenigstens in Kürze sich erschöpfend ansehen könne
oder nicht? Zur Zeit bildet ohne Zweifel die Wohnnngsnot eine Art Korrektiv
gegen diesen ungesunden Zudrang. Wird nun nicht jeder Versuch der Beseitigung
dieser Wvhuuugsuvt durch den umso stärker werdenden Zudrang wieder paralysirt
werden? Werden nicht die neugeschaffnem Wohnungen wie eine Art Einladung
wirken, der Stadt umso eifriger zuzuziehen? — ähnlich, wie die verbesserten
Armeneinrichtnngen vieler Städte dahin gewirkt haben, daß man sich dorthin
drängt, nur um den Unterstützungswohnsitz und demnächst die bessere Armen-
vcrsorgnng zu erwerben? Wenn heute 10 000 Menschen in neuen, für sie ge¬
schaffnen bessern Wohnungen untergebracht werden, und sofort 10 000 Menschen
von außen wieder in die alten, schlechten Wohnungen sich hineindrängen, so ist
natürlich die „Wohuuugsuot" uicht beseitigt, sondern es hat sich nur ein neues
Stück Bevölkerung in sie hineingeschoben. Und wäre darin wohl ein Glück zu
finden? Auch diese Frage» dürften zu erwägen sein, wenn man daran denkt,
in großem Maßstabe Einrichtungen zu treffen, um der Wohnungsnot abzuhelfen.

Wenn nur in dieser Ausführung, die wir hiermit schließen, mehrfach unsre
Bedenken gegen die von Dr. Miguel gemachten Vorschläge ausgesprochen haben,
so müssen wir doch, gerade wegen der Bedeutung Miguels, noch hervorheben,
daß er selbst seine Vorschläge nur „mit aller Reserve" und unter ausdrücklicher
Anerkennung, daß sich manches dagegen einwenden lasse, gemacht hat. Seine
Ausführungen nehmen hiernach mehr die Bedeutung einer beabsichtigten An¬
regung, als einer Entscheidung der besprochnen Fragen an. Es ist ja ohne
Zweifel subjektiv weit befriedigender, wenn man dahin gelangt, Mittel befür¬
worten zu können, durch welche der leidenden Menschheit geholfen werden
soll. Und die Schriften unsrer Sozialpvlitiler wimmeln von Vorschlägen dieser
Art. Auch wir hegen von ganzem Herzen den Wunsch, daß Mittel gesunden
werden mögen, um die sozialen Gegensätze möglichst auszugleichen. Das Man-
chestertum findet in uns keine Anhänger. Aber wir halten es doch nicht für
ganz ungefährlich, Gedanken in die Welt zu setzen, die vielleicht begierig auf-


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[0527] Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten. Auch diese haben ähnliche Unternehmungen ins Leben gerufen. Einige dieser Unternehmungen verzinsen sich sogar ganz gut. Auch bei uus herrscht ja in vielen unsrer Großstädte Wohlhabenheit genug, daß sich solche Einrichtungen schaffen ließen. Es gehört mir dazu eine gewisse Thatkraft und Opferwilligkeit. Ob aber z. B. in Frankfurt a. M., wohl der relativ reichsten Stadt Deutschlands, ein Pcnbodh sich finden wird? — wir lassen die Frage dahingestellt. Wir können nicht umhin, hier noch eine weitere Frage zu erörtern. Würde denn durch Schöpfungen der gedachten Art die Wohnungsnot, d. h. die Über- füllung der schlechten Wohnungen, wirklich beseitigt werden? Es hängt die Beantwortung dieser Frage mit der ander«? Frage zusammen, ob man den An¬ drang nach den Großstädten, wie er seit einer Reihe von Jahren bestanden hat. jetzt als erschöpft oder wenigstens in Kürze sich erschöpfend ansehen könne oder nicht? Zur Zeit bildet ohne Zweifel die Wohnnngsnot eine Art Korrektiv gegen diesen ungesunden Zudrang. Wird nun nicht jeder Versuch der Beseitigung dieser Wvhuuugsuvt durch den umso stärker werdenden Zudrang wieder paralysirt werden? Werden nicht die neugeschaffnem Wohnungen wie eine Art Einladung wirken, der Stadt umso eifriger zuzuziehen? — ähnlich, wie die verbesserten Armeneinrichtnngen vieler Städte dahin gewirkt haben, daß man sich dorthin drängt, nur um den Unterstützungswohnsitz und demnächst die bessere Armen- vcrsorgnng zu erwerben? Wenn heute 10 000 Menschen in neuen, für sie ge¬ schaffnen bessern Wohnungen untergebracht werden, und sofort 10 000 Menschen von außen wieder in die alten, schlechten Wohnungen sich hineindrängen, so ist natürlich die „Wohuuugsuot" uicht beseitigt, sondern es hat sich nur ein neues Stück Bevölkerung in sie hineingeschoben. Und wäre darin wohl ein Glück zu finden? Auch diese Frage» dürften zu erwägen sein, wenn man daran denkt, in großem Maßstabe Einrichtungen zu treffen, um der Wohnungsnot abzuhelfen. Wenn nur in dieser Ausführung, die wir hiermit schließen, mehrfach unsre Bedenken gegen die von Dr. Miguel gemachten Vorschläge ausgesprochen haben, so müssen wir doch, gerade wegen der Bedeutung Miguels, noch hervorheben, daß er selbst seine Vorschläge nur „mit aller Reserve" und unter ausdrücklicher Anerkennung, daß sich manches dagegen einwenden lasse, gemacht hat. Seine Ausführungen nehmen hiernach mehr die Bedeutung einer beabsichtigten An¬ regung, als einer Entscheidung der besprochnen Fragen an. Es ist ja ohne Zweifel subjektiv weit befriedigender, wenn man dahin gelangt, Mittel befür¬ worten zu können, durch welche der leidenden Menschheit geholfen werden soll. Und die Schriften unsrer Sozialpvlitiler wimmeln von Vorschlägen dieser Art. Auch wir hegen von ganzem Herzen den Wunsch, daß Mittel gesunden werden mögen, um die sozialen Gegensätze möglichst auszugleichen. Das Man- chestertum findet in uns keine Anhänger. Aber wir halten es doch nicht für ganz ungefährlich, Gedanken in die Welt zu setzen, die vielleicht begierig auf-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/527>, abgerufen am 25.07.2024.