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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten.

haben. Mit dieser allgemeinen Betrachtung soll übrigens nicht gesagt sein, daß
nicht unter besondern Umständen anch die Stadtbehörden für die Beschaffung
von Arbeiterwohnungen, namentlich unterstützend, thätig sein sollten.

Ein andrer Gedanke ist der, die Arbeitgeber zu verpflichten, für zureichende
Wohnung ihrer Arbeiter zu sorgen. Es ist ja in der That wunderschön, wenn
Fabrikherren, deren Geschäft in Blüte steht, oder vielleicht ganze reiche Fabrik¬
städte (wie die Stadt Mülhausen im Elsaß) darauf bedacht sind, für ihre Arbeiter
gesunde und behagliche Wohnungen zu schaffen. Aber kann dies nach Lage
unsrer Geschäftswelt überall geschehen? Eine Rechtspflicht dieser Art auflegen,
würde für unzä'suche bestehende Fabrikgeschäftc gleichbedeutend mit ihrer Ver¬
nichtung sein. Erst neu zu gründenden Geschäften würde eine solche Ver¬
pflichtung allerdings ohne positive Rechtsverletzung auferlegt werden können.
Wenn aber ohnehin schon die Unternehmungslust sür neue Geschäfte heutzutage
sehr gesunken ist, so würde eine solche Auflage vollends die Folge haben, daß
Unternehmungen kaum noch zustande kämen. Ob sich dabei die Arbeiter bester
als jetzt stünden, ist doch sehr die Frage.

Bleibt hiernach die Beschaffung von Wohnungen für die geringern Klassen
nur auf die Thätigkeit von Privaten gestellt, so läßt sich diese doch wieder aus
einem doppelten Gesichtspunkte geübt denken, aus dem der Spekulation und dem
der Wohlthätigkeit. Was die Speknlationsthätigkcit betrifft, so stellt sich hierbei
vou selbst die Frage: Warum hat denn bisher die Spekulation dieses menschliche
Bedürfnis nicht zu befriedigen unternommen? Die Antwort ist einfach die:
weil sie dabei ihren Vorteil nicht gefunden hat. Stehen anch geringe Wohnungen
in verhältnismäßig hohem Preise, so ist doch die Vermietung von Häusern an
eine große Anzahl geringer Leute ein so mühseliges, oft ärgerliches und auch
gefährliches Geschäft, daß niemand besondre Neigung dazu verspürt. In
Hamburg wurde im Jahre 1873, um dem Bedürfnis sogenannter kleiner
Wohnungen abzuhelfen, ein besondres Gesetz erlassen, welches den Bau von
solchen möglichst erleichterte; und zugleich wurden zehn in verschiednen Gegenden
gelegne Plätze für den Ankauf zur Bebauung mit solchen Wohnungen zur Ver¬
fügung gestellt. Aber der Erfolg entsprach nicht den Erwartungen. Nur zwei
Plätze wurden angekauft und darauf 230 Wohmmgen errichtet.

Es ist auch nicht immer ganz leicht, mit solchen Wohnungen das Nichtige
zu treffen. Entsprechen sie nicht ganz den Bedürfnissen der Arbeiter, so bleiben
diese lieber in ihren alten, schlechten Quartieren wohnen. Aus Frankfurt wird
uns bezeugt, daß trotz des Mangels an kleinen Wohnungen die von gemein¬
nützigen Gesellschaften dargebotenen kleinen Wohnungen großenteils leer stehen;
wofür als Grund weniger der Maugel an gewissen Bequemlichkeiten (z. B. der
Kanalisation oder Wasserleitung), als die weit entfernte Lage der Häuser und -- der
zu hohe Preis bezeichnet wird. In Hamburg hatte im Jahre 1878 eine
"gemeinnützige Baugesellschaft" unternommen, kleine Wohnhäuser für Arbeiter


Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten.

haben. Mit dieser allgemeinen Betrachtung soll übrigens nicht gesagt sein, daß
nicht unter besondern Umständen anch die Stadtbehörden für die Beschaffung
von Arbeiterwohnungen, namentlich unterstützend, thätig sein sollten.

Ein andrer Gedanke ist der, die Arbeitgeber zu verpflichten, für zureichende
Wohnung ihrer Arbeiter zu sorgen. Es ist ja in der That wunderschön, wenn
Fabrikherren, deren Geschäft in Blüte steht, oder vielleicht ganze reiche Fabrik¬
städte (wie die Stadt Mülhausen im Elsaß) darauf bedacht sind, für ihre Arbeiter
gesunde und behagliche Wohnungen zu schaffen. Aber kann dies nach Lage
unsrer Geschäftswelt überall geschehen? Eine Rechtspflicht dieser Art auflegen,
würde für unzä'suche bestehende Fabrikgeschäftc gleichbedeutend mit ihrer Ver¬
nichtung sein. Erst neu zu gründenden Geschäften würde eine solche Ver¬
pflichtung allerdings ohne positive Rechtsverletzung auferlegt werden können.
Wenn aber ohnehin schon die Unternehmungslust sür neue Geschäfte heutzutage
sehr gesunken ist, so würde eine solche Auflage vollends die Folge haben, daß
Unternehmungen kaum noch zustande kämen. Ob sich dabei die Arbeiter bester
als jetzt stünden, ist doch sehr die Frage.

Bleibt hiernach die Beschaffung von Wohnungen für die geringern Klassen
nur auf die Thätigkeit von Privaten gestellt, so läßt sich diese doch wieder aus
einem doppelten Gesichtspunkte geübt denken, aus dem der Spekulation und dem
der Wohlthätigkeit. Was die Speknlationsthätigkcit betrifft, so stellt sich hierbei
vou selbst die Frage: Warum hat denn bisher die Spekulation dieses menschliche
Bedürfnis nicht zu befriedigen unternommen? Die Antwort ist einfach die:
weil sie dabei ihren Vorteil nicht gefunden hat. Stehen anch geringe Wohnungen
in verhältnismäßig hohem Preise, so ist doch die Vermietung von Häusern an
eine große Anzahl geringer Leute ein so mühseliges, oft ärgerliches und auch
gefährliches Geschäft, daß niemand besondre Neigung dazu verspürt. In
Hamburg wurde im Jahre 1873, um dem Bedürfnis sogenannter kleiner
Wohnungen abzuhelfen, ein besondres Gesetz erlassen, welches den Bau von
solchen möglichst erleichterte; und zugleich wurden zehn in verschiednen Gegenden
gelegne Plätze für den Ankauf zur Bebauung mit solchen Wohnungen zur Ver¬
fügung gestellt. Aber der Erfolg entsprach nicht den Erwartungen. Nur zwei
Plätze wurden angekauft und darauf 230 Wohmmgen errichtet.

Es ist auch nicht immer ganz leicht, mit solchen Wohnungen das Nichtige
zu treffen. Entsprechen sie nicht ganz den Bedürfnissen der Arbeiter, so bleiben
diese lieber in ihren alten, schlechten Quartieren wohnen. Aus Frankfurt wird
uns bezeugt, daß trotz des Mangels an kleinen Wohnungen die von gemein¬
nützigen Gesellschaften dargebotenen kleinen Wohnungen großenteils leer stehen;
wofür als Grund weniger der Maugel an gewissen Bequemlichkeiten (z. B. der
Kanalisation oder Wasserleitung), als die weit entfernte Lage der Häuser und — der
zu hohe Preis bezeichnet wird. In Hamburg hatte im Jahre 1878 eine
„gemeinnützige Baugesellschaft" unternommen, kleine Wohnhäuser für Arbeiter


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[0525] Die Wohnungsnot der ärmern Klassen in deutschen Großstädten. haben. Mit dieser allgemeinen Betrachtung soll übrigens nicht gesagt sein, daß nicht unter besondern Umständen anch die Stadtbehörden für die Beschaffung von Arbeiterwohnungen, namentlich unterstützend, thätig sein sollten. Ein andrer Gedanke ist der, die Arbeitgeber zu verpflichten, für zureichende Wohnung ihrer Arbeiter zu sorgen. Es ist ja in der That wunderschön, wenn Fabrikherren, deren Geschäft in Blüte steht, oder vielleicht ganze reiche Fabrik¬ städte (wie die Stadt Mülhausen im Elsaß) darauf bedacht sind, für ihre Arbeiter gesunde und behagliche Wohnungen zu schaffen. Aber kann dies nach Lage unsrer Geschäftswelt überall geschehen? Eine Rechtspflicht dieser Art auflegen, würde für unzä'suche bestehende Fabrikgeschäftc gleichbedeutend mit ihrer Ver¬ nichtung sein. Erst neu zu gründenden Geschäften würde eine solche Ver¬ pflichtung allerdings ohne positive Rechtsverletzung auferlegt werden können. Wenn aber ohnehin schon die Unternehmungslust sür neue Geschäfte heutzutage sehr gesunken ist, so würde eine solche Auflage vollends die Folge haben, daß Unternehmungen kaum noch zustande kämen. Ob sich dabei die Arbeiter bester als jetzt stünden, ist doch sehr die Frage. Bleibt hiernach die Beschaffung von Wohnungen für die geringern Klassen nur auf die Thätigkeit von Privaten gestellt, so läßt sich diese doch wieder aus einem doppelten Gesichtspunkte geübt denken, aus dem der Spekulation und dem der Wohlthätigkeit. Was die Speknlationsthätigkcit betrifft, so stellt sich hierbei vou selbst die Frage: Warum hat denn bisher die Spekulation dieses menschliche Bedürfnis nicht zu befriedigen unternommen? Die Antwort ist einfach die: weil sie dabei ihren Vorteil nicht gefunden hat. Stehen anch geringe Wohnungen in verhältnismäßig hohem Preise, so ist doch die Vermietung von Häusern an eine große Anzahl geringer Leute ein so mühseliges, oft ärgerliches und auch gefährliches Geschäft, daß niemand besondre Neigung dazu verspürt. In Hamburg wurde im Jahre 1873, um dem Bedürfnis sogenannter kleiner Wohnungen abzuhelfen, ein besondres Gesetz erlassen, welches den Bau von solchen möglichst erleichterte; und zugleich wurden zehn in verschiednen Gegenden gelegne Plätze für den Ankauf zur Bebauung mit solchen Wohnungen zur Ver¬ fügung gestellt. Aber der Erfolg entsprach nicht den Erwartungen. Nur zwei Plätze wurden angekauft und darauf 230 Wohmmgen errichtet. Es ist auch nicht immer ganz leicht, mit solchen Wohnungen das Nichtige zu treffen. Entsprechen sie nicht ganz den Bedürfnissen der Arbeiter, so bleiben diese lieber in ihren alten, schlechten Quartieren wohnen. Aus Frankfurt wird uns bezeugt, daß trotz des Mangels an kleinen Wohnungen die von gemein¬ nützigen Gesellschaften dargebotenen kleinen Wohnungen großenteils leer stehen; wofür als Grund weniger der Maugel an gewissen Bequemlichkeiten (z. B. der Kanalisation oder Wasserleitung), als die weit entfernte Lage der Häuser und — der zu hohe Preis bezeichnet wird. In Hamburg hatte im Jahre 1878 eine „gemeinnützige Baugesellschaft" unternommen, kleine Wohnhäuser für Arbeiter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/525>, abgerufen am 25.07.2024.