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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

die Umgestaltung des Papicrgeldsystems in Anspruch genommen, da man die
alten Assignaten allmählich ganz aus dem Verkehre drängen und durch Kredit¬
billets ersetzen wollte. Bei dem Maugel eines genügenden Baarfonds für ein
"einlösbares" Papiergeld, das sofort im Betrage von 170 Mill. ausgegeben
werden mußte, und bei dem gleichzeitigen Maugel aller Erfahrung darüber,
welcher Metallwert wohl zur Aufrechterhaltung der Einlösbarkeit ausreichen
dürfte, war es offenbar unmöglich, diese Operation in kurzer Zeit auszuführen.
Der völlige Umtausch der Assignaten, welche, im Nominalwerte von 695 Mill.
Rubeln, nach dem für sie festgesetzten Kurse etwa 170 Mill. Rubel Silber betrugen,
hat denn auch sieben Jahre in Anspruch genommen: vom 1. Juli 1841 an, wo
der kaiserliche Erlaß die Einführung des neuen Papiergeldes anordnete, bis zum
1. Januar 1848 als letztem Termin. Zu dieser Zeit entsprachen die "Reichs-
kreditbillcte" genau den anfangs an sie gestellten Anforderungen: sie lauteten
auf Silberrubel, waren einlösbar und besaßen einen so vollständigen Zwangs¬
kurs zum Nominalwerte, daß nicht nur jedes Agio und Disagio verboten,
sondern auch -- da jede Zahlungsverpflichtung im Inlande nur auf Silber-
rubel lautete, aber daneben doch mit Krcditbilleten berichtigt werden dürfte --
eine Unterscheidung der letztern von der Münze in xiAxi völlig ausgeschlossen war.

Das neue Papiergeld war mit dem gesamten Staatseigentum garantirt
und seine Einlösbarkeit durch einen Baarfonds im Betrage eines Sechstens
der emittirten Summe sichergestellt. Dieses Deckuugsverhältnis war empirisch
als ausreichend befunden worden. Der Umtausch gegen Münze konnte bei der
Umwechslungskasse in Se. Petersburg ohne Beschränkung der Summe, in
Moskau bei der dortigen Filiale bis zum Betrage vou 3000 Rubeln und in
allen Kreisrenteicn bis zur Höhe von 100 Rubeln für jeden, der es verlangte,
vollzogen werden.

Ein verhängnisvoller Fehler lag indessen in der Zwitterhaftigkeit des
Papiergeldes selbst und in dem innern Widerspruch zwischen den parallel lau¬
fenden Bestimmungen des Zwangskurses und der Einlösbarkeit. Indem die
Kreditbillete nämlich als Münze angenommen werden mußten, mithin als gesetz¬
liches Zahlmittel fungirten, wurden sie, da jede auf Geld lautende Verbind¬
lichkeit mit ihrer Hilfe gelöst werden konnte, Objekt der Verträge, erschienen
also zugleich als Wertträger und als Wertmaß. Anderseits lauteten sie
aber -- und dies entspricht dem Charakter der Einlösbarkeit -- ans einen
bestimmten Betrag Münze. In dieser Verweisung auf einen außerhalb liegenden
Wert lehnten sie iMplie-no jeden eignen selbständigen Wert wie auch die Funktion
als Wertmaß von sich ab. So lange nun die Eiulösbarkeit aufrecht erhalten
wurde, mußte das derselben widersprechende staatliche Gebot des Zwangskurses
bedeutungslos bleiben; das Papiergeld konnte daher nicht als Wertmaß fun-
giren, das heißt nicht als wirkliches Geld erscheinen. Mit dem Augenblicke
aber, wo die Einlösbarkeit aufhörte und der Zwangsknrs in seine Rechte


Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta.

die Umgestaltung des Papicrgeldsystems in Anspruch genommen, da man die
alten Assignaten allmählich ganz aus dem Verkehre drängen und durch Kredit¬
billets ersetzen wollte. Bei dem Maugel eines genügenden Baarfonds für ein
„einlösbares" Papiergeld, das sofort im Betrage von 170 Mill. ausgegeben
werden mußte, und bei dem gleichzeitigen Maugel aller Erfahrung darüber,
welcher Metallwert wohl zur Aufrechterhaltung der Einlösbarkeit ausreichen
dürfte, war es offenbar unmöglich, diese Operation in kurzer Zeit auszuführen.
Der völlige Umtausch der Assignaten, welche, im Nominalwerte von 695 Mill.
Rubeln, nach dem für sie festgesetzten Kurse etwa 170 Mill. Rubel Silber betrugen,
hat denn auch sieben Jahre in Anspruch genommen: vom 1. Juli 1841 an, wo
der kaiserliche Erlaß die Einführung des neuen Papiergeldes anordnete, bis zum
1. Januar 1848 als letztem Termin. Zu dieser Zeit entsprachen die „Reichs-
kreditbillcte" genau den anfangs an sie gestellten Anforderungen: sie lauteten
auf Silberrubel, waren einlösbar und besaßen einen so vollständigen Zwangs¬
kurs zum Nominalwerte, daß nicht nur jedes Agio und Disagio verboten,
sondern auch — da jede Zahlungsverpflichtung im Inlande nur auf Silber-
rubel lautete, aber daneben doch mit Krcditbilleten berichtigt werden dürfte —
eine Unterscheidung der letztern von der Münze in xiAxi völlig ausgeschlossen war.

Das neue Papiergeld war mit dem gesamten Staatseigentum garantirt
und seine Einlösbarkeit durch einen Baarfonds im Betrage eines Sechstens
der emittirten Summe sichergestellt. Dieses Deckuugsverhältnis war empirisch
als ausreichend befunden worden. Der Umtausch gegen Münze konnte bei der
Umwechslungskasse in Se. Petersburg ohne Beschränkung der Summe, in
Moskau bei der dortigen Filiale bis zum Betrage vou 3000 Rubeln und in
allen Kreisrenteicn bis zur Höhe von 100 Rubeln für jeden, der es verlangte,
vollzogen werden.

Ein verhängnisvoller Fehler lag indessen in der Zwitterhaftigkeit des
Papiergeldes selbst und in dem innern Widerspruch zwischen den parallel lau¬
fenden Bestimmungen des Zwangskurses und der Einlösbarkeit. Indem die
Kreditbillete nämlich als Münze angenommen werden mußten, mithin als gesetz¬
liches Zahlmittel fungirten, wurden sie, da jede auf Geld lautende Verbind¬
lichkeit mit ihrer Hilfe gelöst werden konnte, Objekt der Verträge, erschienen
also zugleich als Wertträger und als Wertmaß. Anderseits lauteten sie
aber — und dies entspricht dem Charakter der Einlösbarkeit — ans einen
bestimmten Betrag Münze. In dieser Verweisung auf einen außerhalb liegenden
Wert lehnten sie iMplie-no jeden eignen selbständigen Wert wie auch die Funktion
als Wertmaß von sich ab. So lange nun die Eiulösbarkeit aufrecht erhalten
wurde, mußte das derselben widersprechende staatliche Gebot des Zwangskurses
bedeutungslos bleiben; das Papiergeld konnte daher nicht als Wertmaß fun-
giren, das heißt nicht als wirkliches Geld erscheinen. Mit dem Augenblicke
aber, wo die Einlösbarkeit aufhörte und der Zwangsknrs in seine Rechte


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[0508] Rußlands Finanzen und die Entwertung seiner Valuta. die Umgestaltung des Papicrgeldsystems in Anspruch genommen, da man die alten Assignaten allmählich ganz aus dem Verkehre drängen und durch Kredit¬ billets ersetzen wollte. Bei dem Maugel eines genügenden Baarfonds für ein „einlösbares" Papiergeld, das sofort im Betrage von 170 Mill. ausgegeben werden mußte, und bei dem gleichzeitigen Maugel aller Erfahrung darüber, welcher Metallwert wohl zur Aufrechterhaltung der Einlösbarkeit ausreichen dürfte, war es offenbar unmöglich, diese Operation in kurzer Zeit auszuführen. Der völlige Umtausch der Assignaten, welche, im Nominalwerte von 695 Mill. Rubeln, nach dem für sie festgesetzten Kurse etwa 170 Mill. Rubel Silber betrugen, hat denn auch sieben Jahre in Anspruch genommen: vom 1. Juli 1841 an, wo der kaiserliche Erlaß die Einführung des neuen Papiergeldes anordnete, bis zum 1. Januar 1848 als letztem Termin. Zu dieser Zeit entsprachen die „Reichs- kreditbillcte" genau den anfangs an sie gestellten Anforderungen: sie lauteten auf Silberrubel, waren einlösbar und besaßen einen so vollständigen Zwangs¬ kurs zum Nominalwerte, daß nicht nur jedes Agio und Disagio verboten, sondern auch — da jede Zahlungsverpflichtung im Inlande nur auf Silber- rubel lautete, aber daneben doch mit Krcditbilleten berichtigt werden dürfte — eine Unterscheidung der letztern von der Münze in xiAxi völlig ausgeschlossen war. Das neue Papiergeld war mit dem gesamten Staatseigentum garantirt und seine Einlösbarkeit durch einen Baarfonds im Betrage eines Sechstens der emittirten Summe sichergestellt. Dieses Deckuugsverhältnis war empirisch als ausreichend befunden worden. Der Umtausch gegen Münze konnte bei der Umwechslungskasse in Se. Petersburg ohne Beschränkung der Summe, in Moskau bei der dortigen Filiale bis zum Betrage vou 3000 Rubeln und in allen Kreisrenteicn bis zur Höhe von 100 Rubeln für jeden, der es verlangte, vollzogen werden. Ein verhängnisvoller Fehler lag indessen in der Zwitterhaftigkeit des Papiergeldes selbst und in dem innern Widerspruch zwischen den parallel lau¬ fenden Bestimmungen des Zwangskurses und der Einlösbarkeit. Indem die Kreditbillete nämlich als Münze angenommen werden mußten, mithin als gesetz¬ liches Zahlmittel fungirten, wurden sie, da jede auf Geld lautende Verbind¬ lichkeit mit ihrer Hilfe gelöst werden konnte, Objekt der Verträge, erschienen also zugleich als Wertträger und als Wertmaß. Anderseits lauteten sie aber — und dies entspricht dem Charakter der Einlösbarkeit — ans einen bestimmten Betrag Münze. In dieser Verweisung auf einen außerhalb liegenden Wert lehnten sie iMplie-no jeden eignen selbständigen Wert wie auch die Funktion als Wertmaß von sich ab. So lange nun die Eiulösbarkeit aufrecht erhalten wurde, mußte das derselben widersprechende staatliche Gebot des Zwangskurses bedeutungslos bleiben; das Papiergeld konnte daher nicht als Wertmaß fun- giren, das heißt nicht als wirkliches Geld erscheinen. Mit dem Augenblicke aber, wo die Einlösbarkeit aufhörte und der Zwangsknrs in seine Rechte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/508>, abgerufen am 04.07.2024.